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Der muslimische Diskurs über das islamische Recht
#1
Um die Diskussion um die Scharia bzw. fiqh (islamische Jurisprudenz) etwas zu versachlichen, hier einiges Grundsätzliche dazu:

Wenn ein Muslim in den Himmel kommen will gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten:

1. Der Tod auf dem Schlachtfeld im Kampf gegen Nichtmuslime (dann ist ihm das Paradies sicher)

2. Das Erfüllen der Gebote Allahs in der Hoffnung, dass am Tage des Gerichts (yaum ad-din) die guten Taten die schlechten überwiegen und man deswegen in den Himmel kommt. Man kann natürlich immer auf die Barmherzigkeit Allahs (rahma) hoffen.

Wenn man gute Taten vollbringen will, muss man wissen, was sind diese Taten sind. Aus dem Koran geht mach Meinung der meisten Gelehrten hervor, dass der Mensch nicht selbst erkennen kann, was er tun muss, er ist auf Offenbarung (wahy) angewiesen. (Vor allem viele Sufis sehen das anders, für sie gibt es einen direkten Zugang zu Allah durch die Mystik. In der Schia können auch Imame Rechtleitung (huda) bieten).

Quellen der Offenbarung sind:

1. Der Koran
2. Das Handeln und Sprechen Mohammeds, das von Allah nach sunnitischer und auch schiitischer Aufassung stets gebilligt wurde, Mohammed gilt als der "insan kamil", der perfekte Mensch.

Wie diese Regeln im Einzelnen aussehen, ist für den gewöhnlichen Muslim nur schwer zu erkennen, er ist deshalb mehr oder minder auf Experten (ulama') angewiesen.

In der sunnitischen Geschichte haben sich Rechtsschulen (madhahib) herausgebildet, die dem einfachen Muslim sagen, wie die Regeln aussehen:

1. Die älteste Rechtsschule (Hanafiten) ist die von Abu Hanifa (gest. 768), in der noch relativ viel einfach nach Meinung (ra'y) der Experten entschieden wurde.

2. Die zweite Rechtsschule von Malik ibn Anas (gest. 795) (Malikiten), der sich besonders auf die lebendige Tradition in Medina, der Stadt in der Mohammed haupsächlich gewirkt hat, stützt.

3. Die dritte Rechsschule ist die von asch-Schafi'i (gest. 820), der die Quellen des Rechts systematisiert hat: neben Koran und Sunna (Brauch oder Überlieferung des Propheten) erkennt er den Konsens der Gelehrten (idschma') und den Analogieschluss (qiyas) als Quellen an. Diese Lehre von den Quellen des Rechts (usul al-fiqh) wurde später allgemein anerkannt.

4. Die vierte und letzte Rechtsschule, die des Ahmad ibn Hanbal (gest. 855) (Hanbaliten), versucht wo immer es geht, direkt auf die Quellen zurückzugreifen. Sie ist sehr streng, bietet aber ofters keine verbindliche Regelung, weil es an Quellen fehlt.

Wenn sunnitische Muslime darüber diskutieren, was man tun soll, folgen sie gewöhnlich den prinzipiellen Vorgaben des islamischen Rechts. Wer etwas sagt, muss es nach den Regeln des Diskurses begründen. Einfach nur Meinung (ra'y), zählt normalerweise nicht. Der gewöhnliche Muslim stützt sich also auf die Rechstschulen, wählt am besten EINE aus, kann aber auch je nach Bedarf auf verschieden zurückgreifen.

Heute sind die gewöhnlichen Muslime immer kompetenter (bessere Bildung!) auch etliche Dinge selbst zu beurteilen. Dennoch stützen sie sich normalerwiese auf die allgemein anerkannten Quellen des Rechts (von asch-Schafi, siehe oben).

Ein Grundsatz bei der Rechtsfindung nach den Rechtsschulen ist, das man sich möglichst auf das stützt, was der Schulgründer und seine unmittelbaren Nachfolger gesagt haben. Das ganz nennt man dann Nachahmung (taqlid). Eigene, selbstständige Rechtsfindung nennt man idschtihad (hat mit der wurzel für "Anstrengung" zu tun)

Seit dem 19. Jahrhundert hat sich einen neue Methode, eine neuen Schule herausgebildet, die Salafiyya (oftmals fälschlich als "Reformislam" bezeichnet), die vom alten taqlid abgeht und aufs Neue, aber nach den alten Regeln (usul al-fiqh) durch idschtihad zu neuen, moderneren Lösungen kommen will.

Die Salafiyya ist eng mit den Hanbalten verbunden, sie teilt eine ähnliche Sicht der Dinge. Salafisten gelten heute meist als "Fundamentalisten".

Den heutigen Diskurs unter Muslimen über Fragen des islamischen Rechts kann man beobachten, entweder in dem man liest, was die Leute (also meist die Rechtsgelehrten) so veröffentliche, aber auch direkter, im Internet, in islamischen Foren und auf den Seiten populärer Rechtsgelehrter.

Was ich sage, habe ich nicht erfunden, sondern das stammt aus Bücher über das islamische Recht selber, mehr noch, was Islamwissenschatler zum islamischen Recht sagen, aber auch was verschiedene Leute, Islamwissenschaftler und Muslime selbst, über den muslimischen Diskurs sagen und was einem Muslime sagen, wenn man sie fragt, wonach sie sich richten oder indem man sie beobachtet, wie sie reden und handeln.
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#2
wie du also selber schreibst, gibt es kein etwa einem bundesgesetzbuch gleichkommendes für alle muslime verbindliches gesetzeswerk namens "scharia", sondern islamisches recht ist auslegungssache. für welche sich immer wieder verschiedene rechtsschulen herausgebildet haben, und wohl auch in zukunft noch werden

es ist also unsinnig, irgendwelche konkreten vorschriften (etwa die verpflichtung zum angriffskrieg gegen nichtmuslime) zu formulieren, an die sich muslime zu halten hätten, wollten sie nicht "der scharia" widersprechen

die "scharia", also der "weg" (zur errettung) kann und muß also unter konkreten umständen immer wieder neu hinterfragt und sozusagen "neu erfunden" (zumindest angepaßt) werden. auch muslimen leuchtet ein, daß es für das leben im 21. jhdt, unter völlig anderen bedingungen als zu zeiten des propheten, in der diaspora einer pluralistischen säkulargesellschaft, nicht funktioniert, sich stur an irgendwelche regeln aus dem mittelalter zu halten
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#3
Obwohl sich natürlich nicht alle Muslime an das halten, was die Regeln des oben beschriebenen Diskurses angeht, gibt es bisher (außerhalb des Sufismus und der Schia) keine anderen anerkannten Regels des Diskurses.

