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Die Energieblindheit der Menschheit und die Zukunft der Zivilisation
#1
Wir stellen uns die Zukunft der menschlichen Zivilisation meistens so vor, dass der technologische Fortschritt, den wir in den vergangenen Jahrhunderten erlebt haben, immer weiter gehen und sich sogar noch weiter beschleunigen wird. Daraus entstehen dann alle bekannten Utopien und Dystopien bezüglich eines hochtechnisierten Paradieses oder eines hochtechnisierten Überwachungsstaates. Was aber wenn beides, High-Tech-Utopie und High-Tech-Dystopie, unrealistisch ist - und zwar wegen einem Phänomen, das Energieblindheit genannt wird.

Energieblindheit bedeutet, dass wir dazu tendieren, unsere technologischen und zivilisatorischen Errungenschaften der menschlichen Intelligenz und Vernunft zuzuschreiben, dabei aber übersehen, wie entscheidend für alle diese Errungenschaften der (scheinbar) endlose Vorrat und Nachschub an Energie ist, welcher nur gewonnen werden kann aus fossilen Brennstoffen. Gleiches gilt auch für den Fortschritt in der wissenschaftlichen Forschung. Es ist nicht so, dass die Intelligenz und die Fähigkeiten der Menschheit in den vergangenen paar hundert Jahren plötzlich rapide zugenommen hätte, sondern es ist ganz einfach so, dass nur durch die Abgabe von körperlicher Arbeit an Maschinen und Technologien überhaupt die Zeit - und die Energie - dazu da ist, dass die Wissenschaft sich immer weiter spezialisieren kann. Dasselbe gilt natürlich auch für alle Bereiche der Kultur usw... (naturgemäß kann ich hier nicht mit allen Punkten ins Detail gehen und biete nur einen groben Überblick, ansonsten wird das Posting viel zu lang. Ich kann bei Interesse aber auf weiterführende Quellen verweisen). 

Das Problem hierbei ist nun ein ganz simples und eigentlich auch bekanntes: Fossile Brennstoffe sind begrenzt. Es wird immer schwieriger, weitere Vorräte zu finden und es kostet immer mehr Energie, um die noch verbliebenen Vorräte zu bergen. Auch lässt die Qualität der noch verbliebenen Vorräte immer mehr nach, es wird sich also immer weniger lohnen, weitere Vorräte zu suchen und auszubeuten. Irgendwann wird dieses System der Plünderung der fossilen Brennstoffe an seine Grenzen stoßen und wahrscheinlich wird dies schon in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten der Fall sein. 

Dies bedeutet für die Zukunft der Menschheit, dass ganz im Gegensatz zu den genannten Utopien und Dystopien, der technologische und wissenschaftliche Fortschritt schon in naher Zukunft einen Scheitelpunkt erreichen wird. Nach diesem Scheitelpunkt wird die Entwicklung in Sachen Technologie und Wissenschaft zuerst stehen bleiben und sich dann schrittweise wieder zurück entwickeln. Es wird keine Grundmaterialien mehr für die massenhafte Herstellung von Computern, Handys, Spielkonsolen und all dem anderen Schnickschnack geben, den wir nicht nur für garantiert nehmen sondern dessen grenzenlose Weiterentwicklung wir alle erwarten. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird es zuerst die "Berufsgruppen" erwischen, die diesen Namen kaum verdienen, die sogenannten "Bullshit Jobs" in der Wirtschaft oder die "Influencer" im Internet. Der Trend wird generell dahingehen, dass die Menschen wieder mehr praktische Arbeit verrichten werden, weil es immer weniger Maschinen und Technologie geben wird, die ihnen diese Arbeit abnimmt.

Ich denke, man kann ohne Übertreibung davon ausgehen, dass - wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt - wir in den nächsten 100 bis 200 Jahren eine Rückkehr der Menschheit so in etwa auf den Stand des späten Mittelalters erleben werden. Denn die technologische und wissenschaftliche Rückentwicklung ist natürlich kein bodenloses Fass. Sie endet dort, wo die flächendeckende Abhängigkeit von Energie endet, die nur durch fossile Brennstoffe gewonnen werden konnte - also im vorindustriellen Zeitalter. Dort wird sich der Stand der Technologie und der verfügbaren wissenschaftlichen Methoden dann einpendeln. 

Ich möchte an dieser Stelle noch hinzufügen, dass all diese Überlegungen ohne eine Wertung meinerseits beschrieben wurden. Ich sage weder, dass dieses Szenario für die Menschheit besonders schlecht, noch, dass es besonders gut wäre. Ich denke einfach, dass es unausweichlich ist. Einerseits werden solche Entwicklungen natürlich von sozialen Unruhen und ähnlichen Begleiterscheinungen gezeichnet sein. Andererseits wird eine Rückkehr zur Natur - oder zumindest wieder in die Nähe der Natur - der Menschheit auf der spirituellen Ebene sicherlich sogar gut tun. 

Was vorausblickend jedenfalls jetzt schon interessant wäre, dass wäre zu wissen, wie die Menschen in dieser Zukunft auf unsere heutige Zeit zurückblicken werden. Aufwachsende Generationen werden sich sehr schnell an die neuere, simplere, mehr der Natur angepasste Umwelt gewöhnen, da sie nichts anderes kennen werden, so wie wir heutzutage nichts anderes kennen, als unsere High-Tech-Zivilisation. Schon bald werden die Erzählungen aus "der alten Welt" (also unserer, heutigen Welt) zum Mythos, zur Legende werden. Durch den Rückschritt der Wissenschaft wird es auch immer weniger gesichertes Wissen geben, im Laufe der Jahrhunderte wird sich die Menschheit vielleicht wieder mehr den Religionen widmen - oder sogar ganz neue Weltanschauungen hervorbringen, die inspiriert sind von der untergegangenen Hochzivilisation, aus der heraus diese neue Welt entstanden ist. 

Ich wollte diese Sichtweise hier einmal teilen, weil nur ganz wenige Leute dieses Szenario überhaupt kennen - obwohl es doch meines Erachtens wesentlich wahrscheinlicher ist als eine High-Tech-Utopie oder Dystopie, welche immer von einem grenzenlosen und sogar wachsenden Vorrat an fossilen Brennstoffen und somit einer niemals zu erschöpfenden Energiequelle ausgeht, welche es aber realistisch betrachtet einfach nicht gibt.
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#2
(17-11-2024, 17:51)subdil schrieb: Energieblindheit bedeutet, dass wir dazu tendieren, unsere technologischen und zivilisatorischen Errungenschaften der menschlichen Intelligenz und Vernunft zuzuschreiben, dabei aber übersehen, wie entscheidend für alle diese Errungenschaften der (scheinbar) endlose Vorrat und Nachschub an Energie ist, welcher nur gewonnen werden kann aus fossilen Brennstoffen.

