einer der gründe, warum menschen sich götter und religionen konstruieren, dürfte ja wohl auch darin liegen, daß der mensch sich nicht mit der tatsache seiner sterblichkeit, der endlichkeit seiner existenz als individuum, abfinden will. so wird also ein weiterleben nach dem tod, ein jenseits, postuliert (stufe eins)
dazu kommt dann das gefühl, im leben hier und jetzt zu kurz zu kommen, nicht recht zu behalten, wo man recht hätte, und nicht zugestanden zu bekommen, was einem zustünde. so wird dann die gerechtigkeit bequemerweise ins jenseits verlagert – wo die im diesseits getretenen nun endlich gerechtigkeit erfahren (stufe zwei)
dazu gehört natürlich, daß die peiniger im jenseits ihre gerechte strafe erhalten (stufe drei). dazu stellt man sich am einfachsten so was wie ein „gericht“ vor, vor dem verhandelt wird, wer sich was zuschulden hat kommen lassen und welche strafe dafür angemessen ist
von diesem „gericht“ (zur herstellung einer jenseitigen gerechtigkeit für das individuum) ist es dann aber nur noch ein kleiner sprung zur bevormundung und unterdrückung des individuums, denn:
wonach soll das „gericht“ denn urteilen? es braucht gesetze, nach denen es entscheiden kann. und wer legt diese fest? nun, die irdischen repräsentanten der jenseitigen gerechtigkeitsinstanz – religionsgründer, kirchen, you name it… und so sind wir schnell bei einer gesinnungsdiktatur im namen einer transzendenten autorität (denn aufs jenseits haben wir ja keinen zugriff)
du bist schwul?
ändere dich, sonst fällst du der verdammnis anheim
du betest nicht fünfmal am tag und hältst den fastenmonat nicht ein?
allah wird dich dafür bestrafen
du fährst am sabbat auto und ißt gerne schinken?
du wirst schon sehen, was du dann im jenseits davon hast, jahwes gebote mißachtet zu haben…
so, und jetzt meine frage:
ist dieses abgleiten in religiöse diktatur eine zwingende folge des konzepts vom jenseits (weiterleben, gerechtigkeit), oder gibt es auch religionen, wo „stufe drei“ nicht in bevormundung und bestrafungsfantasien führt?
und wieder mal: thema verfehlt
Der-Einsiedler
Unregistered
Hallo, Petronius,
siehst Du die Stufen II und III als zwingend an? Ich kenne viele Gläubige und Suchende (einschliesslich meiner eigenen Person), die Stufe I sicherlich für sich bejahen (wobei ich aber eher von nicht abfinden "können" als von nicht abfinden "wollen" sprechen möchte), aber ich kenne so gut wie keinen (mehr), der die beiden anderen Stufen für sich für relevant hielte.
Gruss
DE
(04-05-2009, 12:42)Der-Einsiedler schrieb: Hallo, Petronius,
siehst Du die Stufen II und III als zwingend an? Ich kenne viele Gläubige und Suchende (einschliesslich meiner eigenen Person), die Stufe I sicherlich für sich bejahen (wobei ich aber eher von nicht abfinden "können" als von nicht abfinden "wollen" sprechen möchte), aber ich kenne so gut wie keinen (mehr), der die beiden anderen Stufen für sich für relevant hielte.
"zwingend"würde ich nicht unbedingt sagen. eher schon ist es so, daß imho der wunsch nach einer weiterexistenz nach dem tod in der regel auch damit einhergeht, sozusagen "versäumtes nachzuholen". wenn wir mal von den abrahamitischen religionen weggehen, so ist ja das karmische rad auch so eine art "leben nach dem tode", um gerechtigkeit wirken zu lassen. allerdings weiß ich von hinduistischen vorstellungen zu wenig, um zu beurteilen, inwiefern rituelle frömmigkeit (befolgen von geboten) eine rolle dabei spielt, zu welcher existenz im nächsten leben man "verurteilt wird"
In den 10 Geboten werden Lebensbereiche angesprochen (oder Ebenen), denen eine besondere Achtsamkeit gewidmet wird. Es sind Ebenen, die das ganze Spektrum des Menschen berühren bzw. ausmachen, in denen der Mensch wirkt und sich entfalten kann. Die Beziehung des Menschen zu sich selbst, Gott und die Welt. Ich fasse das ganz bewusst kurz und knapp zusammen. Der Wunsch war wohl, das individuelle wie gemeinschaftliche Leben soll gelingen.
Die Gebote scheinen allesamt auf das Hier und Jetzt bezogen zu sein.