Verschiedene liberale Reformer legten zwar eigene Entwürfe zu einer neuen oder reformierten Scharia vor, was dabei aber bisher immer gefehlt hat, sind bestimmte, nachvollziehbare und damit über der individuellen Meinung stehende Regeln.

Der klassische Diskurs über das islamische Recht dagegen folgt logischen, für alle nachvollziehbaren Prinzipien, die gut begründet sind und ist fest auf die heilige Schrift des Islam, dem Koran gegründen.

Die Rechtsgehrten werden 'ulama' genannt (Einzahl: 'alim), was oft mit "Wissenschaftler" übersetzt wird. Was sie betreiben ist 'ilm, oft mit "Wissenschaft" übersetzt. Daher wird auch nicht selten von Apologeten behauptet, der Islam sei "wissenschaftlich" bzw. sei nicht das geringste Hinderniss für Wissenschaft.

Die Ergebnisse des Diskurses darüber, wie ein Muslim handeln soll, werden natürlich je nach Hingabe des einzelnen Muslims, sehr unterschiedlich befolgt bzw. nicht befolgt, prinzipiell in Frage gestellt, werden sie jedoch nur sehr selten.
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#4
(02-09-2009, 15:18)Arandir schrieb: Obwohl sich natürlich nicht alle Muslime an das halten, was die Regeln des oben beschriebenen Diskurses angeht, gibt es bisher (außerhalb des Sufismus und der Schia) keine anderen anerkannten Regels des Diskurses.

Verschiedene liberale Reformer legten zwar eigene Entwürfe zu einer neuen oder reformierten Scharia vor, was dabei aber bisher immer gefehlt hat, sind bestimmte, nachvollziehbare und damit über der individuellen Meinung stehende Regeln.

Der klassische Diskurs über das islamische Recht dagegen folgt logischen, für alle nachvollziehbaren Prinzipien, die gut begründet sind und ist fest auf die heilige Schrift des Islam, dem Koran gegründen.

Die Rechtsgehrten werden 'ulama' genannt (Einzahl: 'alim), was oft mit "Wissenschaftler" übersetzt wird. Was sie betreiben ist 'ilm, oft mit "Wissenschaft" übersetzt. Daher wird auch nicht selten von Apologeten behauptet, der Islam sei "wissenschaftlich" bzw. sei nicht das geringste Hinderniss für Wissenschaft.

Die Ergebnisse des Diskurses darüber, wie ein Muslim handeln soll, werden natürlich je nach Hingabe des einzelnen Muslims, sehr unterschiedlich befolgt bzw. nicht befolgt, prinzipiell in Frage gestellt, werden sie jedoch nur sehr selten.

wovon reden wir jetzt:

von verbindlichem recht?

(welches z.b. eine verpflichtung zum angriffskrieg gegen nichtmuslime erst vorschreiben könnte)

oder von einem diskurs?

diskurs, also das gespräch, die inhaltliche auseinandersetzung mit einem thema, muß natürlich bestimmten regeln folgen, um konstruktiv zu sein. z.b. sich auf eine definierte basis beziehen. diese wäre z.b. (wie von dir erwähnt) der koran. seine (warum nicht zeitgemäße?) auslegung wiederum ist sache des diskurs, der potentiell zur festlegung von regeln führt
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#5
(02-09-2009, 15:11)petronius schrieb: wie du also selber schreibst, gibt es kein etwa einem bundesgesetzbuch gleichkommendes für alle muslime verbindliches gesetzeswerk namens "scharia", sondern islamisches recht ist auslegungssache. für welche sich immer wieder verschiedene rechtsschulen herausgebildet haben, und wohl auch in zukunft noch werden

es ist also unsinnig, irgendwelche konkreten vorschriften (etwa die verpflichtung zum angriffskrieg gegen nichtmuslime) zu formulieren, an die sich muslime zu halten hätten, wollten sie nicht "der scharia" widersprechen

die "scharia", also der "weg" (zur errettung) kann und muß also unter konkreten umständen immer wieder neu hinterfragt und sozusagen "neu erfunden" (zumindest angepaßt) werden. auch muslimen leuchtet ein, daß es für das leben im 21. jhdt, unter völlig anderen bedingungen als zu zeiten des propheten, in der diaspora einer pluralistischen säkulargesellschaft, nicht funktioniert, sich stur an irgendwelche regeln aus dem mittelalter zu halten

Es gibt zwar keineswegs ein völlig einheitliche islamisches Recht, aber sobald man fragt, wo im einzelnen die Unterschiede der vier traditionellen Rechsschulen bzw. und neuerer Ansätze auf dieser Grundlage, vor allem der Salafiyya, liegen, bekommt man ein rießiges Sammelsurium an umstrittenen kleinen Einzelheiten, in den Grundzügen sind sich die verschiedenen Ansätze aber doch fast identisch.

Zudem geht die ganze Entwicklung in Richtung Schafi'iyya, Hanbaliyya und Salafiyya.

Die jeweils neueren Rechtschulen gelten als strengerals die älteren . Die liberalste ist also die Hanafiyya, dann kommt die Malikiyya, dann die Schafi'iyya, zuletzt Hanbaliyya und Salafiyya.

Fragt man in einem muslimischen Land einfach mal die fromme Leute, was das islamische Recht zu einem bestimmten Thema sagt, bekommt man fast immer genau die klassischen Positionen, die von der ganz großen Mehrheit vertreten werden, oft mit einer apodiktischen Ausdrucksweise, so nach dem Motto, "der Islam verbietet..." oder "der Islam sagt..." oder so ähnlich.