Und warum stellen wir gerade die Energiewirtschaft auf erneuerbare Energiequellen um? Im Vergleich zu der Energie, die wir aus fossilen Rohstoffen ziehen, ist das Potential aus erneuerbaren Quellen ungleich hoeher. Beim Strom ist das bei uns schon etwa die Haelfte der Erzeugung, Verkehr muss noch nachziehen. Im Prinzip sind private Haushalte ja schon angehalten, auf einen Mix aus Solarenergie und Waermepumpe umzustellen, und die eigene Steckdose fuer das Elektroauto mag irgendwann auch Standard werden. Solche Untergangsszenarien haben als Zweck eigentlich nur, uns endlich zum Handeln zu bringen.
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#3
(17-11-2024, 18:35)Ulan schrieb: Und warum stellen wir gerade die Energiewirtschaft auf erneuerbare Energiequellen um?


Deutschland ist, was das betrifft, sicherlich ein Vorreiter, aber in weiten Teilen der restlichen Welt sieht die Sache noch ganz anders aus. Die USA unter Trump dürften zumindest für die nächsten vier Jahre auch wieder in eine andere Richtung gehen. 


(17-11-2024, 18:35)Ulan schrieb: Im Vergleich zu der Energie, die wir aus fossilen Rohstoffen ziehen, ist das Potential aus erneuerbaren Quellen ungleich hoeher. Beim Strom ist das bei uns schon etwa die Haelfte der Erzeugung, Verkehr muss noch nachziehen.


So wie ich es verstehe, werden aber auch für die Nutzung der erneuerbaren Energien nach wie vor (indirekt) fossile Brennstoffe benötigt, vor alle für die Herstellung der Stahltürme und Betonfundamente für Windkraftanlagen. 


(17-11-2024, 18:35)Ulan schrieb: Solche Untergangsszenarien haben als Zweck eigentlich nur, uns endlich zum Handeln zu bringen.

Was ich geschildert habe, würde ich eher als ein Veränderungsszenario bezeichnen. Denn ich bin ja von einer Übergangsphase von 100 bis 200 Jahren ausgegangen, bis wir technologisch wieder im Spätmittelalter angekommen sind. 200 Jahre sind eine lange Zeit, überleg mal, wie die Welt noch im Jahre 1824 ausgesehen hat. Es gibt andere Szenarien, die wesentlich rapidere Veränderungen in kürzerer Zeit beschreiben. Diese beziehen sich vor allem auf den Klimawandel, welchen ich hier gar nicht berücksichtigt habe. 

Aber grundsätzlich stimme ich dir zu: Passives Jammern bringt nichts. Die Menschen müssen endlich begreifen, dass die fossilen Brennstoffe begrenzt sind und dass die Zeit ihrer Nutzung den Zenit bereits überschritten hat. Das kann doch nicht so schwer zu begreifen sein, auch wenn wir alle zu unseren Lebzeiten nichts anderes kennen, als den endlosen Nachschub und endloses Wachstum usw... 

Ich bin mir aber ganz sicher, dass unser derzeitiger Lebensstandard mit erneuerbaren Energien nicht zu halten sein wird. Das muss aber gar nichts Schlechtes sein und es muss auch nicht gleich ein "zurück ins Mittelalter" bedeuten. Weniger Industrie, weniger Kunststoffe, weniger Konsum usw... werden sich nicht vermeiden lassen. Die Menschen werden wieder mehr auf die natürlichen Zyklen achten und ihren Ego-Höhenflug beenden müssen. Diesen Part sehe ich als etwas eindeutig positives an.

Die Menschheit bzw. der kapitalistische Westen hat sich einfach zu weit von der Natur entfernt und ein völlig abgekoppeltes Wirtschaftssystem etabliert, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Dieses Wirtschaftssystem abzuschaffen und zu überwinden ist auf jeden Fall ein positives Zukunftsszenario und kein Untergangsszenario.
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#4
(17-11-2024, 21:46)subdil schrieb: So wie ich es verstehe, werden aber auch für die Nutzung der erneuerbaren Energien nach wie vor (indirekt) fossile Brennstoffe benötigt, vor alle für die Herstellung der Stahltürme und Betonfundamente für Windkraftanlagen.

Auch solche Prozesse kann man zum Gutteil umstellen, selbst wenn sie das jetzt noch nicht sind. Beim Haus habe ich z.B. jetzt nicht die Pelletheizung als "Notreserve" genannt, was ja im Prinzip auch unter "Erneuerbare" faellt. Holzvergaser fuer moderne Autos geht zwar jetzt nicht mehr, aber ich nenne das auch nur als Alternativen, die jetzt erst mal nicht verfolgt werden, weil sie zu umstaendlich oder zu teuer sind. Sollten fossile Brennstoffe tatsaechlich rar werden, regelt sich das ueber den Preis von alleine.

Weil Du die USA erwaehnt hast: in den Jahren, als ich da wohnte, war immer die Haltung: "Lass Euch Deutsche ruhig solche Technologien entwickeln und Eure Bevoelkerung fuer die schwierige Einfuehrungsphase zahlen; wenn's dann ausgereift ist, kaufen wir die Technologien, und die Patente und Firmen gleich mit." Ist halt auch eine Methode.
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#5
(17-11-2024, 17:51)subdil schrieb: Wir stellen uns die Zukunft der menschlichen Zivilisation meistens so vor, dass der technologische Fortschritt, den wir in den vergangenen Jahrhunderten erlebt haben, immer weiter gehen und sich sogar noch weiter beschleunigen wird. Daraus entstehen dann alle bekannten Utopien und Dystopien bezüglich eines hochtechnisierten Paradieses oder eines hochtechnisierten Überwachungsstaates. Was aber wenn beides, High-Tech-Utopie und High-Tech-Dystopie, unrealistisch ist - und zwar wegen einem Phänomen, das Energieblindheit genannt wird

auch und gerade, wenn wir die problematik des derzeitigen energieverbrauchs und der methoden, diesen zu decken, erkannt haben und entsprechend gegensteuern wollen - auch und gerade dann werden wir uns der technik bedienen (müssen), um das zu realisieren. was natürlich auch den technischen fortschritt befeuert, insbesondere den technologischen im energiebereich

