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04-09-2024, 17:17
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04-09-2024, 17:22 von subdil.)
Ungeachtet aller Fragen bezüglich des menschlichen Bewusstseins, dessen möglicher Weiterexistenz nach dem Tod und dem möglichen Vorhandensein höherer Welten usw. was hier ja nun schon öfters durchdiskutiert wurde, habe ich hier bisher erstaunlicherweise noch gar nichts zum Thema Determinismus VS. Willensfreiheit gelesen.
Lasst uns hier mal alle Streitigkeiten über "Metaphysisches" ignorieren und uns auf eine ganz simple Frage konzentrieren:
Hat der Mensch einen freien Willen oder nicht?
Diese Frage wird von den meisten Menschen wohl mit Ja beantwortet. Denn im alltäglichen Leben fühlt es sich so an, als ob wir autonom entscheiden, was wir tun. Ich überlege mir, was ich mir heute zum Mittagessen mache. Dann nehme ich mir die Zutaten, mische sie nach meinem persönlichen Geschmack usw... all dies scheint "frei" abzulaufen. Aber ist dies wirklich so?
Der amerikanische Neurowissenschaftler und Philosoph Sam Harris ist meines Erachtens der überzeugendste Vertreter des deterministischen Weltbildes. Er nimmt solche Beispiele, wie ich es oben geschildert habe, immer auf folgende Art unter die Lupe: Ich entscheide zum Beispiel, dass ich Spaghetti koche. Wie komme ich zu dieser Entscheidung? Irgendwann einmal in der Kindheit wurden Spaghetti zu einem meiner Lieblingsgerichte, deshalb esse ich sie heute noch gerne. Aber wieso wurden Spaghetti zu einem dieser Lieblingsgerichte und nicht etwas anderes? Habe ich mir dies ausgesucht? Nein, es schmeckt mir einfach besser als Reis, ohne dass ich dies begründen könnte.
Unsere individuellen Vorlieben, was wir gerne essen, welche Musik wir mögen, welche Bücher wir interessant finden usw. - all das haben wir uns ja nicht ausgesucht, sondern wir können letztlich nicht begründen, warum wir irgendetwas besser als etwas anderes finden. All das ergibt sich aus unserer Lebensgeschichte und der Interaktion mit anderen Menschen, aber nirgends ist hier ein autonomes Selbst, welches frei festlegt, was es will und warum es das will und nichts anderes.
Schopenhauer hat es so formuliert:
Der Mensch kann tun was er will, aber er kann nicht wollen was er will.
Dieser Satz bringt es eigentlich perfekt auf den Punkt. Alle unsere scheinbar freien Entscheidungen beruhen auf früheren Entscheidungen, diese beruhen wieder auf früheren Entscheidungen usw... und irgendwann verliert sich alles in einem Nebel aus Genetik, frühkindlichen Prägungen und unbewussten Abläufen im Gehirn bzw. dem Geist oder was auch immer letztlich die zugrundeliegende "Hardware" ist.
Für mich persönlich ist die Frage Determinismus oder Willensfreiheit nicht entschieden gelöst. Wenn ich mir die Ausführungen von Sam Harris zu diesem Thema anhöre bzw. über diese Ausführungen nachdenke oder schreibe, so wie jetzt gerade, dann bin ich von der Logik und der Folgerichtigkeit seiner Argumente überzeugt und denke, dass wir wirklich keinen freien Willen haben und dem Determinismus unterworfen sind. Wenn ich aber diese Ausführungen, so logisch sie auch sind, dann wieder vergesse und das alltägliche Leben weiter geht, dann überwiegt wieder das Gefühl, das wir alle haben, dass wir autonom handeln und in jeder Situation frei entscheiden.
Da hier für viele das Thema Physik wichtig zu sein scheint, ist hier noch eines der wichtigsten Argumente von Harris, nämlich: Gäbe es den freien Willen des Menschen, würde dies bedeuten, dass die Gesetzte der Physik ab der Grenze unseres Körpers nicht mehr gelten, denn physikalisch betrachtet ist die Freiheit des Willens ausgeschlossen, weil alles auf Ursache und Wirkung beruht. Dann müsste man sich wirklich fragen: Kann das sein, dass die Gesetze von Ursache und Wirkung für uns nicht gelten, obwohl sie für das ganze restliche Universum gelten?
