(01-05-2010, 19:27)Coco schrieb: Wieso hatte er so viel Macht und die Bedrohung war für die Herrscher gefährlich oder? Das war doch die römische Regierung. Stimmt das?
Hallo Coco,
Jesus war sowohl in den Augen der angeblich "frommen" Juden (Pharisäer, Saduzäer, Schriftgelehrten) als auch in den Augen der Römer potenziell gefährlich. Warum?
Jesus kritisierte insbesondere die Pharisäer und Schriftgelehrten, weil sie anders handelten als sie predigten. Er wandte sich vor allem gegen die Auslegung der mosaischen Gesetze. Die Pharisäer und Schriftgelehrten fragten eher nach der Praktikabilität eines Gebotes, Jesus dagegen nach Gottes ursprünglicher Absicht. Außerdem wandte Jesus sich gerade den Menschen zu, die seinerzeit als gesellschaftlich ausgestoßen und als minderwertig galten, wozu auch die Frauen gehörten. Ein Beispiel:
Frauen waren nicht erbberechtigt, durften vor Gericht nicht als Zeuge aussagen und hatten die meiste Zeit zu schweigen. Während der Mann sich durch einen einfachen Scheidebrief von einer Frau ohne weiteres trennen konnte, um eine andere zu heiraten, hatte die Frau dieses Recht nicht. Damit war die Frau so etwas ähnliches wie der Besitz des Mannes.
Jesus verurteilte den Ehebruch aus zwei Gründen: Zum einen, weil er die Frauen schützen wollte, damit sie nicht zum bloßen Besitz des Mannes wurden. Zum anderen, weil das mosaische Gesetz, nach der Mann sich von einer Frau durch einen Scheidebrief trennen konnte, nicht dem ursprünglichen Willen Gottes entspricht. Denn es steht geschrieben: "Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch." (Gen. 2, 24)
Daraus schloss er, was Gott zusammengefügt hat, dass soll der Mensch nicht scheiden. Außerdem hat Gott den Menschen als Mann und Frau erschaffen, sodass Jesus die Diskriminierung der Frau verurteilte.
Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Jesus bewies damit den Pharisäern und Schriftgelehrten, wie weit sie sich eigentlich schon von Gott entfernt hatten und stellte natürlich das seinerzeitige System komplett in Frage.
Die Liebe zu Gott und die Liebe zu seinen Nächsten waren für ihn die höchsten aller Gebote. Als Nächsten definierte er jeden Menschen, der der Hilfe und der Barmherzigkeit bedarf. Damit schloss er auch die Heiden ein. Das ist so ein Punkt, der heute an vielen Christen zu kritisieren ist: Sie verachten alle, die nicht glauben wollen. Jesus dagegen wandte sich allen Menschen zu, denn seine Botschaft war für alle Menschen bestimmt.
In den Augen der Römer war er zunächst jemand, der eine Menge Leute um sich scharrte, sodass zu befürchten war, dass er beabsichtigte, einen Aufstand gegen die Römer anzuzetteln. Das war jedoch nicht seine Absicht. Die Frage, ob es rechtens sei, an den römischen Kaiser Steuern zu zahlen, beantwortete er bekanntlich mit: "Gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist und Gott, was Gottes ist." Pontius Pilatus hatte sehr wohl durchschaut, dass Jesus unschuldig im Sinne der Anklage war und man ihn nur benutzen wollten, um einen unliebsamen Menschen loszuwerden.
Denn der Hohe Rate durfte ohne Zustimmung des römischen Statthalters kein Todesurteil fällen. Pontius Pilatus hatte ursprünglich nicht vor, Jesus zu töten. Deshalb bot er dem Volk gemäß dem Brauch zum Passahfest an, einen Gefangenen nach Wahl des Volkes freizusprechen. Was er mit Sicherheit nicht erwartete war, dass das Volk die Freilassung Barrabas forderte. Selbst dann hätte er Jesus noch freisprechen können. Dann hätte er jedoch sein Wort als Statthalter gebrochen und möglicherweise wäre es dann tatsächlich zu einem Aufstand gekommen. Man kann vermuten, dass Pontius Pilatus sich dem Volk beugte, um in Rom nicht unangenehm aufzufallen!
Ein sehr gutes, und vor allem verständlich geschriebenes Buch hierzu ist "Jesus aus Nazareth. Ein Leben" von Heinz Zahrnt. Zahrnt war einer der renommiertesten Theologen in Deutschland.
Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten. (Matt. 7, 12)