Auch unter frommen Muslimen im Westen sind die Meinungverschiedenheiten eher Dinge im Detail, ganz wie in der islamischen Welt, auch wenn die Meinungsvielfalt etwas größer sein mag.

Der allgemeine Trend unter Gläubigen geht aber überall ganz klar in Richtung zu einer strengen Auslegung und nicht in Richtung einer Liberalisierung.

Die Regierung in den meisten islamischen Länden haben lange in Richtung Liberalisierung gearbeitet, aber nirgends den Trend, der so seit den 1970er Jahren läuft, umkehren können. Heute beugt man sich immer mehr den Vorstellungen der Frommen, nicht zuletzt um die eigene Macht daduch abzusichern.
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#6
(02-09-2009, 15:34)Arandir schrieb: Es gibt zwar keineswegs ein völlig einheitliche islamisches Recht

das ist doch schon mal eine wesentliche feststellung - wurde und wird doch immer wieder versucht, den gegenteiligen eindruck zu erwecken

Zitat:aber sobald man fragt, wo im einzelnen die Unterschiede der vier traditionellen Rechsschulen bzw. und neuerer Ansätze auf dieser Grundlage, vor allem der Salafiyya, liegen, bekommt man ein rießiges Sammelsurium an umstrittenen kleinen Einzelheiten, in den Grundzügen sind sich die verschiedenen Ansätze aber doch fast identisch

dann frag doch einfach mal andere, z.b. den mufti von marseille, und du wirst andere antworten erhalten. wenn ich nur fundamentalisten befrage, werde ich natürlich entsprechende antworten erhalten

Zitat:Zudem geht die ganze Entwicklung in Richtung Schafi'iyya, Hanbaliyya und Salafiyya

ich bezweifle, daß du die "ganze Entwicklung" des islam im überblick hast

Zitat:Fragt man in einem muslimischen Land einfach mal die fromme Leute, was das islamische Recht zu einem bestimmten Thema sagt, bekommt man fast immer genau die klassischen Positionen, die von der ganz großen Mehrheit vertreten werden

na, was für eine überraschung aber auch!

frag mal eine urkatholische oma im hintersten rupertiwinkel, was sie zu positionen der christlichen theologie sagt

Zitat:Auch unter frommen Muslimen im Westen sind die Meinungverschiedenheiten eher Dinge im Detail, ganz wie in der islamischen Welt, auch wenn die Meinungsvielfalt etwas größer sein mag

das ist eine nette behauptung - wäre schön, du könntest sie auch belegen

aber vielleicht liegts ja an deiner definition des frommen muslims? wenn du als fromm nur anerkennst, wer sich einer der von dir genannten strengen rechtsschulen anschließt, dann hast du natürlich recht...

Zitat:Der allgemeine Trend unter Gläubigen geht aber überall ganz klar in Richtung zu einer strengen Auslegung und nicht in Richtung einer Liberalisierung

überall?

woraus willst du das ableiten? wer hat die entsprechenden statistiken erstellt?

es wäre hilfreich, wenn du nicht einfach eine privatmeinung im ton der tatsachenfeststellung zum besten geben würdest, sondern dich auf klare und nachvollziehbare fakten beriefest

insbesondere frage ich mich auch, was der einzelne gläubige in den islamischen ländern überhaupt zu melden hat. oder was deine pauschalbehauptung angesichts der entwicklungen im iran an geltung beanspruchen kann

Zitat:Die Regierung in den meisten islamischen Länden haben lange in Richtung Liberalisierung gearbeitet, aber nirgends den Trend, der so seit den 1970er Jahren läuft, umkehren können. Heute beugt man sich immer mehr den Vorstellungen der Frommen, nicht zuletzt um die eigene Macht daduch abzusichern.

das ist ja nichts neues. schon immer haben sich klerus und despoten ins selbe lotterbett gelegt, sei es im spanien francos oder im sudan al-baschirs
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#7
Hallo,
Zitat:Petronius: insbesondere frage ich mich auch,
was der einzelne gläubige in den islamischen ländern überhaupt zu melden hat.
oder was deine pauschalbehauptung angesichts der entwicklungen im iran an geltung beanspruchen kann.
- Du fragst doch einen konkreten Menschen, also sagt er Dir, was er als einzelner Muslim oder Kenner des Islam zu Deinen Fragen zu sagen hat. Bei rund 1/6 der Menschen gibt es ja Vielfalt. Islam wurde historisch auch das "leichte Dach" genannt, weil es fuer die Leute, deren Regierung eventuell gkleich alle Untertanen dem Islam anschloss, relativ wenig gab, was sie dann aendern mussten, z.B. die Adresse zum Beten, was nun ALLAH zu sein hatte, und die 5 Gebetszeiten, von denen 1 moeglichst der ganze Haushalt mitmachte und 1 moeglichst die ganze Nachbarschaft der Gemeinde vor Ort gemeinsam abhielt, eine Hadsch nach Mekka wurde in manchen Regionen mitunter Jahrhiunderte lang von niemandem durchgefuehrt, und normalerweise regelte man Rechtsfragen auch vor Ort mit dem, was bis dahin ueblich war, nur in Spezialfragen wurde ein Kadi oder eine der Rechtshochschulen hinzugezogen.
Daher unterscheiden sich auch von Land zu Land die Freiheitsgrade der Muslime, ob sie mehr darueber wissen wollten und lernten, oder es mehr als Brauchtum beibehielten. Erst die moderne Staaten-Entwicklung nach Ende des Osmanen-Reiches brachte mehr politische Aspekte in die Diskussion, und da ist wieder wesentlich dran, dass etliche Nahost-Szttaaten doch eindeutig kommunistisch-atheistische Regierungen durchmachten, deren Saekularisierung Froemmigkeit als solche ablehnte und sich um Islam wenig kuemmerte. In den 1970er Jahren trat der Taktik-Wechsel ein, den Islam politisch zu verfremden und Leuten die Qur'ane direkt in die Hand zu druecken, d.h.auch uebersetzt, denn das Oriinal waere vorherigen Analphabeten ganz unverstaendlich.
Damals war in Persien (Iran) der Schah und mit dessen Sturz trat ein neuer Schiitismus europaeisch-gepraegter Anschaerfung auf, unter Khomejni, der im Exil in Paris und auch in Deutschland gelebt und sowas gelernt hatte, und damit war dessen Volk nun radikalistisch regiert und denen wurde keine andere Glaubens-Variante mehr erlaubt, und das wurde von den Radikalen Garden inzwischen im Nahen Osten - dem Bereich, der uns regional naeher zu Europa liegt - nun in andere Laender weitergetragen, und auch aus Saudi-Arabien kam eine Wahabiten-Version hinzu, die eben nun Mekka im Lande haben, und in Protest dazu die Art Jemeniten, die dies den Saudis nie verziehen, denn vorher war dort Jemen. Da geht es um Machtkaempfe auf hohem Niveau mit viel Geld im Hintergrund.
Der einzelne Untertan ist daran gar nicht so sehr beteiligt, und soweit er dazu nicht aktiv mit herangezogen wird, lebt er weiterhin seine eigne Version, islamisch zu sein, wie es seine Region eben "immer" hatte, oder wenn er dort wegzog, wiie er es selbst sieht.
Sie waren es nie gewoehnt, eine "Theologie" ihrer Konfession naeher zu definieren, denn da noch die meisten unter Feudal-Regierungen leib-untertaenig irgendwem gehoerten, der sie samt dem Land besass, erobert, gekauft oder geschenkt, weil das eben schon vor-islamisch genauso gewesen war, dort, wo sie lebten, was bedeutete, dass sie erstens, zweitens und drittens hart arbeiten mussten, ohne jemals reich zu werden, bekamen sie gar keine Ausbildungen im Schreiben und Lesen bzw.dafuer, ihren Glauben selbst zu erklaeren
- es fand ja keine Entwicklung wie hier mit dem Protestantismus statt, wo zuerst die Protestanten ihre Uebersetzungs-Bibel plus Katechismus ins Volk verbreitet bekamen und folglich die Katholiken, die es bleiben wollten, sich ebenfalls zum Disput geeignet ausbildeten, insgesamt und jedermann.