Zitat:Energieblindheit bedeutet, dass wir dazu tendieren, unsere technologischen und zivilisatorischen Errungenschaften der menschlichen Intelligenz und Vernunft zuzuschreiben, dabei aber übersehen, wie entscheidend für alle diese Errungenschaften der (scheinbar) endlose Vorrat und Nachschub an Energie ist, welcher nur gewonnen werden kann aus fossilen Brennstoffen

nun stimmt ja genau das überhaupt nicht- gerade die fosilen brennstoffe sind nicht unerschöpflich - das ist de facto nur die energie, die wir von der sonne beziehen. nicht umsonst boomt ja deren technische nutzung durch die "erneuerbaren energien"

das traurige ist, daß wir da gar nichts "übersehen" in dem sinn, davon keine notiz zu nehmen - sondern daß wir in bekannt schizophrener weise ja um beides, endlichkeit wie schädliche auswirkung fossiler energien, sehr wohl wissen - aber ausblenden, wenn entsprechend gegensteuerne maßnahmen unseren kurzfristigen wohlstand, also eigentlich unsere momentane bequemlichkeit, zu bedrohen scheinen

wir laufen also sehenden abgrunds auf den abgrund zu, einfach weil uns das laufen so viel spaß macht. ist das sinnvoll? natürlich nicht (außer kurzfristig für die profiteure dieses lemmingzugs). ist es rational? zumindest mittel- und langfristig keinesfalls

warum tun wir das dann trotzdem? hier kommt eben die menschliche psychologie ins spiel - wir sind einfach sehr gut darin, lamgfristige probleme zugunsten kurzfristiger vorteile auszublenden

hat das was mit wissenschaft zu tun? nein - genauso wenig mit ratio (siehe oben)

Zitat:Irgendwann wird dieses System der Plünderung der fossilen Brennstoffe an seine Grenzen stoßen und wahrscheinlich wird dies schon in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten der Fall sein

meiner ansicht nach tun wir das bereits seit "zwei bis drei Jahrzehnten". und alle, die es wissen wollen, können das und tun es auch. aber bei den meisten, wenn nicht allen, ist der innere schweinehund der eigenen bequemlichkeit stärker. auch bei mir - ich tue einiges in sachen energiewende, aber nicht wirklich auf kosten meines eigenen komforts. das ist menschlich, auch wenn das objektiv und rational keine entschuldigung darstellt

Zitat:Dies bedeutet für die Zukunft der Menschheit, dass ganz im Gegensatz zu den genannten Utopien und Dystopien, der technologische und wissenschaftliche Fortschritt schon in naher Zukunft einen Scheitelpunkt erreichen wird

non sequitur. "technologischer und wissenschaftlicher Fortschritt" ist keineswegs zwingend an fossilenergien gebunden

Zitat:Nach diesem Scheitelpunkt wird die Entwicklung in Sachen Technologie und Wissenschaft zuerst stehen bleiben und sich dann schrittweise wieder zurück entwickeln. Es wird keine Grundmaterialien mehr für die massenhafte Herstellung von Computern, Handys, Spielkonsolen und all dem anderen Schnickschnack geben, den wir nicht nur für garantiert nehmen sondern dessen grenzenlose Weiterentwicklung wir alle erwarten. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird es zuerst die "Berufsgruppen" erwischen, die diesen Namen kaum verdienen, die sogenannten "Bullshit Jobs" in der Wirtschaft oder die "Influencer" im Internet. Der Trend wird generell dahingehen, dass die Menschen wieder mehr praktische Arbeit verrichten werden, weil es immer weniger Maschinen und Technologie geben wird, die ihnen diese Arbeit abnimmt

auch eine nette dystopie, sicher. aber nicht eine zwingend erfolgende entwicklung

Zitat:Ich denke, man kann ohne Übertreibung davon ausgehen, dass - wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt - wir in den nächsten 100 bis 200 Jahren eine Rückkehr der Menschheit so in etwa auf den Stand des späten Mittelalters erleben werden

ich denke, daß du da falsch denkst. also was den eintritt deines weltuntergangsszenarios betrifft wie auch dessen rasanten ablauf

was aber andererseits nicht blauäugig bedeutet, daß ein fröhliches "weiter so wie bisher" funktionieren kann

Zitat:Denn die technologische und wissenschaftliche Rückentwicklung ist natürlich kein bodenloses Fass. Sie endet dort, wo die flächendeckende Abhängigkeit von Energie endet, die nur durch fossile Brennstoffe gewonnen werden konnte - also im vorindustriellen Zeitalter

das ist unsinn, denn inzwischen sind wir ja genauso wenig allein auf fossile energien angewiesen, als es unsere vorindustriellen vorfahren waren. im gegenteil haben wir die industrielle nutzung erneuerbarer (also letztlich sonnen-) energie zur verfügung

Zitat:Aufwachsende Generationen werden sich sehr schnell an die neuere, simplere, mehr der Natur angepasste Umwelt gewöhnen, da sie nichts anderes kennen werden

das ist natürlich ein trugschluß. denn sie würden ja sehr wohl die zeiten ihrer jugend kennen, als alles noch besser war, und das leben als einzigen und unaufhaltsamen rückschritt erleben. wie gesagt - dein dystopisches szenario, nicht meins

Zitat:Schon bald werden die Erzählungen aus "der alten Welt" (also unserer, heutigen Welt) zum Mythos, zur Legende werden. Durch den Rückschritt der Wissenschaft wird es auch immer weniger gesichertes Wissen geben, im Laufe der Jahrhunderte wird sich die Menschheit vielleicht wieder mehr den Religionen widmen

ach, daher weht der wind...

man hätte es wissen können

jaja, der untergang ist nah, bekennt euch zu gott und huldigt ihm...
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#6
(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb: das traurige ist, daß wir da gar nichts "übersehen" in dem sinn, davon keine notiz zu nehmen - sondern daß wir in bekannt schizophrener weise ja um beides, endlichkeit wie schädliche auswirkung fossiler energien, sehr wohl wissen - aber ausblenden, wenn entsprechend gegensteuerne maßnahmen unseren kurzfristigen wohlstand, also eigentlich unsere momentane bequemlichkeit, zu bedrohen scheinen

wir laufen also sehenden abgrunds auf den abgrund zu, einfach weil uns das laufen so viel spaß macht. ist das sinnvoll? natürlich nicht (außer kurzfristig für die profiteure dieses lemmingzugs). ist es rational? zumindest mittel- und langfristig keinesfalls

warum tun wir das dann trotzdem? hier kommt eben die menschliche psychologie ins spiel - wir sind einfach sehr gut darin, lamgfristige probleme zugunsten kurzfristiger vorteile auszublenden

...

meiner ansicht nach tun wir das bereits seit "zwei bis drei Jahrzehnten". und alle, die es wissen wollen, können das und tun es auch. aber bei den meisten, wenn nicht allen, ist der innere schweinehund der eigenen bequemlichkeit stärker. auch bei mir - ich tue einiges in sachen energiewende, aber nicht wirklich auf kosten meines eigenen komforts. das ist menschlich, auch wenn das objektiv und rational keine entschuldigung darstellt


Das hast du sehr gut formuliert und ich stimme dir weitestgehend zu. Vielleicht sollte ich den Begriff Energieblindheit dahingehend erweitern, dass es zwei Arten von Energieblindheit gibt. Es gibt auf jeden Fall die Leute, die das alles abstreiten oder die einfach nichts davon hören wollen. 