(04-05-2009, 15:39)Marlene schrieb: In den 10 Geboten werden Lebensbereiche angesprochen (oder Ebenen), denen eine besondere Achtsamkeit gewidmet wird. Es sind Ebenen, die das ganze Spektrum des Menschen berühren bzw. ausmachen, in denen der Mensch wirkt und sich entfalten kann. Die Beziehung des Menschen zu sich selbst, Gott und die Welt. Ich fasse das ganz bewusst kurz und knapp zusammen. Der Wunsch war wohl, das individuelle wie gemeinschaftliche Leben soll gelingen und der Mensch in Würde auf Erden leben, im Sinne von Erfüllung und Beziehung, damit verheimatet und freudig leben kann.
Die Gebote scheinen allesamt auf das Hier und Jetzt bezogen zu sein.
von den 10 geboten hab ich ja auch absichtlich nicht gesprochen. mir gehts ja um jene auffassung (die nun wahrlich nicht so wenig verbreitet ist), daß gott wesentlich mehr und detailliertere regeln aufstellt, die es einzuhalten und zu befolgen gilt, um einer verurteilung zu entkommen bzw. nicht verdammt zu werden
oder anders gesagt: nach meiner these greifen kirchen etc. die sehnsucht nach einem leben (und gerchtigkeit) nach dem tode auf, um daraus gehorsam noch ganz anderen vorschriften gegenüber zu erschleichen. so steht ja in den 10 geboten weder was von kondomen noch von frauen in hosen, trotzdem verbietet der papst die ersteren und evangelikale die letzteren. von den vielfältigen vorschriften für strenggläubige muslime oder orthodoxe juden mal ganz zu schweigen
Und was den Himmel, das Jenseits betrifft, wird keiner darüber näher Auskunft geben können. Die Gebote sind sicherlich auch zu erzieherischen Zwecken mißbraucht worden. Die Freiheit an sich, die traut der Mensch dem Menschen (noch) nicht wirklich zu. Das Wilde Leben in uns, soll geformt werden. Dann nennen wir das wiederum Kultur. Ob das ein Himmel ist oder eine Hölle, mag dahingestellt sein.
Ja, jetzt begreife ich, worauf du hinaus willst. Darüber will ich aber noch genauer nachdenken.
(04-05-2009, 15:52)Marlene schrieb: Und was den Himmel, das Jenseits betrifft, wird keiner darüber näher Auskunft geben können
auf der einen seite ist das sicher richtig (und auch für jeden rational denkenden mehr als klar) - auf der anderen seite aber maßen sich doch viele religionsgemeinschaften genau das an
Beiträge: 13885
Themen: 306
Registriert seit: Apr 2004
Ja, das ist etwas, was ich auch nicht so unmittelbar begreife. Ich erkläre mir das mit mythischem Symbolismus. Es geht ja in den Gemeinschaften darum, über Glauben sprechen zu können. Man kann nicht bei jedem Satz sagen: "Ich weiß nicht, aber ich glaube ...". So kommt es im Laufe der Zeit zu einer besonderen Art der "mythologischen" Codierung, die aber inzwischen - also im Geiste des analytischen (zerlegenden) Denkens - nicht mehr verstanden wird. Wir Heutigen müssen einfach zugeben, dass wir das ganzheitliche Denken jenseits der Details zugunsten von Analyse und Synthese verlernt haben.
Beispiel "Hölle": Wir fragen direkt: Welche Temperatur, wie lange, für welche Sünden? anstelle der Frage, wie wir (ganzheitlich) "besser" oder "gelingender" leben können, ohne solche Details zu hinterfragen. Wir müssen also den Gedanken "Hölle" heute anders fassen, um das gleiche Erziehungsziel zu erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Beiträge: 13885
Themen: 306
Registriert seit: Apr 2004
(04-05-2009, 10:54)petronius schrieb: (...) ist dieses abgleiten in religiöse diktatur eine zwingende folge des konzepts vom jenseits (weiterleben, gerechtigkeit), oder gibt es auch religionen, wo „stufe drei“ nicht in bevormundung und bestrafungsfantasien führt? Ich bin sicher, dass der protestantische Mainstream diese Bevormundung abgelegt hat. Ich bin selbst vollkommen davon überzeugt, dass hinter all' dem das bereits beschriebene Formungs- oder Erziehungsprogramm steckt.
Es fängt ja bereits mit der angeblichen Unsterblichkeit an (Stufe eins). Ich glaube nicht daran - jedenfalls nicht im Sinne einer Existenz mit Leib, Schmerz und Lust oder im paulinischen Sinne mit Geistleib. Wenn überhaupt, geht mein Leben im allgemeinen Informationsstrom auf. Wer oder was soll darauf strafend einwirken?
"Gericht" (Stufe zwei) ist auch so eine typische Menschendenke (polares Denken, Rache). Das Erlöschen aller Bedürfnisse mit dem Lebensende beendet auch alle Polarität. Damit erlischt auch alle Schuld. Das mögen Gerechtigkeitsfanatiker nicht gerne hören, aber unsere Erziehung ist heute auch völlig anders als vor 100 Jahren - und darum geht es meiner Meinung nach.
