Soheib Bencheikh schrieb:Muslime waren, wie sich durch ihre gesamte Geschichte hindurch beobachten lässt, frei in ihrer Entscheidung, welcher Richtung sie sich anschließen wollten.
(19-07-2010, 16:00)petronius schrieb: interessant dabei auch, daß bencheikh diesen pluralismus als etwas ansieht, das im frühen islam sehr wohl an der tagesordnung war, allerdings historisch abhanden gekommen ist.
Ja, Soheib Bencheikh ist eine Lichtgestalt unter den französischen Islamwissenschaftern. Leider genießt er innerhalb der muslimischen Gemeinschaft weniger Ansehen als außerhalb dieser. Als er 2007 an den französischen Präsidentschaftswahlen teilnehmen wollte, brachte er nicht einmal die erforderlichen Unterstützungserklärungen zusammen.
Es ist zweifellos richtig, wenn er behauptet, dass im frühen islamischen Denken modernere Ansätze auszunehmen seien als das heute der Fall ist. Als Beispiel nenne ich drei große islamische Gelehrte des 9. und 10. Jhs.:
Al-Kindi (gest. 866) vertrat noch die Ansicht, dass im Zweifel die Offenbarung als Quelle des Wissens heranzuziehen sei.
Hingegen behauptete Abu Bakr ar-Razi (gest. 925), dass offenbarte Religion Unsinn sei. Denn Gott habe den Menschen die Möglichkeit gegeben, mit Hilfe des Verstandes die Wahrheit zu erkennen. Er meinte ferner, dass die angeblichen Propheten Betrüger seien, die nichts als Zank und Streit in die Welt gebracht hätten.
Eine Aussage, für die ar-Razi heute durchaus um seine Gesundheit hätte besorgt sein müssen!
Einen neuen Gedanken brachte al-Farabi (gest. 950) ein:
Er meinte Religion und Philosophie seien zwei Ausdrucksformen ein und derselben Wahrheit. Die Philosophen seien die Elite der Menschheit. Sie seien in der Lage, alleine mit dem Verstand die höchsten Wahrheiten der Welt, ihren Aufbau und ihren Sinn, zu erfassen. Die meisten Menschen aber könnten das nicht! Ihnen müsste die Wahrheit mit Bildern vermittelt werden, und diese Bilder seien das, was gemeinhin als Religion bezeichnet werde.
Die Propheten seien Menschen, die Gott mit der Begabung ausgestattet habe, die rationale Wahrheit der Philosophie in eine für die Menschen verständliche Sprache zu übersetzen.
Die Lehre al-Farabis fand besonders an den Höfen muslimischer Herrscher großen Anklang. Anstatt sich den kleinlichen Vorschriften engstirniger Religionsgelehrter unterzuordnen, ließen sich die Fürsten beim abendlichen Wein von Philosophen in die Geheimnisse des Aufbaus der Welt einführen.
Soheib Bencheikh schrieb:Dass Religion und Politik im Islam immer mehr zusammenfallen, ist ein neues Phänomen, und eines, das in meinen Augen gefährlich für ihn ist.
Womit er zweifellos ins Schwarze trifft.
Er spricht damit die verschiedenen Spielarten des politischen Islams – in seiner Extremausformung den dschihadistischen Islam – an. Der dschihadistische Islam ist für das Ansehen der Religion und für Muslime selbst gefährlich. Die Opfer der gewalttätigen Variante des Islams sind in erster Linie Muslime!
(19-07-2010, 16:00)petronius schrieb:Bion schrieb:Ist die unter Modernisten vielfach propagierte und geübte wissenschaftliche Koranauslegung im Stile eines Harun Yahya (eigentlich Adnan Oktay) nicht eher Hindernis als Anreiz, sich mit modernem muslimischem Denken auseinanderzusetzen?zweifellos. ich weiß jetzt zwar nicht genau, wen und was du mit dieser wissenschaftliche Koranauslegung der modernisten meinst (daß hr. oktar keiner ist, darüber besteht zwischen uns ja wohl einigkeit) - aber jeder versuch, mythische texte zu faktischen aussagen zu verklären, ist für die religion kontraproduktiv. egal, auf welcher seite man dabei vom pferd fällt
Bedauerlicherweise ist auch bei manchen Vertretern eines modernistischen Islams, die Bereitschaft auszumachen, sich bei der Behauptung, wonach im Koran Erkenntnisse der modernen Wissenschaft verschlüsselt Erwähnung finden, der absurden Beweisführung eines Harun Yahya zu bedienen.
MfG B.