Der Grund dafür ist, dass die Erkenntnis unserer dramatischen Situation, was fossile Brennstoffe betrifft, eine der unbequemsten praktischen Erkenntnisse ist, die man in unserer Zeit haben kann. 

Was diesen Leuten entgegenkommt, ist, dass der tatsächliche Verbrauch der fossilen Brennstoffe nichts ist, was uns im Alltag begegnet, wenn wir die Zusammenhänge nicht sehen können oder wollen. Der Strom kommt aus der Steckdose, das Benzin aus dem Zapfhahn, das Wasser aus der Leitung. Wenn man da keine weiteren Fragen stellt, ist man energieblind im ersten Sinne - man sieht es wirklich nicht. Und die Politiker und Aktivisten, die darauf aufmerksam machen, werden eben als linksextreme Öko-Ideologen eingeordnet, die unsere Wirtschaft durch die Einführung der erneuerbaren Energien absichtlich an die Wand fahren wollen, warum auch immer (diese Meinung ist tatsächlich weit verbreitet, ob man es glaubt oder nicht).

Dann gibt es aber auch die Leute, und es wird heutzutage wohl die Mehrheit sein, die das Problem sehen und davon wissen, aber trotzdem nicht einsehen, dass man irgendetwas tun muss, weil dieses Problem nicht von alleine verschwindet. Während die erste Gruppe das Problem wirklich nicht sieht, streift sich die zweite Gruppe eine Augenbinde über und wird dadurch auf eine andere Art energieblind, nämlich durch Ausblenden des gesehenen Problems. 

Zu dieser zweiten Gruppe gehören wir jedoch mehr oder weniger fast alle - auch das ist eine bittere Erkenntnis. Ich wüsste nicht, was man machen könnte, außer als Eremit im Wald zu leben, um dieses System der Energieblindheit nicht zu unterstützen. In unserer westlichen Gesellschaft hat ein Kind im Alter von zwei Jahren, wenn man alles von Infrastruktur, Ernährung, medizinischer Versorgung, bis hin zu Spielzeug usw... zusammenzählt, schon so viele Rohstoffe verbraucht wie ein durchschnittlicher Inder mit 30 bis 40 Jahren. 

Wir sind dadurch, dass wir diesen Lebensstandard schon unser ganzes Leben kennen, süchtig danach, und man kann es uns, wie du ja selber sagtest, noch nicht einmal zum Vorwurf machen. Das ist menschlich und die natürliche Trägheit kommt noch dazu. Außerdem liegt der weitaus größte Teil des Problems ganz faktisch immer bei "den anderen". Was soll der Einzelne schon ändern? Usw... Man kennt das. 


(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb: non sequitur. "technologischer und wissenschaftlicher Fortschritt" ist keineswegs zwingend an fossilenergien gebunden


Das sagst du so einfach, aber wir kennen bisher nur den wissenschaftlichen Fortschritt innerhalb des Systems der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe. Vielleicht haben die Anfänge der Wissenschaft schon vorher stattgefunden, so wie ja auch die Anfänge der Technologie schon vor der industriellen Revolution lagen. 

Aber was in den vergangenen 200 Jahren in Sachen Fortschritt abgegangen ist, das stellt doch alles vorherige in einem unglaublichen Ausmaß in den Schatten. Und das exponentiell zunehmend. Der Bevölkerungswachstum ist ja auch genau seither eskaliert. Alle Kurven laufen in die selbe Richtung, ihr kennt sicher alle die Diagramme - Bevölkerung, Erderwärmung, Ressourcenverbrauch, globale Schere zwischen Arm und Reich usw... 

Im Übrigen trifft das selbe auch auf die Errungenschaften der Demokratie, der Menschenrechte usw. zu. Auch all dies kennen wir nur im Kontext der scheinbar endlos verfügbaren fossilen Brennstoffe als Grundlage für die Stabilität der Gesellschaft. Natürlich bedeutet dies nicht, dass die Verfügbarkeit von fossilen Brennstoffen für das Vorhandensein von modernen Demokratien und technologischem und wissenschaftlichem Fortschritt zwingend notwendig ist - ich sage nur, dass wir all dies bisher nur im Kontext der scheinbar endlosen Verfügbarkeit von fossilen Brennstoffen kennen

Und dabei hilft es auch nicht, dass wohl vielen oder gar den meisten Menschen von Anfang an irgendwie klar war, dass diese Party nicht endlos weiter gehen kann - das Verhalten zählt! Und verhalten tun wir uns seit eh und je so, als ob diese Party unser Naturrecht wäre. 

Natürlich kommt die Politik zumindest hierzulande langsam zur Besinnung - aber die Windräder "im Vorgarten" haben will dann auch keiner (und ja: ich auch nicht), weil sie die Landschaft verschandeln und andere Probleme mit sich bringen. Das ist eben das immer gleiche Problem. 


(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb:
Zitat:Ich denke, man kann ohne Übertreibung davon ausgehen, dass - wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt - wir in den nächsten 100 bis 200 Jahren eine Rückkehr der Menschheit so in etwa auf den Stand des späten Mittelalters erleben werden

ich denke, daß du da falsch denkst. also was den eintritt deines weltuntergangsszenarios betrifft wie auch dessen rasanten ablauf...


Wie ich schon zu Ulan gesagt habe, halte ich dieses Szenario für in keiner Weise "rasant", noch halte ich es überhaupt für ein Weltuntergangsszenario. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich viele andere Szenarien kenne, die wesentlich heftiger sind als das von mir beschriebene. 

Diese beziehen sich meistens auf die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Artensterben und auf die Mikroorganismen im Humus und in der dünnen Schicht Erde, aus der alle unsere Nahrung kommt. Hier gibt es ein Szenario, das besagt, dass wir global noch 20 bis 30 Ernten haben, danach ist diese Bodenschicht so zerstört, dass keine Nahrung mehr angebaut werden kann (ich kann dazu - wenn Interesse besteht - auf entsprechende Vorträge bei YouTube verweisen, direkte Links sind ja hier meines Wissens nach unerwünscht). 