Im Grunde sind wir Westler grad deshalb die Erzeuger des Islamismus - nicht des Islams, und man wird nun eben eine Weile damit zu tun haben, dass sich reaktiv darauf auch alle Rechtsschulen dem angepasst haben, und bis man in der Oeffentlichkeit auch wieder soweit beruhigt ist, den Volks-Islam als Grund-Kulturen-Vielfalt samt aller individuellen Varianten ernstzunehmen und gerecht in den Blick zu kriegen - einerseits - und den Islamismus andererseits davon klar auseinanander zu halten.

mfG WiT :)
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#8
(07-09-2009, 23:56)WiTaimre schrieb: In den 1970er Jahren trat der Taktik-Wechsel ein, den Islam politisch zu verfremden und Leuten die Qur'ane direkt in die Hand zu druecken, d.h.auch uebersetzt, denn das Oriinal waere vorherigen Analphabeten ganz unverstaendlich.

Der politische Islam ist wesentlich älter! Die Wahhabiten als eine der Wurzeln des modernen politischen Islams, entstanden bereits um 1750 in Zentralarabien, das damals noch kein Europäer betreten hat.

Die Muslimbrüder, als zweite wichtige Wurzeln des modernen politischen Islams, wurden bereits 1928 in Ägypten gegründet. Den Koran als erschwingliches, gedrucktes Buch gibt es in der arabischen Welt vorallem seit 1924, als von der Al-Azhar eine Druckausgabe herausgegeben wurde.

(07-09-2009, 23:56)WiTaimre schrieb: Damals war in Persien (Iran) der Schah und mit dessen Sturz trat ein neuer Schiitismus europaeisch-gepraegter Anschaerfung auf, unter Khomejni, der im Exil in Paris und auch in Deutschland gelebt und sowas gelernt hatte, und damit war dessen Volk nun radikalistisch regiert ..

Khomeini hat vor allem islamische Wurzeln!

(07-09-2009, 23:56)WiTaimre schrieb: Im Grunde sind wir Westler grad deshalb die Erzeuger des Islamismus - nicht des Islams, und man wird nun eben eine Weile damit zu tun haben, dass sich reaktiv darauf auch alle Rechtsschulen dem angepasst haben, und bis man in der Oeffentlichkeit auch wieder soweit beruhigt ist, den Volks-Islam als Grund-Kulturen-Vielfalt samt aller individuellen Varianten ernstzunehmen und gerecht in den Blick zu kriegen - einerseits - und den Islamismus andererseits davon klar auseinanander zu halten.

Das wird immer gern behauptet, dass der Islamismus ein Produkt des Westen sei, um damit den "eigentlichen" Islam schönzuden.