Dieses Thema ist meines Erachtens so spannend, dass ich da jetzt noch vieles dazu schreiben könnte, aber ich warte erst mal ab, ob hier auch andere ein Interesse daran haben. Denn es ist doch letztlich eine der existentiell tiefgehendsten Fragen die es gibt, wenn man bedenkt, was die Konsequenzen in den verschiedensten Richtungen wären, wenn tatsächlich alles seit dem Urknall und bis zum Ende des Universums determiniert ist und wir somit hier letztlich eher "einen Film schauen" als das wir "tatsächliche Handlungen vollziehen" würden.
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04-09-2024, 21:57
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04-09-2024, 22:12 von Geobacter.)
Der Freie Wille kommt als blindes Huhn zur Welt... Muss also erst mal raten, probieren..... durch irren Erfahrung sammeln. Wer hat schon das Glück, dass es bereits beim ersten Versuch immer klappt.
Und freilich, allerkleinste Schwankungen bezüglich Anfangsbedingung, führen auf weiter Strecke sehr oft zu unerwarteten Ereignissen katastrophalen Ausmaßes.
Selbst wenn man die Zeit auf Null zurück stellen würde und dabei hinter der 19tenten Kommastelle auch nur geringst-fügig schlampt, würde wieder alles ganz anders kommen als erwartet.
Gewiss... bedingt das eine immer das andere. Aber Unsere Welt funktioniert eher wie ein chaotisches Pendel, als denn wie ein statisches Uhrwerk. Und was nützt einem dann noch der freie Wille, wenn es doch immer anders kommt als gedacht.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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04-09-2024, 22:06
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04-09-2024, 22:08 von Ulan.)
Zum freien Willen gibt's hier eigentlich schon ein paar Diskussionen. Dass es so etwas wie freien Willen nicht gibt, ist eine nicht unwahrscheinliche Annahme, fuer die es aus biologischen und physikalischen Beobachtungen gute Argumente gibt. Abschliessend entscheiden laesst sich das wohl leider nicht.
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1. Anmerkung: Dass eine Geschehensabfolge determiniert abläuft, heißt nicht, dass sie in allen Fällen "berechenbar" sei. Sondern es kommt sehr darauf an, welche Randbedingungen in jedem Schritt gegeben sind. Und da gibt es durchaus so etwas wie "Störfeuer", was sich zufällig ergibt.
2. Anmerkung: Der Freie Wille wurde hier schon mehrfach diskutiert mit keinem klaren Ergebnis.
Freier Wille und Determinismus haben nicht unmittelbar miteinander zu tun. Unsere Willensbildung hängt, wie zuvor erwähnt, mit den gerade geltenden Randbedingungen zusammen. Der planende Wille richtet sich also nach zufällig gerade vorhandenen Möglichkeiten, gar Zwängen. Er wird daher Folge einer u. U. chaotischen Vorgeschichte. Er entzieht sich damit der Berechenbarkeit. Dabei verwende ich den Begriff "berechenbar" sehr weitgehen auch als "abschätzbar", "feststellbar" und ähnlich.
Meiner Meinung nach ist "freier Wille" nur dann gegeben, wenn kein Zwang aus dem Umfeld vorliegt. Und gesellschaftliche Zwänge liegen praktisch immer vor. Das ist die Crux von Wesen, die stark vergesellschaftet sind, wie wir Menschen. Unser Bewusstsein ist nichts anderes als Ausdruck unserer Anbindung an das gesellschaftliche Umfeld.
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Ekkard
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(04-09-2024, 22:06)Ulan schrieb: Abschliessend entscheiden laesst sich das wohl leider nicht.
(04-09-2024, 22:12)Ekkard schrieb: Der Freie Wille wurde hier schon mehrfach diskutiert mit keinem klaren Ergebnis.