Verglichen damit - denn das ist wirklich ein Weltuntergangsszenario - ist ja das von mir beschriebene Szenario ein sehr gemächlich ablaufender, sich auf 200 Jahre erstreckender Veränderungsprozess, der natürlich auch katastrophale Begleiterscheinungen haben wird, jedoch nicht das Aussterben der Menschheit oder ähnliches enthält. 


(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb:
Zitat:Aufwachsende Generationen werden sich sehr schnell an die neuere, simplere, mehr der Natur angepasste Umwelt gewöhnen, da sie nichts anderes kennen werden

das ist natürlich ein trugschluß. denn sie würden ja sehr wohl die zeiten ihrer jugend kennen, als alles noch besser war, und das leben als einzigen und unaufhaltsamen rückschritt erleben.

Eben das glaube ich nicht. Manche würden es so wahrnehmen, ja. Wieder andere würden die Rückkehr zur Natur feiern. Der Mensch passt sich unglaublich schnell neuen Gegebenheiten an und der blinde Wille zum Leben triumphiert auch über die widrigsten Umstände. Der verweichlichte, verwöhnte Mensch der Moderne sieht in technologischem Rückschritt nur Nachteile. Ich kann da durchaus auch Vorteile erkennen. Die Welt würde in diesem Szenario wieder simpler, einfacher, natürlicher werden. Keine absurden gesellschaftlichen und politischen Diskussionen über unbedeutende Kleinigkeiten mehr, keine dekadente Wohlstandsverwahrlosung mehr, keine ausgebuchten Psychotherapeuten mehr usw... Stattdessen echte Probleme, die echte Lösungen erfordern - einfach aus Lebensnotwendigkeit. Ich kann da nicht nur Zerfall erkennen, sondern auch ganz viel neues Aufblühen und neue - auch spirituelle - Chancen für die Menschheit.
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#7
(18-11-2024, 18:08)subdil schrieb: Eben das glaube ich nicht. Manche würden es so wahrnehmen, ja. Wieder andere würden die Rückkehr zur Natur feiern. Der Mensch passt sich unglaublich schnell neuen Gegebenheiten an und der blinde Wille zum Leben triumphiert auch über die widrigsten Umstände. Der verweichlichte, verwöhnte Mensch der Moderne sieht in technologischem Rückschritt nur Nachteile. Ich kann da durchaus auch Vorteile erkennen. Die Welt würde in diesem Szenario wieder simpler, einfacher, natürlicher werden. Keine absurden gesellschaftlichen und politischen Diskussionen über unbedeutende Kleinigkeiten mehr, keine dekadente Wohlstandsverwahrlosung mehr, keine ausgebuchten Psychotherapeuten mehr usw... Stattdessen echte Probleme, die echte Lösungen erfordern - einfach aus Lebensnotwendigkeit. Ich kann da nicht nur Zerfall erkennen, sondern auch ganz viel neues Aufblühen und neue - auch spirituelle - Chancen für die Menschheit.

Das halte ich fuer eine - entschuldige den Ausdruck - naive Utopie. Es wird auch dann ein technologische Gefaelle herrschen, und diejenigen, die Technologie zur Verfuegung haben, werden die beherrschen, die das nicht tun - solange es ihnen etwas nuetzt. Ich halte in einem solchen Szenario also ein Wohlstands- und Machtgefaelle fuer am wahrscheinlichsten, das alles, was wir bisher kennen, in den Schatten stellen wird.

Aber klar, wenn wieder mehr als die Haelfte aller Kinder das Erwachsenenalter nicht erreichen wird und Menschen an einfachem Wundbrand oder einer Zahniinfektion sterben, ist das Leben einfacher.

Wie auch immer, ich halte fossile Energien fuer ersetzbar, so dass man sich ueber so etwas sowieso nicht viel Gedanken machen muesste.

Edit: YouTube-Links duerfen schon gepostet werden, aber halt so, dass sie nicht von selbst starten, also nicht direkt anklickbar sind, indem man z.B. ein Sternchen oder aehnliches vor das https setzt: *https
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#8
(18-11-2024, 18:26)Ulan schrieb: Das halte ich fuer eine - entschuldige den Ausdruck - naive Utopie. Es wird auch dann ein technologische Gefaelle herrschen, und diejenigen, die Technologie zur Verfuegung haben, werden die beherrschen, die das nicht tun - solange es ihnen etwas nuetzt. Ich halte in einem solchen Szenario also ein Wohlstands- und Machtgefaelle fuer am wahrscheinlichsten, das alles, was wir bisher kennen, in den Schatten stellen wird.


Es ist natürlich unmöglich vorherzusehen, wie ein solches Szenario sich tatsächlich entwickeln würde. Das liegt vor allem daran, dass es für den flächendeckenden Zusammenbruch einer High-Tech-Gesellschaft keinen historischen Präzedenzfall gibt. Was aber ganz gewiss eintreten wird, ist eine ganz massive Dezentralisierung von Macht-Strukturen. Es wird wieder alles in kleinere Zirkel, kleinere Gruppen, kleinere Landflächen aufgeteilt werden. Diese verschiedenen Gruppen werden untereinander Handel treiben und Verträge schließen - sicherlich wird es aber auch zu Konflikten kommen. 

Hier kommt es wohl einfach darauf an, was man für ein Menschenbild hat. Die einen denken, dass die Menschen in einem solchen Szenario ihr wahres, dunkles Gesicht zeigen würden. Die anderen denken, dass gerade dadurch der Zusammenhalt gestärkt würde. Kurzfristig werden sich vielleicht diejenigen durchsetzen, die auf gewaltsame Unterdrückung setzen. Langfristig aber wird das nicht funktionieren. Dann werden sich neue Strukturen etablieren, die auf konstruktive Zusammenarbeit setzen. 


(18-11-2024, 18:26)Ulan schrieb: Aber klar, wenn wieder mehr als die Haelfte aller Kinder das Erwachsenenalter nicht erreichen wird und Menschen an einfachem Wundbrand oder einer Zahniinfektion sterben, ist das Leben einfacher.

Ich sage ja nicht, dass ich mir ein solches Szenario wünsche. Das ganz sicher nicht. Bestenfalls sind alle dahingehenden Prognosen falsch und die erneuerbaren Energien werden die fossilen Brennstoffe ersetzen und an unserem Lebensstandard wird sich nicht viel ändern. Aber man sollte die Möglichkeit im Auge behalten, dass es vielleicht nicht ganz so harmonisch ablaufen wird. Bedenke dabei: Wir reden hier nur isoliert über das Problem der fossilen Brennstoffe. Dazu kommen der schon erwähnte Klimawandel und die Kriege und Konflikte in der Ukraine und an anderen Orten, die jederzeit das Potential haben, zu einem dritten Weltkrieg zu eskalieren, und in diese Gemengelage hinein wurde uns jetzt auch noch eine zweite Amtszeit von Donald Trump beschert. 