Es gab aber schon etliche politisch radikale Strömungen im Islam bevor Europa überhaupt irgendeinen Einfluss hatte: hier seien nur die Almoraviden und die Almohaden genannt.
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#9
Hallo Arandir :)
Zitat:Arandir:
Zitat:WiTaimre: In den 1970er Jahren trat der Taktik-Wechsel ein, den Islam politisch zu verfremden und Leuten die Qur'ane direkt in die Hand zu druecken, d.h.auch uebersetzt, denn das Original waere vorherigen Analphabeten ganz unverstaendlich.
Der politische Islam ist wesentlich älter! Die Wahhabiten als eine der Wurzeln des modernen politischen Islams, entstanden bereits um 1750 in Zentralarabien, das damals noch kein Europäer betreten hat.
Die Muslimbrüder, als zweite wichtige Wurzeln des modernen politischen Islams, wurden bereits 1928 in Ägypten gegründet. Den Koran als erschwingliches, gedrucktes Buch gibt es in der arabischen Welt vorallem seit 1924, als von der Al-Azhar eine Druckausgabe herausgegeben wurde.
Der "Taktik-Wechsel" bezieht sich doch nicht auf den Islam, sondern im 20.Jhd. auf den militant-saekularen Kommunismus, z.B.betreffs Aegyptens, Syriens, Iraks, Palaestinas, bei denen zunaechst Ablehnung aller Religion inclusive des Islam dazu nutzen sollte, den frischen 20.Jhd.-Koenigtuemern im Bereich des vorher 1 (Osmanen)-Reiches und ihrer Verflechtung mit dem Ausland ein Ende zu bereiten, so aehnlich wie man in Europa, China etc. Throne gestuerzt und eine uniforme Masse Volk erstellt haben wollte, und nun im islamischen Bereich das Volk sich "revolutionaer" vom Feudalismus und den auslaendisch-"kapitalistischen" Beeinflussern gewaltsam weg-loesen zu lassen.
Dies Volk war aber wohl zu rund 98 v.H. leibeigen, analphabetisch, und bitter arm gewesen, doch soweit an das "Islam"-Ideal der Fuegsamkeit (sich in den Willen G*TTES, vertreten durch Anfuehrer, zu ergeben) gewoehnt, unter Willkuer-Herrschaften seelisch trotzdem nicht zu verzweifeln, sodass die rein saekular motivierten Revolutionaere des 19./20.Jhds im Grunde auf Unverstaendnis der Menschen stiessen, weil man sich nach einem hier schon armen Dasein durch nun noch mehr Gewalttaetigkeiten und das bekannte Echo darauf, voellig zugrunde richten, aber sich nun nichtmal mehr ein spaeter troestliches Leben nach dem Tod erhoffen duerfen sollte, und keinen nachsichtig-barmherzigen G0TT.
Ein bisschen verstoerte das doch auch die Stammes-und-Buende-Fuehrer der tradierten Art, deren Fuehrungs-Stil nach dem absolut-souveraenen G0TTES-Bild einen Anfuehrer jeder Rechtfertigung enthob, was daraus werden sollte, wenn man auf diese Parallelisierung nun verzichten sollte. Diese sahen vielleicht eine Rivalitaet zum Osmanenreich, das ja militaerisch grundsaetzlich die lokalen Verflechtungen ganz auszuschalten bemueht gewesen war, und natuerlich zum jeweils an den Sieg gekommenen Koenig ihrer Regionen - sie waeren gewiss lieber das selbst geworden, aber doch nicht beamtenartige Sozialisten mit einer Plan-Funktionaers-Buerokratie im europaeisch-profanen "Proletarier"-Stil. Von einer "Arbeiter-Klasse" konnte man doch in der Islam-Staatenwelt auf keinen Fall reden.

Der Islam als Konzept der ihn gruendenden Kaufleute und Gelehrten war ja selbst ungetrennt politisch-und-religioes konzipiert, aber bis auf gewisse Vorrechte einer islamischen Fuehrung doch ziemlich einverstanden, wie auch immer vor Ort die Macht-Verhaeltnisse sich untereinander ausregulierten. Das nannte man ja das "leichte" Dach.

Dass es in 1400 Jahren Islam darin auch immer wieder revolten-artige Gruppierungen und Phasen gab, Machtkaempfe, ist ganz anders als dies, meine ich.
Und wenn es auch schon gedruckte Qur'ane gab - es war trotzdem rund 600 Jahre religioes nicht erwuenscht, sunnitisch jedenfalls, dass etwa der einzelne Muslim sie sich inhaltlich uebersetzt und auslegt, denn sonst haette es ca.1984 keines Rechts-Gutachtens der Al-Azhar-Hochschule bedurft, es den Muslimen generell zu erlauben.
Dies damit aufgehobene Verbot soll etwa im 16.Jhd im Bereich des heutigen Irak ausgeloest worden sein, weil sich mithilfe mehrerer einander die Rechtglaeubigkeit bestreitenden militanter Qur'an-Deutungs-Bewegungen zu erheblicher Beunruhigung im "1-Reich aller Muslime" gekommen war.
Zitat:Arandir:
Zitat:WiTaimre: ... trat ein neuer Schiitismus europaeisch-gepraegter Anschaerfung auf, unter Khomejni, der im Exil in Paris und auch in Deutschland gelebt und sowas gelernt hatte, ...
Khomeini hat vor allem islamische Wurzeln!
hm
- Wenn man es als orientalisch-phantastische Moeglichkeit auffassen mag, sich einen "Schreckensglanz" zu festigen, das mag sein, so gut kenn ich mich nicht mit der Region aus, in der er aufgewachsen ist - aber es ist nicht der alte Shiitismus des Iran. Wieso hat es z.B. "islamische" Wurzeln, wenn jemand im Eifer des Krieges verfuegt, den "nach Scharia" zum Tode Verurteilbaren vorher alles Blut abzuzapfen, um seinem kaempfenden Heer genug Blutkonserven zu verschaffen, und die "vorgeschriebene Form" der Hinrichtung an den Toten zu vollstrecken ("denn diese verdienten es ja auch nicht, mit ihrem Blut begraben zu werden" - oder so aehnlich formuliert) - und seinem Terror-Regime damit einen erneuten "Kick" an Horror hinzuzufuegen? - Solch ein Auswuchs von Materialismus in Reinst-Kultur habe etwas mit seinen "islamischen" Wurzeln zu tun?

Es entsprach ja nichtmal dem monotheistischen Gelehrten-Recht, nach dem, wenn man denn schon Todes-Urteile unterschiedlich gestaltet und genau diese verhaengt und vollstreckt, damit "noch einem" praktischen Nutzen zu dienen, wie dem der Nachschub-Frage bei Blutkonserven fuer die Front.
So traurig es ist - das passiert am ehesten jemandem, der um seines Ziels willen seinen urspruenglichen Glauben nicht mehr erkennt, wirklich.