Vielleicht können wir ja doch etwas Licht ins Dunkel bringen. Ich bin ja bei dieser Frage wie gesagt selber unentschieden, aber meines Erachtens ist halt wirklich das einzige Argument für die Willensfreiheit das, dass es sich aus der Egoperspektive halt so anfühlt, als ob man freie Entscheidungen treffen würde - allerdings auch nur an der Oberfläche, wie ich später beschreiben werde. Alle anderen logischen Argumente sprechen meines Erachtens dagegen. Ich werde hier 1:1 die Argumentation von Sam Harris wiedergeben, weil ich sie am überzeugendsten finde. Wer das Original sehen will, gibt bei YouTube "Sam Harris Free Will" ein, da findet man etliche Videos.
(04-09-2024, 21:57)Geobacter schrieb: Der Freie Wille kommt als blindes Huhn zur Welt...
Zunächst einmal müssten wir klären, was überhaupt mit Willensfreiheit gemeint ist. Sonst reden wir vielleicht aneinander vorbei. Ein freier Wille nach meiner/Harris Definition wäre eine vom restlichen Kosmos komplett unabhängige Entität, die 100% freie Willensentscheidungen fällt. Nicht 80% frei. Nicht 95% frei. 100% frei. Eine eingeschränkte Freiheit ist keine Freiheit mehr.
Nehmen wir ein Beispiel: Suche dir irgendeine Stadt auf der Welt aus. Mir fällt ein: Paris. Inwiefern war diese Entscheidung jetzt frei? Diese Stadt ist mir einfach als erstes eingefallen, vielleicht weil ich gestern eine Reportage gesehen habe, die in Paris gedreht wurde. Hätte ich diese Reportage nicht gesehen, wäre mir vielleicht als erstes Washington eingefallen, weil ich gestern einen Bericht über den US-Wahlkampf gesehen habe. Und so weiter... Keine dieser Entscheidungen für eine Stadt kann unabhängig von irgendwelchen Ursachen geschehen, die in der Vergangenheit liegen und somit nicht mehr beeinflussbar sind.
Hier also erst mal die Frage an dich/euch: Würdest du bzw. würdet ihr mir so weit zustimmen, dass diese Entscheidungen für eine Stadt nicht frei sind, sondern von allen möglichen Faktoren inspiriert sind, auf die ich keinen Einfluss habe? Wenn ihr dem nicht zustimmt, und sagt, dass diese Entscheidungen frei sind, müsstet ihr aber auch begründen warum, und warum die von mir geschilderte Herleitung der Entscheidung nicht zutreffend ist.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 15:14 von Geobacter.)
(05-09-2024, 13:54)subdil schrieb: (04-09-2024, 21:57)Geobacter schrieb: Der Freie Wille kommt als blindes Huhn zur Welt...
Zunächst einmal müssten wir klären, was überhaupt mit Willensfreiheit gemeint ist. Sonst reden wir vielleicht aneinander vorbei. Freier Wille bedeutet für mich, dass ich aus einer Auswahl eigener Erfahrungen, Empfehlungen vertrauenswürdiger Artgenossen und überlieferten Erfolgsrezepten frei wählen kann und also in etwa weis was mich erwartet.
Leider gibts halt aber auch viel zu viele Amateur -"Wichtel" / professionelle Influencer und andere psychadelische und spirituelle Neurotiker, die alle und immer nur unser Bestes wollen.... Da muss man sich dann schon ... auch erst mal sicher sein, was man nicht will. Und diese Freiheit im Wollen und nicht wollen ist mir besonders wichtig.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 15:36 von subdil.)
(05-09-2024, 15:06)Geobacter schrieb: Freier Wille bedeutet für mich, dass ich aus einer Auswahl eigener Erfahrungen, Empfehlungen vertrauenswürdiger Artgenossen und überlieferten Erfolgsrezepten frei wählen kann und also in etwa weis was mich erwartet.
Ich kann halt nicht erkennen, wo da die Freiheit sein soll. Deshalb mein Beispiel mit der ausgewählten Stadt. Schon auf dieser super-simplen Ebene sehe ich keine Freiheit in der Entscheidung, wie oben beschrieben. Und je komplexer die Themen, desto weniger Freiheit, weil noch mehr Einflüsse, gerade auch von anderen Artgenossen, auch wenn sie vertrauenswürdig sind.