Dennoch sollte man angesichts all dieser Probleme nicht in einen pessimistischen Fatalismus verfallen. Hier habe ich als spirituell denkender Mensch vielleicht den Vorteil, dass ich all das - wirklich alles davon - nur als die äußeren Symptome eines inneren, seelischen Konfliktes der Menschheit betrachte. Vielleicht liegt es daran, dass ich all das etwas gelassener sehe und daher aus deiner Sicht eine naive Utopie entwickelt habe. Ich glaube wirklich, dass all das eine Prüfung für die Menschheit ist - aus der sie letztlich gestärkt hervorgehen wird.
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#9
Na ja, bis jetzt ist noch jede Art auf diesem Planeten irgendwann ausgestorben. Ich halte es eher fuer wahrscheinlich, dass uns irgendein Idiot um die Ecke bringen wird, da die Moeglichkeiten, uns auszuloeschen, immer vielfaeltiger und einfacher werden, die Anzahl der Idioten aber gleich bleibt. Nur, auch das sehe ich gelassen. Das Leben auf der Erde wird's ueberstehen. Sollten wir verschwinden, gibt's bestimmt noch einmal eine Chance.

Ich denke nicht, dass Spiritualitaet da irgendeinen Vorteil bringt; deine Zuversicht hat halt auch die Kehrseite der Blindheit gegenueber gewissen anderen Gefahren. Ich kann halt nur meinen Teil dazu beitragen, dass diese Welt eine bessere wird, in einem ganz kleinen Rahmen. Irgendwann muss ich den Stab halt weiterreichen, und was dann passiert, ist nicht mehr meine Sache. Und nein, das ist kein Fatalismus. Es gibt nur so viele Moeglichkeiten, dass ich annehme, dass etwas passieren wird, was ich mir nie vorgestellt haette. Sollte das den Untergang der Menschen bedeuten, waer's auch kein Beinbruch. Das Leben geht weiter. Es mag mehr als eine halbe Milliarde Jahre gebraucht haben, uns seit der kambrischen Explosion hervorzubringen, aber eine knappe Milliarde Jahre hat dieser Planet noch fuer einen zweiten Versuch. Und sollten wir doch irgendwie die Kurve kriegen, umso besser. Dein Szenario sehe ich jedenfalls hoechstens nach einem weltweiten Atomkrieg, und selbst da haette ich die Hoffnung, dass irgendwo in Afrika noch genug ueberlebt, um eine Erholung abzukuerzen. Ist zwar schade, dass ich nicht mehr erleben werde, was passiert, aber man kennt ja den alten chinesischen Fluch: Moegest Du in interessanten Zeiten leben!
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#10
(18-11-2024, 18:08)subdil schrieb:
(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb: non sequitur. "technologischer und wissenschaftlicher Fortschritt" ist keineswegs zwingend an fossilenergien gebunden
Das sagst du so einfach, aber wir kennen bisher nur den wissenschaftlichen Fortschritt innerhalb des Systems der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe

das sagst du jetzt so einfach

sag es dem afrikaner, der gerade sein smartphone am solarpanel auflädt, um trotz fehlens eines funktionierenden stromnetzes und kochens über dem holzfeuer an der moderne teilzuhaben

Zitat:Aber was in den vergangenen 200 Jahren in Sachen Fortschritt abgegangen ist, das stellt doch alles vorherige in einem unglaublichen Ausmaß in den Schatten. Und das exponentiell zunehmend

ja sicher

Zitat:Im Übrigen trifft das selbe auch auf die Errungenschaften der Demokratie, der Menschenrechte usw. zu. Auch all dies kennen wir nur im Kontext der scheinbar endlos verfügbaren fossilen Brennstoffe als Grundlage für die Stabilität der Gesellschaft

hauptsache, man verwechselt hier nicht korrelation, wenn nicht gar koinzidenz, mit kausalität

Zitat:
(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb:
Zitat:Ich denke, man kann ohne Übertreibung davon ausgehen, dass - wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt - wir in den nächsten 100 bis 200 Jahren eine Rückkehr der Menschheit so in etwa auf den Stand des späten Mittelalters erleben werden
ich denke, daß du da falsch denkst. also was den eintritt deines weltuntergangsszenarios betrifft wie auch dessen rasanten ablauf...

Wie ich schon zu Ulan gesagt habe, halte ich dieses Szenario für in keiner Weise "rasant", noch halte ich es überhaupt für ein Weltuntergangsszenario

ich finde max. 200 jahre für die totale regression schon rasant. und denke nicht, daß ein zurück zum vorindustriellen, vorhumanistischen, vorwissenschaftlichen mittelalter wahrscheinlich oder überhaupt möglich ist

Zitat:Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich viele andere Szenarien kenne, die wesentlich heftiger sind als das von mir beschriebene. 

Diese beziehen sich meistens auf die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Artensterben und auf die Mikroorganismen im Humus und in der dünnen Schicht Erde, aus der alle unsere Nahrung kommt

das finde auch ich in der tat weitaus bedrohlicher

Zitat:Hier gibt es ein Szenario, das besagt, dass wir global noch 20 bis 30 Ernten haben, danach ist diese Bodenschicht so zerstört, dass keine Nahrung mehr angebaut werden kann

das ist natürlich unfug. schon gar in dieser pauschalität

ich empfehle, youtube-filmchen mit gesunder skepsis zu begegnen

Zitat:
(18-11-2024, 15:09)petronius schrieb:
Zitat:Aufwachsende Generationen werden sich sehr schnell an die neuere, simplere, mehr der Natur angepasste Umwelt gewöhnen, da sie nichts anderes kennen werden
das ist natürlich ein trugschluß. denn sie würden ja sehr wohl die zeiten ihrer jugend kennen, als alles noch besser war, und das leben als einzigen und unaufhaltsamen rückschritt erleben.

