28-07-2010, 12:26
(27-07-2010, 10:45)Der-Einsiedler schrieb: Ich halte solche Maximalforderungen generell auch nicht für erfüllbar: Ich kann nach vielen Jahren und Jahrzehnten meine Frau lieben wie mich selbst, ich kann meine Eltern und meine Kinder lieben wie mich selbst, aber dann wird's auch schon eng. "Jeden" Nächsten lieben? Solche Maximalforderungen KANN man nicht erfüllen, aber darauf bauen die meisten Religionen: man kommt sich klein, mickrig, sündig und schuldig vor, eben weil man es nicht kann. Und kleine Sünder und Schuldiger strömen dann in den Schoss der Religionen und sind "perfekte" Schäfchen.
Im Übrigen würde es mir schon reichen, wenn man jeden Nächsten respektiert. DANN sähe diese Welt schon sehr viel anders aus und hätte vermutlich keinen Glauben an Ebenbildlichkeit etc. nötig.
Ja, solche völlig utopischen Forderungen können einen vor Schuldgefühlen manipulierbar oder auch so frustriert machen, dass man sich von einer Religion abwendet, die soviel mehr von einem verlangt, als man weiß, dass man jemals leisten können wird. Beides hilft aber nicht, dem Ideal auch nur SO weit näher zu kommen, wie es tatsächlich ginge.
Ein gemäßigteres Ideal, an dem man sich zwar noch ein Vorbild nehmen kann, um seine Verhalten zu verbessern, das aber nicht so abgehoben ist, dass man sich davon erdrückt statt motiviert fühlt, erscheint mir auch sinnvoller. Und für mich persönlich war es echt eine Wende, als ich, während sich meine religiösen Vorstellungen gewandelt haben, das "lieben" durch "respektieren" ersetzt habe. Am Respektieren kann ich mich orientieren, das ist ein Ziel, dass mich in konkreten Momenten wirklich innehalten lassen kann, um doch besonnener, verständnisvoller oder freundlicher zu reagieren, als vielleicht der erste Impuls ausfiel - nicht, dass sowas immer glückt ;) aber es kann zumindest was bewirken. Lieben hingegen war kein Ziel, dem sich näher kommen ließ, sondern nur eine Unmöglichkeit, die gelähmt hat.
Ich weiß, die Diskussion ist schon weiter fortgeschritten, aber ich finde die Beobachtung vom Einsiedler einfach sehr, sehr treffend.
"Gottes ist der Osten und der Westen; wohin immer ihr also euch wendet, dort ist Gottes Angesicht." (2:115)