Letztlich läuft es immer wieder auf folgende Überlegung hinaus: Wir denken, wenn auch eher implizit als explizit, dass wir rein theoretisch in der Zeit zurück reisen können und uns anders entscheiden könnten, also ich könnte zurück und als Stadt Berlin statt Paris wählen. Aber dies steht wieder in direktem Konflikt mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Wenn wir in der Zeit zurück gehen würden, wären wieder alle Voraussetzungen gleich, also unsere Erinnerungen, unsere Tagesform, ob wir gerade hungrig oder satt sind usw... und wenn alle Faktoren exakt gleich sind, würden wir auch wieder exakt die selbe Wahl treffen. Deshalb ist da eben keine Freiheit im eigentlichen Sinne des Wortes.
Was es natürlich trotzdem gibt, sind eigene Entscheidungen (du hast diesen Begriff selber verwendet, deshalb habe ich ihn fett markiert). Würdest du mir insofern zustimmen, dass das was du beschreibst eigene Entscheidungen aber keine 100% freien Entscheidungen sind?
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05-09-2024, 16:19
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 16:44 von Geobacter.)
Ich verstehe was du meinst. Nur für mich hat das alles mit freiem Willen überhaupt nichts zu tun. Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist relativ. Auch wenn das eine das andere bewirkt, ist unser Welt kein statisches Uhrwerk, sondern funktioniert wie ein chaotisches Pendel. Ein Pendel das aus vielen Gliedern besteht.. Von Reisen in die Zeit zu träumen, um Entscheidungen zu korrigieren...rückgängig zu machen oder auch zu wiederholen ... hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun in der wir wirklich leben und für welche ja die Frage gilt, ob es in dieser Wirklichkeit den freien Willen gibt.
Ich treffe viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus, wenn es um mein Wohlbefinden und günstige Aussichten auf noch mehr davon geht. Je nach Wetter, Stimmung und Laune, welche wiederum auch vom Befinden all jener ab- und oder damit irgendwie zusammenhängt... die mir am nächsten sind. Klar, wenn alle Faktoren passen, würde ich mich nächstes mal ziemlich ähnlich, oder genau gleich entscheiden. Insoweit, sehe ich das mit dem freien Willen ziemlich locker..
Ich sagte übrigens schon, der freie Wille kommt als "Blindes Huhn" zur Welt und muss erst mal durch Versuch und Irrtum herausfinden, was er nicht will und was es sich lohnt zu wollen. Das heißt, möglichst auch aus den Irrtümer anderer blinder Hühner und Pilzsammler zu lernen...
Und die Menschen denen man begegnet, kann man sich ohnehin nie freiwillig aussuchen.
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Hallo 'subdil',
in den wesentlichen Punkten stimme ich mit der Position von 'Geobacter' überein. Bei genauer Betrachtung ist das aber eine subjektive Ebene.
Was die Harris-Diskussion sagt, ist mehr oder weniger: Es gibt keinen Freien Willen.
Das bestreite ich gar nicht. Aber folgendes Statement ist sicher falsch:
(05-09-2024, 15:35)subdil schrieb: Wenn wir in der Zeit zurück gehen würden, wären wieder alle Voraussetzungen gleich, also unsere Erinnerungen, unsere Tagesform, ob wir gerade hungrig oder satt sind usw... und wenn alle Faktoren exakt gleich sind, würden wir auch wieder exakt die selbe Wahl treffen. Dieses "exakt" existiert einfach nicht. Keiner der historischen Weltzustände ist "exakt" - nie! Wir sind vor allem auf der Quantenebene vom Zufall abhängig.
Die Denkschwierigkeiten liegen in einer nicht existierenden Idealiesierung der Weltzustände.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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05-09-2024, 19:48
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 19:49 von subdil.)
(05-09-2024, 16:19)Geobacter schrieb: Ich verstehe was du meinst. Nur für mich hat das alles mit freiem Willen überhaupt nichts zu tun.
Dies ist der häufigste und auch beste Einwand gegen das Modell von Sam Harris. Das mag ja alles stimmen, aber es hat nichts mit dem freien Willen zu tun. Hier ist eben das Problem, dass jeder so seine eigene Definition von "freier Wille" hat. Wenn man nachhakt, stellt sich meistens heraus, dass man von 20 Leuten mindestens 15 verschiedene Antworten bekommt. Insofern ist Sams auf die Spitze getriebene Definition des freien Willens als ein absolut autonomer, 100% unabhängiger "Zauberwille" vielleicht einfach ein Strohmann - wenn auch kein beabsichtigter. Denn es ist nur die allerkonsequenteste Interpretation des Wortes "frei". Vielleicht sind aber die Leute gar nicht konsequent, wenn sie dieses Wort benutzen und meinen eigentlich etwas ganz anderes als das was Harris ihnen "unterjubelt".
