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der ideale mensch braucht keine demokratie
#10
@Petronius:

Die Antwort des Kommunisten auf Deine Frage ist amüsant und erschreckend zugleich. Sie erinnerte mich an eine Beschreibung aus John Henry Mackays 1891 (!) erschienenden Buchs "Die Anarchisten", die ich mir erlaubt habe, unten anzuhängen. (Quelle: .gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=4394&kapitel=1#gb_found - ein gemeinfreies Buch, also kann man daraus zitieren). Nicht nur, dass Mackay damals schon bemerkt (wenn auch für unwahrscheinlich gehalten) hat, wie sich der Kommunismus durchsetzen kann und wird, sondern zeigt das auch, wie wenig sich der Kommunismus von seinem Zustande vor mehr als 110 Jahren bis heute entwickelt hat - nämlich überhaupt nicht.
Ein System, das nur mit einem angepassten Kollektiv machbar ist, wird immer Schwächen, Risse unterschiedlicher Natur aufweisen. Genauso ist es auch mit der Demokratie. Auch sie braucht ein ideales Kollektiv, einen Nährboden, auf dem sie gedeihen kann. Jedes System braucht diese Basis. Und es braucht Möglichkeiten, die aufkommenden Risse zu schließen. In der Demokratie, wie sie sich heute überwiegend darstellt, sind fatalerweise die Finanzen das größte Problem, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass Wirtschaftspolitik Legislaturperioden von i.d.R. vier Jahren unterworfen ist. Längerfristige Finanzplanungen sind kaum machbar; auch erlaubt es ein populistisches System nicht, langfristig zu sparen oder sich einen "Bauch" anzulegen, da die nächste Wahl mit Zugeständnissen an die jeweils passenden Gruppen gewonnen werden können. Hier zeigt sich einer der gewaltigsten Risse, die ein solches System nach sich ziehen kann. Das Eigeninteresse, das heißt in einer Demokratie das Interesse für eine bestimmte Gruppe, der man selbst zugehörig ist, macht den Bewohner eines demokratischen Landes blind für weitreichende Entscheidungen; das Eigeninteresse, das grundsätzlich in einem Wirtschaftssystem in positive Bahnen gelenkt wird, wird in der demokratischen Politik zum unvernünftigen Populismus einzelner genutzt, um Wählerstimmen zu generieren und hält davon ab, eine langfristig vernünftige Wirtschaftspolitik anzustreben.
In einer Monarchie hängt die Landeswirtschaft immer mit persönlichen Interessen des Königs zusammen, der Besitzer des Landes und der Bürger ist. In einem System des öffentlichen Besitzes, wie es die Demokratie ist, gibt es niemanden der, außerhalb von Patriotismus, der mit einzelnen Personen steht und fällt, irgendein Interesse an der langfristigen Erholung des Staatshaushaltes hat - entweder sind die Entscheidungen nur auf Kurzfristigkeiten ausgelegt, oder aber derjenige (bsplw. der ehem. Bundeskanzler Schröder) der weitreichende Entscheidungen trifft, wird durch den Wahlpopulismus abgesetzt und seine Entscheidungen zugunsten bestimmter Interessengruppen revidiert.
Der "perfekte Mensch" in einer Demokratie ist patriotisch (im demokratischen Sinne), und trifft eine Wahlentscheidung, die sich am langfristigen Wohle und - in unserem Falle- der Genesung des Staates orientiert. Diesen perfekten Bürger gibt es nicht; und wenn dann nur als Individuum, niemals als kollektiv.

Hier der, wie ich finde sehr bezeichnende Auszug aus "Die Anarchisten" von John Henry Mackay, entnommen aus dem fünften Kapitel:

"Was will der Sozialismus?

Ich habe gefunden, daß es sehr schwer ist, auf diese Frage eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Ich sehe seit zehn Jahren seine Bewegung vor mir in jeder ihrer Phasen und habe sie in zwei Ländern aus persönlicher Erfahrung kennen gelernt. Ich habe mit der Geschichte unseres Jahrhunderts sein Entstehen und sein Wachsthum verfolgt – aber noch bis Heute ist es mir nicht gelungen, mir ein klares Bild seiner Ziele zu machen. Ich wäre sonst vielleicht Heute noch sein Anhänger.