Gewiss, er ging ja schon als ausgebildeter Rechtsgelehrter ins Exil, nehme ich an, aber er hat sich hier das "Know-how" zum zielstrebigen Revolutions-Machen geholt, am Ort der Quelle des europaeischen Anarchismus.
Zitat:Arandir:
Zitat:WiTaimre schrieb: Im Grunde sind wir Westler grad deshalb die Erzeuger des Islamismus - nicht des Islams,
(...) den Volks-Islam als Grund-Kulturen-Vielfalt samt aller individuellen Varianten ernstzunehmen und gerecht in den Blick zu kriegen - einerseits
- und den Islamismus andererseits davon klar auseinanander zu halten.
Das wird immer gern behauptet, dass der Islamismus ein Produkt des Westens sei, um damit den "eigentlichen" Islam schönzuden.
Es gab aber schon etliche politisch radikale Strömungen im Islam bevor Europa überhaupt irgendeinen Einfluss hatte:
hier seien nur die Almoraviden und die Almohaden genannt.
- villeicht hab ich das undeutlich gesagt:
Islamismus ist auch von Radikalismus zu unterscheiden. Almoraviden - davor kannst Du auch noch die fruehen Seldschuken nehmen, die mit dem puren Text Qur'an aus Sued-Russland heranzogen und erstmal dem jemenitisch-verwurzelten Wallfahrer-Kultus Mekka und Medina schlossen, weil davon nicht im Qur'an geschrieben stehe
- so aehnlich die ersten Wahabiten, des Rufers Wahab Versuch in dieser Richtung (den Haupt-Text des Islam gegen dessen Praktizierung ins Feld zu fuehren) fuehrte zu seiner Hinrichtung - heute bemueht sich Saudi-Arabien um die Huetung derselben Staetten und nun wurde Mekka gegen die Pilger von Islamisten gesperrt (vor ca.25 Jahren gab es doch auch eine militante Besetzung Mekkas, Pilger auszusperren, eine wilde Schiesserei, dessen die Saudis nur mit Hilfe der US-Amerikaner Herr wurden)

- hier waren es aber "nur" jemenitische Unzufriedene, die - wie Osama Bin Laden - es wirklich nicht verzeihen, dass Saudi-Araber den noerdlichen Jemen 1930 unterwarfen, und nicht, dass es im Qur'an so nicht geschrieben stehe, diese Hadsch nach Mekka-und-Medina tun zu duerfen. (Es ist doch auch ein betraechtlicher Wirtschaftsfaktor gewesen, zu allen Zeiten, wenn jaehrlich eine so riesige Menge genau 1 Ort der Welt zu besuchen vollbringt)
Im Anfang der Trennung von Shiiten und Sunniten war es doch - soviel ich darueber erfahren konnte - ein Haupt-Argument der Sunniten, dass der gesamte Islam auf immer alleine den Jemeniten zur Leitung anvertraut worden sei
(so aehnlich, wie die Buddhisten zuerst nur durch nationale Inder geleitet werden sollten, weshalb es erst dann in China und Japan volks-missionabel wurde, nachdem diese Voelker sich selber die Hl.Texte mit List aneigneten, bis dahin war es eine rein hoefische Liebhaberei gewesen und zog das Volk nicht an)

- Ali und seine Shiiten standen auf dem Standpunkt, das hoechste Amt (Kalif) der Lehre und andere leitende Funktionen koennten auch von Abkoemmlingen anderer Nationen besetzt werden, Ali als Schwiegersohn Mohammeds, Gegenkandidat zum 1., 2., und 3.Kalifen, hatte doch da einen eifrigen Perser fuer den Islam gewonnen, den er fuer sehr kompetent dazu ansah, auch Muslime - etwa solche in Persien - zu leiten.
Beim 4.Kalif Muawia, zuvor Gouverneur zu Damaskus, nicht mehr verwandt mit der Familie Mohammeds, aber auch Jemenit, weder Damaszener noch Syrer, entschied es sich damals erstmal endgueltig, dass niemandem aus anderen Nationen das Kalifat und die hoechsten Aemter anvertraut werden duerfe.

- und den "Mahdi-Anhaengern vom Nil" kann man die Radikalitaet der Umsetzung dieser Form von Ordens-Sufismus leider auch zuerkennen.
Die "Moslembrueder" entstanden nicht erst 1928, sondern waren schon die aegyptisch-radikalen Auslaeufer der Mahdisten und wurden in Aegypten verboten, weil sie so moerderisch gegen den Koenigsthron in Aegypten das Land verheerten wie zuvor gegen "Tuerken" (noch aus der Osmanen-Reichs-Verwaltung her abgelehnt) und gegen die Briten kaempften.

Das hat weniger die Struktur des saekularen Islamismus, von dem ich rede, sondern kaeme der Motivation der Camorra und anderer Sippen-Mafiosi nahe, denn die Osmanen hatten ja schon die Mameluken-Militaers mit allen hoechsten Aemtern im Reich betraut, generell nicht-Verwandte irgendwelcher bereits islamischen Sippen und Staemme, sondern (oft aus christlichen Staaten wie Armenien und Georgien geraubten Kindern rekrutierte) Regierungs-Sklaven ohne Anhang, was sie wohl von jeder Korrumpierbarkeit im Interesse irgend einer Region ausschliessen sollte, und etwa bis 1800 zu funktionieren schien:

- Ein relativ kleines stehendes Heer aus den nur 2 in Aegpten stationierten Garnisonen, Nicht-Aegypter, Nicht-Jemeniten, nur oberflaechlich in den Garnisonen dem Islam eingefuegt, mitunter ansonsten gut nach Begabung ausgebildet, denen eigentlich auch auferlegt worden war, nie zu heiraten, schlug jeden Aufstand gegen den Sultan nieder - man wollte keine lokalen Armee-Teile einberufen, um eben gar keine Region zu bewaffnen, die sich dann gegen das Reich stellen koennte.

Das bedeutete auch, dass es jahrhundertelang genau die Strukturen aus penibel heirats-vernetzten Sippen in opportunistisch taktierenden Stammes-Buenden kraenkte und kleinhielt, die aktuell in Afghanistan noch oder wieder so zaeh sind, niemanden ueber sich dulden zu wollen und autark zu koalieren mit mal dem und mal dem, die den Staat und Koenigsthron "Afghanistans" noch nie ernst genommen hatten.