(05-09-2024, 16:19)Geobacter schrieb: Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist relativ. Auch wenn das eine das andere bewirkt, ist unser Welt kein statisches Uhrwerk, sondern funktioniert wie ein chaotisches Pendel. Ein Pendel das aus vielen Gliedern besteht..
Das verstehe ich jetzt nicht ganz, weil ich es mir nicht bildlich vorstellen kann. Ein Pendel bewegt sich von links nach rechts und wieder zurück usw... Aber die Welt bewegt sich doch konsequent in Richtung Zukunft, also in eine Richtung und nicht hin und her. Vielleicht kannst du genauer erläutern, was du damit meinst.
(05-09-2024, 16:19)Geobacter schrieb: Von Reisen in die Zeit zu träumen, um Entscheidungen zu korrigieren...rückgängig zu machen oder auch zu wiederholen ... hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun in der wir wirklich leben und für welche ja die Frage gilt, ob es in dieser Wirklichkeit den freien Willen gibt.
Das war lediglich ein Gedankenspiel und sollte nicht zu wörtlich verstanden werden. Ich sagte ja "rein theoretisch". Es ist so - auch wieder ein Gedankenspiel - wie wenn man einen Film um zwei Minuten zurück spult und dann wieder auf Play drückt. Es würde wieder exakt die selbe Reihenfolge der Ereignisse stattfinden wie zuvor und keine Handlung würde sich ändern. Dies ist einfach eine bildhafte Darstellung des Konzepts des Determinismus. Willensfreiheit würde bedeuten, dass der Film jedes Mal anders abläuft, wenn man nach dem zurück Spulen wieder auf Play drückt.
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(05-09-2024, 18:00)Ekkard schrieb: (05-09-2024, 15:35)subdil schrieb: Wenn wir in der Zeit zurück gehen würden, wären wieder alle Voraussetzungen gleich, also unsere Erinnerungen, unsere Tagesform, ob wir gerade hungrig oder satt sind usw... und wenn alle Faktoren exakt gleich sind, würden wir auch wieder exakt die selbe Wahl treffen.
Dieses "exakt" existiert einfach nicht. Keiner der historischen Weltzustände ist "exakt" - nie! Wir sind vor allem auf der Quantenebene vom Zufall abhängig.
Nur damit ich dich richtig verstehe: Du sagst also - um in meinem oben beschriebenen Gedankenspiel zu bleiben - dass, wenn man den Film der kosmischen Ereignisse zurück spulen und wieder auf Play drücken würde, dass dann jedes Mal ein neuer Film dabei heraus kommen würde? Und dies hat aber nichts damit zu tun, dass es etwa einen freien Willen (oder auf den Kosmos bezogen eine riesige Anzahl an verschiedenen freien Willen) gäbe, der oder die sich jedes mal neu und anders entscheiden, sondern dass diese Veränderungen hervorgerufen werden durch zufällige Quanteneffekte?
Nun diese Möglichkeit besteht sicher. Aber meines Wissens nach haben Quanteneffekte auf der makroskopischen Ebene keine Auswirkungen. Also die Auswirkungen wären so minimal, dass sie "Mittelerde" nicht betreffen würden. Und an der Unfreiheit des Willens, welche du ja ebenfalls anerkennst, würde sich dadurch natürlich auch nichts ändern, ganz im Gegenteil. Sollten zu all den anderen zahlreichen Einflüssen auf unsere scheinbare Willensbildung zudem auch noch zufällige Quanteneffekte bis hinauf in die Sphäre unserer Entscheidungen wirken, so wäre dies nur noch eine weitere Verstärkung der ohnehin schon vorhandenen Unfreiheit des Willens.