Zu "Stufe drei" (religiöse Bevormundung, Bestrafungsphantasien) kann ich nur wiederholen: nicht im Mainstream des Protestantismus. Gleichwohl kenne ich Menschen, die genau das denken, was in Deinem (Petronius) Anfangsstatement zu finden ist.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
(04-05-2009, 22:56)Ekkard schrieb: Ja, das ist etwas, was ich auch nicht so unmittelbar begreife. Ich erkläre mir das mit mythischem Symbolismus. Es geht ja in den Gemeinschaften darum, über Glauben sprechen zu können. Man kann nicht bei jedem Satz sagen: "Ich weiß nicht, aber ich glaube ...". So kommt es im Laufe der Zeit zu einer besonderen Art der "mythologischen" Codierung, die aber inzwischen - also im Geiste des analytischen (zerlegenden) Denkens - nicht mehr verstanden wird. Wir Heutigen müssen einfach zugeben, dass wir das ganzheitliche Denken jenseits der Details zugunsten von Analyse und Synthese verlernt haben.
Beispiel "Hölle": Wir fragen direkt: Welche Temperatur, wie lange, für welche Sünden? anstelle der Frage, wie wir (ganzheitlich) "besser" oder "gelingender" leben können, ohne solche Details zu hinterfragen. Wir müssen also den Gedanken "Hölle" heute anders fassen, um das gleiche Erziehungsziel zu erreichen.
deiner ansicht nach ist also diese (höllen)strafbewehrte bevormundung völlig unbeabsichtigt ganz von selner entstanden, aus einer art mißverständnis heraus?
niemand hat es ganz nützlich gefunden, die sehnsucht nach einem leben nach dem tode dazu zu nutzen, einen repressionsapparat aufzubauen, in dem den menschen eine permanenete schuld eingeredet wird, weil die vielfältigen vorschriften in der praxis kaum oder nicht alle einzuhalten sind?
(04-05-2009, 23:24)Ekkard schrieb: Ich bin sicher, dass der protestantische Mainstream diese Bevormundung abgelegt hat
du sagst völlig richtig "abgelegt". heißt also, sie war selbstverständlich auch im protestantischen mainstream weit verbreitet - bis der aufgeklärte mainstream eben auch mehr oder weniger säkular geworden ist
hör dich mal außerhalb des mainstreams um (z.b., was evangelikale auch und gerade über diesen mainstream zu sagen haben), und die sache klingt anders
(04-05-2009, 23:24)Ekkard schrieb: Ich bin selbst vollkommen davon überzeugt, dass hinter all' dem das bereits beschriebene Formungs- oder Erziehungsprogramm steckt.
Es fängt ja bereits mit der angeblichen Unsterblichkeit an (Stufe eins). Ich glaube nicht daran - jedenfalls nicht im Sinne einer Existenz mit Leib, Schmerz und Lust oder im paulinischen Sinne mit Geistleib. Wenn überhaupt, geht mein Leben im allgemeinen Informationsstrom auf. Wer oder was soll darauf strafend einwirken?
mit verlaub: dieser dein persönlicher glaube hat mit der organisierten bzw. theologisch definierten religion "christentum" oder "protestantismus" recht wenig zu tun, taugt also nicht zur beurteilung der frage, ob und inwieweit das stufenkonzept für religionen typisch oder sogar unabwendbar ist
daß man sich von religiösen vorstellungen und dogmen auch lösen kann, ist schon klar und bestreite ich nicht
Im Bewusstsein vieler Menschen wird vielleicht ein hierarchisches Konzept vorhanden sein, frei nach dem Motto:
Es wird eine ausgleichende Gerechtigkeit geben (Jenseits).
Das wiederum kann zu einem Fatalismus führen, der Zustände belässt, obwohl diese lebensfeindlich sein können.
Siehe: Die Klassen(Schichten)Diskussion, ungerechte Zustande und Handlungen, Armut, Krankheit, Unrecht, Kriege, um nur einige Beispiele anzuführen.
Eigentlich, so meine These, müsste Religion - vor allem die christliche - dazu ermuntern, vielen unmenschlichen Zuständen zu widerstehen, aufzubegehren und aktiven wie passiven Widerstand zu leisten.
Es heisst ja eindeutig, der Himmel sei im Menschen und Gott sei ein Gott des Lebens.
Um auf das Konzept von Hölle nochmals einzugehen, müssten wir uns auf verschiedenen Weg dem Thema nochmals nähern.
In dieser Diskussion bzw. Frage, dreht sich das Konzept "Hölle" darum, ob und wie weit Religionen/Systeme sich dieses Kunstgriffes bedienen und dabei instrumentalisieren. Tun sie das und wenn, wie? Warum reagieren Menschen darauf?
|