- Den Kalifen hatten die Mameluken Aegyptens irgendwann zum Gelehrten im Hintergrund umfunktioniert, ohne eine Macht (ausser Rechts-Enscheide zu klaeren), bis das Absetzen des letzten Kalifen 1908 in der nun saekular konzipierten Staats-Tuerkei (ohne weiter ein Reich zu sein) fast nicht mehr auffiel.
Inzwischen waren aber die Mameluken schon mit der Zentrale in der spaeteren Tuerkei auch nicht mehr als so bundestreu gesehn worden, das fuehrte zur neueren "Tuerken"-Armee der Janischaren
- und umgekehrt war es wohl auch so, dass ihnen Aegypten und Umgebung auch ohne den Rest des Osmanenreichs gefallen haette, es allein zu regieren - aber auch ohne wirkliche Hinzuziehung der heimischen Eliten, Staemme und Sippen. - Es kam dann zum blutigen Aufstand gegen die Mameluken und diese retteten sich zu den Kolonial-Franzosen eines Napoleon und traten dessen Armeen sogar teilweise bei. Ihr theoretischer Sklaven-Status, den wegen der Menschenrechte loszuwerden, war ihnen ja nie wirklich ein Ehr-Problem gewesen, besass einen doch ohnehin nur der oberste Reichsthron.

Im Uebrigen kann man nicht sagen, es habe nie frueher europaeische Einfluesse ins Islamische Weltreich-Sued gegeben. Die gab es immer wieder, ob am Anfang, sowie grosse Mengen schon christianisierter iúnd schon roemisch besetzt gewesener Untertanen schon ab dm 2.Kalifen dem Islam einverleibt wurden, ob zur Karolinger-Zeit, ob ab den Kreuzzuegen, ob seit dem 17.Jhd. mit der ersten dt.Koran-Uebersetzung durch v.Zinzendorff - ob nach dem Status, die Nord-Grenzen so zu belassen und z.B.sogar Ulanen-(Lanzenreiter)-Truppen fuer Europaeer-Fuersten zu stellen.

Allerdings wurde anfangs der Bevoelkerungs-Gehalt an griechisch gebildeten Moeglichkeiten ignoriert und erst sehr viel spaeter (auch aus Persien her?) nutzbar gemacht, um zivilisatorisch aufzuholen, wodurch es dann zu den hoch-mittelalterlichen Religions-Disputen kam, auf deren Ergebnissen man nun auch Vertraege schliessen und einfacher Handel treiben konnte (das geht nicht ohne Gesetze, die beide Seiten akzeptieren). Die "arabische" Ehrbarkeit und Ritterlichkeit galt schliesslich doch hoeher als die eigene, in Europa, spaetestens ab Goethe.

Das meiste an dieser Entwicklung ist ja auch gar nicht unbedingt das Resultat des Islams als Glaubensgut gewesen, sondern mitunter war dieser - wie auch bei andern - die simple eigne Haus-Religion, die man inhaltlich nicht oft befragt haben kann. Das Augenmerk lag eher weltlich. So jubelt ein erster islamischer Maharadscha ganz un-religioes darueber, welche unglaublich riesigen Schaetze er sich sichern wuerde, wenn er erstmal bestimmte indische Gebiete dem Islam unterwerfen wuerde. Er schaffte es.

Eine Dimension, die meiner Meinung nach bei saemtlichen radikalen Unternehmungen trotzdem in der islamischen Welt frueher nicht vorkam, ist die geradezu gezielt anti-religioese europaeische Anarchie-Theorie zwecks Revolution - denn dieser gingen eine Hellenismus-Renaissance, nationale Reformationen, die Philosophien seit Fichte und Hegel voraus, welche die Religion bis fast zu einer aller-privatesten Scham-Frage, sich zu einer zu bekennen, beiseite-regelten, samt dem Neu-Heidentum, das Napoleon als erster ueber sein Reich waehlte, wonach es heute schon eine Hobbyfrage ist, ob man so etwas oder eine andere Abart des Anders-Seins als "alle" andern ausuebt, und sei es ein "Satanismus".

In dieser ganzen Zeit hielt schon wegen der nicht-Alphabethisierung der Untertanen das islamische Volk "einfach" durch, seine Glaeubigkeit und Froemmigkeit zu tragen. Nur eine geringe Intellektuellen-Schicht war mit Ideen weitergediehen, und noch oft endete so etwas mit Hinrichtung, sowie einer Anhaenger dafuer zu sammeln Erfolg hatte.
Verglichen damit war der Gesamt-Zugang auch armer und ungeschulter Europaeer viel staerker moeglich, hatte man doch auch spaetestens ab der Reformationen der Laender das Lesen der Bibel(n) und das Disputieren im einfachen Untertanenvolk eingefuehrt (und dann bald wieder erstmal nach den auf Konfession begruendeten Machtwechseln gebremst, damit das nicht unendlich zerstiebte, wenn jeder zu dem stehen duerfte, was ihm persoenlich richtiger gelesen schien).

Es hat eine andere Dimension vor diesem Hintergrund, sich dann im 20.Jhd. erst durch westliche Schulung atheistische und spezifisch anti-religioese Revolutions-Ideen zu holen und diese im Partisanenkampf zu praktizieren, im Uebrigen ohne die geringste soziale Ruecksichtnahme oder Schonung der Lebens-Moeglichkeiten einfacher Leute, die man fuer seine Partei erobert hatte - der Islam kennt karitative Pflichten, die Terroristen lehnten dies ja schon als "systemerhaltend und dem revolutionaeren Druck abtraeglich" mit ab, nahmen aber hemmungslos jede Spende aus der Welt der andern an, die es ihnen ersparte, darauf Geld und Resourcen zu verwenden, das Volk zu versorgen - wenn man es getan kriegt von Leuten christlicherer Ethik.
Man denke auch an die Dauerlager auf UN-Kosten.