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(05-09-2024, 19:48)subdil schrieb: (05-09-2024, 16:19)Geobacter schrieb: Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist relativ. Auch wenn das eine das andere bewirkt, ist unser Welt kein statisches Uhrwerk, sondern funktioniert wie ein chaotisches Pendel. Ein Pendel das aus vielen Gliedern besteht..
Das verstehe ich jetzt nicht ganz, weil ich es mir nicht bildlich vorstellen kann. Ein Pendel bewegt sich von links nach rechts und wieder zurück usw... Aber die Welt bewegt sich doch konsequent in Richtung Zukunft, also in eine Richtung und nicht hin und her. Vielleicht kannst du genauer erläutern, was du damit meinst.
Zum Doppelpendel, das statt einem zwei miteinander durch ein Gelenk verbundene Pendelteile besitzt, findest Du im Internet viele Simulationen. Es ist ein schoenes Beispiel fuer ein chaotisches System, dessen Bewegung selbst bei gleichen Ausgangsbedingungen irgendwann unweigerlich divergiert.
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05-09-2024, 20:08
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 20:10 von Geobacter.)
(05-09-2024, 15:35)subdil schrieb: Was es natürlich trotzdem gibt, sind eigene Entscheidungen (du hast diesen Begriff selber verwendet, deshalb habe ich ihn fett markiert). Würdest du mir insofern zustimmen, dass das was du beschreibst eigene Entscheidungen aber keine 100% freien Entscheidungen sind?
Was sind freie Entscheidungen? Jeder Vogel stirbt, wenn er kein Futter findet. Keine Frau wird sich aus freiem Willen dafür entscheiden, überfallen und vergewaltigt zu werden. Aber sie wird sich vielleicht entscheiden, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, nicht in eine solche Notsituation zu geraten. Nur ist das in jedem Fall zu 100% ihre freie Entscheidung.
Du wirst jetzt sicher sagen, ja aber...
....weil sie doch wisse, dass die Wahrscheinlichkeit als Frau Opfer einer Vergewaltigung zu werden relativ hoch ist, ist ihre Entscheidung dennoch nicht frei.
Ich meine... dass weil es aber doch wieder auch sehr viele Frauen gibt die viel zu wenig, oder überhaupt keine solche Vorkehrungen treffen, kann man sich jetzt zu 100% frei für die eine oder andere Meinung entscheiden..
Die Freiheit der Armen ist subjektiv...Objektive Freiheit können sich meist nur reiche Leute leisten.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-09-2024, 21:24 von Ekkard.
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)
(05-09-2024, 20:06)subdil schrieb: Nur damit ich dich richtig verstehe: Du sagst also - um in meinem oben beschriebenen Gedankenspiel zu bleiben - dass, wenn man den Film der kosmischen Ereignisse zurück spulen und wieder auf Play drücken würde, dass dann jedes Mal ein neuer Film dabei heraus kommen würde? Genau das!
(05-09-2024, 20:06)subdil schrieb: Aber meines Wissens nach haben Quanteneffekte auf der makroskopischen Ebene keine Auswirkungen. Doch - und zwar durch sich ständig wiederholende Zustandsänderungen. Aber soweit braucht man gar nicht zu gehen: Unser Wetter ist ein gutes Beispiel für einen anderen Ablauf, wenn auch nur kleine Änderungen irgendwo stattfinden. Man sagt, das Wetter verhalte sich chaotisch.
(05-09-2024, 20:06)subdil schrieb: Also die Auswirkungen wären so minimal, dass sie "Mittelerde" nicht betreffen würden. Das ist nur im Einzelfall so. Bei sich ständig wiederholenden Zustandsänderungen schaukeln sich Effekte sehr wohl auf.
(05-09-2024, 20:06)subdil schrieb: Sollten zu all den anderen zahlreichen Einflüssen auf unsere scheinbare Willensbildung zudem auch noch zufällige Quanteneffekte bis hinauf in die Sphäre unserer Entscheidungen wirken, so wäre dies nur noch eine weitere Verstärkung der ohnehin schon vorhandenen Unfreiheit des Willens. Ich denke, dass dies so ist.