Eben das glaube ich nicht

es kommt nicht darauf an, ob du das glauben willst. es ist einfach nicht möglich, bei einem graduellen niedergang nicht auch noch bessere zeiten erlebt zu haben

Zitat:Manche würden es so wahrnehmen, ja. Wieder andere würden die Rückkehr zur Natur feiern

das hat doch damit nichts zu tun, daß sie "nichts anderes kennen" würden

Zitat:Der Mensch passt sich unglaublich schnell neuen Gegebenheiten an und der blinde Wille zum Leben triumphiert auch über die widrigsten Umstände. Der verweichlichte, verwöhnte Mensch der Moderne sieht in technologischem Rückschritt nur Nachteile. Ich kann da durchaus auch Vorteile erkennen. Die Welt würde in diesem Szenario wieder simpler, einfacher, natürlicher werden

ja sicher. trinkwasser mit seuchenkeimen, dafür aber keinerlei medizinische behandlung. nahrungsmittel knapp, dafür ernährungstechnisch unausgewogen und dank lagertechnik meist verdorben. uswusf.

das war das mittelalter, von dem du träumst - so schön simpel, einfach und natürlich
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#11
(18-11-2024, 18:26)Ulan schrieb:
(18-11-2024, 18:08)subdil schrieb: Eben das glaube ich nicht. Manche würden es so wahrnehmen, ja. Wieder andere würden die Rückkehr zur Natur feiern. Der Mensch passt sich unglaublich schnell neuen Gegebenheiten an und der blinde Wille zum Leben triumphiert auch über die widrigsten Umstände. Der verweichlichte, verwöhnte Mensch der Moderne sieht in technologischem Rückschritt nur Nachteile. Ich kann da durchaus auch Vorteile erkennen. Die Welt würde in diesem Szenario wieder simpler, einfacher, natürlicher werden. Keine absurden gesellschaftlichen und politischen Diskussionen über unbedeutende Kleinigkeiten mehr, keine dekadente Wohlstandsverwahrlosung mehr, keine ausgebuchten Psychotherapeuten mehr usw... Stattdessen echte Probleme, die echte Lösungen erfordern - einfach aus Lebensnotwendigkeit. Ich kann da nicht nur Zerfall erkennen, sondern auch ganz viel neues Aufblühen und neue - auch spirituelle - Chancen für die Menschheit.

Das halte ich fuer eine - entschuldige den Ausdruck - naive Utopie. Es wird auch dann ein technologische Gefaelle herrschen, und diejenigen, die Technologie zur Verfuegung haben, werden die beherrschen, die das nicht tun - solange es ihnen etwas nuetzt. Ich halte in einem solchen Szenario also ein Wohlstands- und Machtgefaelle fuer am wahrscheinlichsten, das alles, was wir bisher kennen, in den Schatten stellen wird

sehe ich genau so. subdil empfehle ich hier die lektüre des schmalen bändchens "der untergang der stadt passau" von carl amery

(zugegeben, wird er den schluß wohl anders lesen wollen als ich)
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#12
(18-11-2024, 21:48)subdil schrieb: dass es für den flächendeckenden Zusammenbruch einer High-Tech-Gesellschaft keinen historischen Präzedenzfall gibt

...stimmt natürlich nicht. viele hochkulturen sind zusammengebrochen und haben in den daraus hervorgegangenen gesellschaften so gut wie keine spuren hinterlassen. nimm nur mal die maya

Zitat:Was aber ganz gewiss eintreten wird, ist eine ganz massive Dezentralisierung von Macht-Strukturen. Es wird wieder alles in kleinere Zirkel, kleinere Gruppen, kleinere Landflächen aufgeteilt werden

oder auch nicht. eher wohl wird, wer die größeren reste früheren wissens und könnens bewahren oder sich aneignen konnte, diese umso rücksichtsloser für erhalt und ausdehnung der eigenen macht benutzen

Zitat:Hier kommt es wohl einfach darauf an, was man für ein Menschenbild hat

ja. du hast ein sehr naives. welches wieder einmal von historischer evidenz alles andere als gestützt wird

Zitat:Kurzfristig werden sich vielleicht diejenigen durchsetzen, die auf gewaltsame Unterdrückung setzen. Langfristig aber wird das nicht funktionieren. Dann werden sich neue Strukturen etablieren, die auf konstruktive Zusammenarbeit setzen

wann und wo wäre das je so gewesen?

ich bitte um beispiele

Zitat:Ich sage ja nicht, dass ich mir ein solches Szenario wünsche

aber nein - du idealisierst es ja nur
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#13
(18-11-2024, 21:48)subdil schrieb: Kurzfristig werden sich vielleicht diejenigen durchsetzen, die auf gewaltsame Unterdrückung setzen. Langfristig aber wird das nicht funktionieren. Dann werden sich neue Strukturen etablieren, die auf konstruktive Zusammenarbeit setzen. 
Das müsste aber sehr langfristig sein. Mord und Totschlag ist in der Geschichte der Menschheit dominierender als Zusammenarbeit.
„Niemals tut der Mensch das Böse so vollkommen und fröhlich, als wenn er es aus religiöser Überzeugung tut.“ Blaise Pascal
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#14
(18-11-2024, 23:33)Ulan schrieb: Ist zwar schade, dass ich nicht mehr erleben werde, was passiert, aber man kennt ja den alten chinesischen Fluch: Moegest Du in interessanten Zeiten leben!


In interessanten Zeiten leben wir auf jeden Fall. Und darüber, dass du persönlich die vielleicht noch interessantere Zukunft nicht mehr miterleben wirst, brauchst du dir in dem Sinne keine Gedanken zu machen, dass Bewusstsein als solches, also die Grundlage des Daseins, von jedem Menschen gleich erlebt wird. Schopenhauer hat es sinngemäß so formuliert, dass alles, was jemals "Ich" gesagt hat, sagt, und sagen wird, das selbe Erleben hat, wie du es derzeit als "Ulan" hast. Sollte es in Millionen von Jahren noch Menschen geben, wirst "du" in diesem Sinne genau so dabei sein, wie heute. Du siehst also, dass wir in gewissem Sinne unsterblich sind, selbst wenn unsere individuelle Existenz mit dem Tod enden sollte.  


(19-11-2024, 15:21)petronius schrieb: ich finde max. 200 jahre für die totale regression schon rasant. und denke nicht, daß ein zurück zum vorindustriellen, vorhumanistischen, vorwissenschaftlichen mittelalter wahrscheinlich oder überhaupt möglich ist


Da du mir an anderer Stelle eine Literaturempfehlung gegeben hast, auf die ich noch eingehen werde, gebe ich dir und allen Mitlesern an dieser Stelle ebenfalls eine Empfehlung, was das Thema postapokalyptische Fiktion betrifft, nämlich die TV-Serie The Walking Dead. Vordergründig und an der Oberfläche handelt es sich hierbei um eine Horrorserie, in der durch den Ausbruch einer Seuche der Großteil der Menschen in Zombies verwandelt wurde. Doch das ist nur der Aufhänger für die bisher detaillierteste realistische Darstellung einer Welt nach dem Zusammenbruch der kritischen Infrastruktur. 