Wo immer ich nach seinen letzten Zielen fragte, wurden mir zwei Antworten.

Die eine lautete: »Es wäre lächerlich, schon jetzt das Bild einer Zukunft zu entwerfen, die wir erst vorbereiten wollen. Ueberlassen wir ihre Gestaltung unseren Nachkommen.«

Die andere war weniger spröde. Sie verwandelte die Menschen in Engel, zeichnete mir mit beneidenswerther Schnelligkeit ein Eden von Glück, Frieden und Freiheit und nannte diesen Himmel auf Erden die »zukünftige Gesellschaft«.

Die erste Antwort wurde mir von den Kollektivisten, den Sozialdemokraten, den Staatskommunisten; die zweite von den »freien Kommunisten«, die sich Anarchisten nennen, und jenen echt christlichen Schwärmern, welcher keiner sozialen Partei der Gegenwart angehören, deren Zahl aber viel größer ist, als man glaubt. Die meisten Religionsfanatiker und Philanthropen z. B. gehören zu ihnen.

In dieser kurzen Darlegung, die sich streng innerhalb der Grenzen der Wirklichkeit bewegt und natürlich nur mit den Menschen rechnet, wie sie sind, immer gewesen sind, und immer sein werden, muß ich von den zuletzt Genannten völlig absehen. Denn die Einen, die freien oder revolutionären Kommunisten, würden in der sozialen Bewegung nie diese Beachtung gefunden haben – trotzdem fast jedes Jahrzehnt unseres Jahrhunderts sie neu entstehen, sich bilden und vergehen sah: von Babeuf und Cabet an, über den Schneider Weitling und die deutsch-schweizerische Kommunistenbewegung der vierziger Jahre hinaus bis zu Bakunin –, wenn sie nicht eine Taktik befürworteten, deren gelegentliche Ausübung in den letzten zwölf Jahren den von ihnen fälschlich angenommenen Namen – ›Anarchisten‹ – in den Augen aller unselbstständig Denkenden (und das sind heute noch neun Zehntel aller Menschen) für gleichlautend mit Räuber und Mörder gemacht hätte; und die anderen, die philanthropischen Utopisten – nun, solche hat es immer gegeben und wird es voraussichtlich solange geben, als die Regierungen Elend und Armuth mit Gewalt schaffen.

Indem ich also von allen rein idealen Sozialisten und ihren utopischen Wünschen absehe und mich an die meinem Verstand allein erfaßbaren Bestrebungen der zuerst Genannten halte, beantworte ich in ihrem Sinne und mit ihren eigenen Worten die Frage: Was will der Sozialismus? – so:

Der Sozialismus will die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel und die gesellschaftliche, planmäßige Regelung der Produktion im Interesse der Gesammtheit.

Diese Vergesellschaftung und Regelung hat zu erfolgen gemäß dem Willen der absoluten Majorität und zwar durch die Person der von ihr gewählten und genannten Vertreter.

So lautet die erste und wichtigste Forderung der Sozialisten aller Länder, soweit sie auf dem Boden der Wirklichkeit stehen und mit den von ihr gegebenen Verhältnissen rechnen.

Es ist mir natürlich unmöglich, hier näher einzugehen:

Einmal auf die Möglichkeit der Durchführung dieser Prinzipien, die jedenfalls nur mit beispiellosem Terrorismus und brutalster Vergewaltigung des Individuums zu denken wäre, an die ich aber nicht glaube; und ferner auf die gar nicht zu ermessenden Folgen, die eine – auch nur zeitweilige – unbeschränkte Diktatur der Mehrheit für die Entwickelung der Zivilisation haben würde..."
“I love to play with kids; they’re easy to cheat and fun to beat.” –Fran Lebowitz
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RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von Franziskus - 13-10-2010, 13:31
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 14-10-2010, 16:18
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 14-10-2010, 16:39
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 14-10-2010, 19:28
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von Theodora - 14-10-2010, 20:28
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von Theodora - 15-10-2010, 12:02
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 15-10-2010, 21:47
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 23-10-2010, 15:23
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von t.logemann - 01-11-2010, 01:26
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von Theodora - 01-11-2010, 09:24
RE: der ideale mensch braucht keine demokratie - von Polski - 01-11-2010, 09:42

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