Aber beachte, dass die Willensbildung so chaotisch ist, wie das Wetter. Es kommt also auf die makroskopischen Randbedingungen an, wie wir uns gerade entscheiden. Das Wichtige ist, dass auf der gesellschaftlichen Ebene (Staat, Recht, Normen) kein Zwang ausgeübt wird, damit die Willensbildung als "frei" bezeichnet werden kann. Dass die Willensbildung Ursachen bis hinunter in die Quantenebene hat, ändert an dieser politischen Frage nach Freiheit nichts.
Kurzum: Der Freie Wille ist ein politisches Konstrukt, kein physikalisches.
Mit freundlichen Grüßen
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 13-09-2024, 16:44 von subdil.)
(05-09-2024, 20:08)Geobacter schrieb: Was sind freie Entscheidungen? Jeder Vogel stirbt, wenn er kein Futter findet. Keine Frau wird sich aus freiem Willen dafür entscheiden, überfallen und vergewaltigt zu werden. Aber sie wird sich vielleicht entscheiden, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, nicht in eine solche Notsituation zu geraten. Nur ist das in jedem Fall zu 100% ihre freie Entscheidung.
Du wirst jetzt sicher sagen, ja aber...
....weil sie doch wisse, dass die Wahrscheinlichkeit als Frau Opfer einer Vergewaltigung zu werden relativ hoch ist, ist ihre Entscheidung dennoch nicht frei.
Ich meine... dass weil es aber doch wieder auch sehr viele Frauen gibt die viel zu wenig, oder überhaupt keine solche Vorkehrungen treffen, kann man sich jetzt zu 100% frei für die eine oder andere Meinung entscheiden...
Dazu ein Schopenhauer-Zitat:
"Jedem Willensakt geht ein zureichender Grund voran. Jedes Wollen hat Ursachen und ist somit kausal bedingt. Ohne einen zureichenden Grund kann der Willensakt nicht eintreten und ist der zureichende Grund da, dann muss der Willensakt eintreten".
Dieses Zitat ist in dem Sinne genial, als dass es wirklich das ganze Problem der (nicht vorhandenen) Willensfreiheit sehr anschaulich auf den Punkt bringt. Jede Entscheidung basiert auf einer Kausalkette, die wie weit zurück reicht? Bis vor zwei Stunden? Bis vor zwei Wochen? Bis vor zwei Jahren? Bis zu unserer Geburt? Bis zur Geburt unserer Eltern? Unserer Großeltern? ... und so weiter, bis wohin? Zur Entstehung der Menschheit? Entstehung der Erde? ... Letztlich bis zum Urknall. Erst dort trifft man auf eine Singularität, was keineswegs bedeutet, dass dort die Kausalkette beginnt. Vielleicht können wir einfach ab dort keine Kausalkette mehr erkennen, aber sie geht dennoch weiter.
Der zweite Teil des Zitats beschreibt dann sehr anschaulich, warum die Entscheidung nicht nur auf einer sehr langen, vielleicht sogar endlosen bzw. anfangslosen Kausalkette beruht, auf die wir keinen Einfluss haben, sondern dass sie auch in keinem Fall als "frei" bezeichnet werden kann: Denn ohne einen zureichenden Grund kann keine Entscheidung getroffen werden, aber ist der zureichende Grund da, dann muss der Willensakt eintreten. Wo ist da die Freiheit?
Ich denke, es läuft immer wieder darauf hinaus, dass die Leute den Begriff "frei" hier leichtfertig verwenden. Niemand stellt in Abrede, dass es so etwas wie persönliche Entscheidungen oder individuelle Entscheidungen gibt. Der eine plant stets alles millimetergenau voraus, der andere ist ein Chaot und lebt in den Tag hinein. Beide werden sehr, sehr unterschiedliche Entscheidungsprozesse haben, die zu ihren Willensakten führen, aber Freiheit ist da nirgends, ganz im Gegenteil. In diesem Beispiel diktiert der Charakter (Vorausplaner oder Chaot) die Willensentscheidung. Den Charakter sucht man sich nicht aus, der ergibt sich aus der angeborenen Genetik, der elterlichen Erziehung, der Kultur, in der man aufwächst und darüber hinaus aber auch individuellen Erlebnissen und eventuellen Schicksalsschlägen. Ich kann einfach nirgendwo Freiheit in der Willensbildung erkennen und je genauer man sich damit befasst, umso weniger Freiheit findet man da.
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