Da die Serie sage und schreibe elf Staffeln hat, hat sie alle Zeit der Welt, dieses Thema so erschöpfend und ausgiebig zu behandeln, wie man es nirgendwo anders finden kann. Hier wird relativ glaubhaft dargestellt, wie die Überlebenden sogar schon nach etwa zehn Jahren im "Mittelalter" ankommen, wobei es natürlich ein Mittelalter ist, in dem immer noch die verlassenen, modernen Städte und alle sonstigen Überbleibsel der Zivilisation existieren. 

Es ist natürlich nicht 1:1 das Original Mittelalter, das wir aus der Geschichte kennen, sondern ein postapokalyptisches, modernes Mittelalter 2.0. . Das ganze wird recht pragmatisch und realistisch dargestellt: In den ersten paar Jahren nach dem Kollaps gibt es noch Lebensmittelvorräte aus der Zivilisation, also Supermärkte, Vorräte in Häusern, lang haltbares "Dosenfutter" und ähnliches - nachdem all dies aufgebraucht ist, müssen die Menschen wieder den eigenständigen Anbau von Lebensmitteln und die Haltung von Nutztieren erlernen. In den ersten 8 bis 9 Jahren nach dem Kollaps gibt es noch fahrtüchtige Fahrzeuge und Benzinvorräte. Nachdem diese alle verbraucht sind, stellen sich die Menschen wieder auf das Reiten von Pferden um. 

Und so wird nach und nach gezeigt, wie die Menschen wieder ins "Mittelalter" zurück kehren, einfach aus Notwendigkeit. Vielleicht ist "Mittelalter" hier auch ein bisschen übertrieben, aber jedenfalls ins vorindustrielle Zeitalter mit ein paar Überresten aus der Zivilisation. Du sagst, dass du ein solches Szenario für unwahrscheinlich oder gar unmöglich hältst, aber ich denke vielmehr, dass es unter gewissen Umständen vielleicht sogar unumgänglich sein wird. Was sollen die Menschen denn machen, wenn es keine Lebensmittel, keine Fahrzeuge, keine modernen Kleidungsstücke usw. mehr gibt - dann werden sie eben wieder auf simplere, natürlichere Ressourcen zurückgreifen müssen. 


(19-11-2024, 15:21)petronius schrieb:
Zitat:Hier gibt es ein Szenario, das besagt, dass wir global noch 20 bis 30 Ernten haben, danach ist diese Bodenschicht so zerstört, dass keine Nahrung mehr angebaut werden kann

das ist natürlich unfug. schon gar in dieser pauschalität
ich empfehle, youtube-filmchen mit gesunder skepsis zu begegnen


Ich bezog mich dabei auf die Vortragsreihe "Time is up" von Dr. Mark Benecke. Ist bei YouTube zu finden. 


(19-11-2024, 15:26)petronius schrieb: subdil empfehle ich hier die lektüre des schmalen bändchens "der untergang der stadt passau" von carl amery


Ich kenne dieses Buch zwar noch nicht, habe aber gerade mal die Handlungszusammenfassung bei Wikipedia durchgelesen. Hört sich interessant an - und realistisch. Zitat:

"Auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschland sind es nur kleine Gruppen von Bauern oder Nomaden, in der Regel jeweils weniger als 50 Personen. Die Städte sind verwüstet, das Land meist verwildert und unbestellt."

Ich sagte ja, dass es in einem solchen Szenario darauf hinauslaufen wird, dass alles wieder in kleineren Gruppen und auf kleineren Landflächen stattfinden wird. Erst nach und nach wir es vielleicht auch wieder größere Gruppen geben. Das liegt einfach daran, dass eine Gruppe mit maximal 50 (eher aber sogar nur 30) Leuten noch so strukturiert sein kann, dass wirklich jeder jeden kennt. Alle größeren Gruppen haben schon wieder etwas "zivilisatorisches", weil nicht mehr jeder jeden kennt und somit wieder das nötig wäre, was wir in der Zivilisation als das zivilisatorische Grundvertrauen bezeichnen. Das muss aber dann erst wieder "nachwachsen" - deshalb wird es lange dauern, bis es wieder größere Gruppen geben kann, die funktionieren können. 


(19-11-2024, 15:37)petronius schrieb:
(18-11-2024, 21:48)subdil schrieb: dass es für den flächendeckenden Zusammenbruch einer High-Tech-Gesellschaft keinen historischen Präzedenzfall gibt

...stimmt natürlich nicht. viele hochkulturen sind zusammengebrochen...


Aber bisher keine High-Tech-Zivilisation mit Computern, Handys, Internet, Satelliten usw... Das ist schon noch mal etwas anderes. 


(19-11-2024, 15:37)petronius schrieb:
Zitat:Kurzfristig werden sich vielleicht diejenigen durchsetzen, die auf gewaltsame Unterdrückung setzen. Langfristig aber wird das nicht funktionieren. Dann werden sich neue Strukturen etablieren, die auf konstruktive Zusammenarbeit setzen

wann und wo wäre das je so gewesen?
ich bitte um beispiele


Siehe die TV-Serie The Walking Dead - wie oben beschrieben. Ich halte gute fiktive Werke für genau so interessant wie historische Geschichten - beides zeigt Möglichkeiten. Kein Szenario ist jemals genau gleich wie ein anderes. 

Die Menschen werden nach einer Phase des Chaos wieder konstruktiv zusammen arbeiten, weil das immer eine Win/Win Situation für alle Beteiligten ist. Nur die Soziopathen und Psychopathen werden sich weiterhin egoistisch verhalten - weshalb man in einem solchen Szenario verhindern müsste, dass diese Machtpositionen bekommen. 


(19-11-2024, 15:37)petronius schrieb:
Zitat:Ich sage ja nicht, dass ich mir ein solches Szenario wünsche

aber nein - du idealisierst es ja nur


Sehe ich nicht so. Ich sehe vielmehr beides, die negativen und die positiven Seiten. Kein Szenario ist nur negativ oder nur positiv.
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#15
(19-11-2024, 18:17)subdil schrieb: Sehe ich nicht so. Ich sehe vielmehr beides, die negativen und die positiven Seiten. Kein Szenario ist nur negativ oder nur positiv.

10 Milliarden Menschen. Totale technologische Abhängigkeit. 
Tödliche Krankheiten / Viren erreichen innerhalb 48h selbst die abgelegensten Orte auf der Welt. 
Sekundäre Auswirkungen des Klimawandels, welche große Gebiete des Planeten für den Menschen unbewohnbar machen.

Welches sind beispielsweise die positiven Seiten solcher Umstände / Szenarien?
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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