In der Beziehung ist es eine taktische Wende - eben etwa in den 1970er-Jahren ploetzlich der Islam auf die Fahnen zu schreiben, aber nun zum Bluffen und als Schutzschild gegen Leute, die sich verpflichtet haben, Religions-Freiheit zu achten, und offensichtlich wirklich daran festhalten muessen, sodass die "westlichen" Voelker durch ein Paradox gezwungen sind, um ihrer Menschenrechts-Deklaration(en) immer wieder zu zoegern, wenn jemand "in Namen des Islam" auf seine Attentate delariert. Auch die einfachen Muslime "muessen" dann ja erstmal stillehalten, und Terroristen Obdach geben, sie gewaehren lassen und erstmal decken, wenn ihnen ihr Glaube lieb ist - und das ist er vielen.

Was des einen Motiv ist, und war, ist nicht die Religion - was die Opfer als Kanonenfutter dieser Maechtigen aber motiviert, sich ihrer Ruinierung nicht zu widersetzen, ist aber die Religion. Hier ist eben der Islamismus anders als fruehere Radikalisierungen - es ist eine kuehl-psychologische Kalkulation und geht um Milliarden-Umsaetze, zielt auf die Macht ueber z.B.Energie-Ressourcen der Welt, auf Marktdiktate ausserhalb der muslimischen Armen. Bei allem, was am Islam auch mal nicht gefallen hat - der Islamismus ist nur ein Sich-Bedienen damit, Muslimen als Bruder zu gelten, weil das 1/6 der Menschheit ist. Der Islam liess sie sich auf der Sippen-und Stammes-Ebene folkloristisch und sittlich selbst erziehen - der Islamismus auf keinen Fall. Er zielt auf einen homo-islamisticus ab wie es im Osten den homo-sowjeticus ergeben sollte - jeder ist austauschbar, niemand darf an jemandem in Liebe haengen. Auch die gross-industrielle Variante dazu gibt es. Diesen dreien sind Voelker, ihre Rechte und Gesetze und die einzelnen Menschen voellig uninteressant. Da bekoommt jeder den "Lorbeer", der Menschen trennt und entzweit und Religionen als Bindung an Ethik laecherlich macht oder in etwas Boeses verkehrt, sarkastisch genau grad an das durch sie erzogene Gefuehl fuer Unrecht appellierend - um so leichter lassen die sich dann spaeter im Dutzend verheizen.

mfG WiT
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#10
(02-09-2009, 15:18)Arandir schrieb: Der klassische Diskurs über das islamische Recht dagegen folgt logischen, für alle nachvollziehbaren Prinzipien, die gut begründet sind und ist fest auf die heilige Schrift des Islam, dem Koran gegründen

zum "islamischen recht" sei auf ein buch hingewiesen, das die problematik verdeutlicht, das islamische recht definieren zu wollen:

Es gibt nur wenige Themen, die in den vergangenen Jahren so leidenschaftlich und kontrovers diskutiert wurden wie das islamische Recht. Für seine zahlreichen, zumeist nichtmuslimischen Kritiker ist das islamische Recht ein Sammelsurium mittelalterlicher Normen und Gebote, die vielfach gegen die Menschenrechte verstoßen. Mit Nachdruck hingewiesen wird vor allem auf die in Saudi-Arabien, Sudan und anderen islamischen Staaten vollstreckten drakonischen Körperstrafen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter. All dies sei mit den freiheitlichen Normen eines säkularen Verfassungsstaates unvereinbar und deshalb hätten die westeuropäischen Zuwanderungsgesellschaften mit Teilen der wachsenden muslimischen Bevölkerungsgruppe ein ernstzunehmendes Problem.

Gegen diese einseitige und letztlich verzerrende Darstellung des islamischen Rechts wendet sich das neue Buch des Erlanger Islamwissenschaftlers und Juristen Mathias Rohe. "Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart" zeigt auf über 600 Seiten, dass es das eine islamische Recht zu keinem Zeitpunkt gegeben hat


womit auch die behauptete unwandelbarkeit der vorstellungen von "scharia" widerlegt sein sollte

Die Interpretation der Rechtsquellen - insbesondere von Koran und Sunna - gestaltete sich von Beginn an mannigfaltig und führte alleine im sunnitischen Islam zu vier großen Rechtsschulen.

Rohe zeichnet mit großer Akribie die Entwicklungslinien der Kernbereiche nach und zeigt, dass das Konzert der Interpreten vielstimmig war. Die Regionalstudien zu Indien, Kanada und Deutschland zeigen, dass religiös begründete Rechtsauffassungen von Muslimen erhebliche Unterschiede aufweisen. Sicherlich, es gibt eine Minderheit von Islamisten, die nicht gewillt sind, eine demokratische Verfassung anzuerkennen. Andererseits muss jedoch gesehen werden, dass die große Mehrheit der Muslime einer freiheitlichen Staats- und Rechtsordnung positiv gegenüberstehen.

Vor einfachen Wahrheiten in der hiesigen Islamdebatte warnt daher Rohe. Nach seiner Auffassung besteht die Kunst darin, einen angemessenen Mittelweg zwischen Verharmlosung und Verteufelung zu finden


http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/...ressort=pb&dig=2009%2F10%2F17%2Fa0039&cHash=9ceba700c4

genau darum geht es. selbstverständlich darauf hinzuweisen, wenn und wo "islamisches" rechtsverständnis z.b. den modernen vorstellungen von menschen- und bürgerrecht kollidiert, aber solche vorstellungen nicht für einzig gültig oder unveränderbar zu halten und somit allen muslimen aufzudrücken, selbst wenn sie selber ein anderes, wesentlich liberales verständnis haben

interessant auch die jüngste entwicklung zum niqab in ägypten:

Es war niemand geringerer als der oberste Scheich der Islamischen Al-Azhar Universität in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, einer der höchsten Rechtsautoritäten des sunnitischen Islam, der den Stein ins Rollen brachte. Scheich Muhammad Tantawi forderte vergangene Woche eine Schülerin in einer der Azhar-Schulen auf, ihren Niqab - den vollen Gesichtsschleier - abzunehmen. Diese Art von Bedeckung sei eine Tradition und stelle für gläubige Muslime keine islamische Pflicht dar, erklärte er

es tut sich also sehr wohl etwas in der muslimischen welt, und bei weitem nicht alle muslime oder auch nur islamischen rechtsgelehrten unterwerfen sich einem rückwärtsgewandten fundamentalisten-verständnis
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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