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Verletzte bei Demonstration gegen Stuttgart 21
Also - stellenweise sind die Reaktionen hier schon nicht mehr "lustig":

Polski hat völlig berechtigt gefragt, wo denn die Grenze des Befehls liegt? Denn es ist Fakt, dass man sich gerne auf "Befehlsnotstand" beruft - sei es im Justizdienst, bei der Polizei oder bei der Armee. Der Vergleich zwischen den Mauerschützen und einem heutigen SEK oder einer heutigen speziellen Bundeswehrtruppe wie der GSG9 stösst hier nur deswegen auf Ablehnung, weil man der - vielleicht - u.U. irrigen Meinung ist, dass sowas in einem demokratischen Rechtsstaat nicht passieren kann. Solange der Rechtsstaat demokratisch bleibt - passiert sowas auch nicht; die Ereignisse nach demm 11.09.2001 haben aber gezeigt, das selbst überzeugte vormalige Demokraten sich zu "Sicherheitsfanatikern" wandeln können, und dabei durchaus auch bereit sind, wesentliche Grundsätze der Freiheit in der Demokratie zugunsten einer eher vorgeschobenen Sicherheit zu opfern (Schilly, Schäuble). Hier hat die Demokratie insoweit funktioniert, als dassdas BVerfG einen eindeutigen "Riegel" für übertriebene Sicherheitsbestrebungen gesetzt hat - was aber, und so verstehe ich auch Polski's Frage, was aber ist wenn das mal nicht mehr funktioniert?

"Befehlsnotstände" (angebliche) gab's ja schon im Afghanistaneinsatz, bei unseren militärischen Verbündeten auch im Irakeinsatz - man solle sich mal nicht darauf berufen, dass Afghanistan weit weg ist.... wenn sowas in einem Auslandseinsatz von einem Teil der Exekutive passiert, ist das letztlich auch bei einem Inlandseinsatz des anderen Teils der Exekutive mindestens denkbar.

Undenkbar - jedenfalls im Moment - lieber Polski ist jedoch, das einer der heutigen Politiker - egal welcher Partei - einen "Schiessbefehl" der Polizei erteilt. Anders verhält es sich vielleicht mit dem Befehl des Einsatzes von Kampfgas (CS/Reizgas) - aus Stuttgart und UMgebung heraus hab' ich letztes gehört, dass der Ministerpräsident von BW direkt die Aufforderung an die Polizei gemacht haben soll, mit "aller Härte gegen die Störer" vorzugehen (ich warte noch auf ein pdf-Dokument aus dem das hervorgehen soll).

Zur "Nachbereitung": Die gibt's in Deutschland natürlich auch, lieber d.n. Ausser zu Ausbildungszwecken wird da aber in der Regel nicht gefragt: "Haben wir uns in jeder Situation richtig (rechtsstaatlich) verhalten, sondern man fragt: "Hätten wir effektiver sein können"? Nach der Rechtsstaatlichkeit wird nicht gefragt, die wird vorausgesetzt und dementsprechend angenommen - und das ist das Problem. Wenn ich von vorneherein voraussetzen muss, dass das was ich als Beamter mache schon alleine deswegen rechtsstaatlich ist, weil ja von meinen Vorgesetzen bis hoch in die Politik keiner Terrorist, Nazi oder Stalinist ist - dann fällt mir vielleicht garnicht auf wenn da tatsächlich zumindestens faschistoide "Züge" sich in einem Einsatz verstecken. Da steckt auch ein gewisser Selbstsschutz 'drinn, der ist auch menschlich verständlich: Die weit überwiegende Mehrheit der Beamten/Beamtinnen in Deutschland (und sicher auch in Österreich) sind Demokraten. Wenn die in der Nachbearbeitung mehrerer ähnlicher Einsätze feststellen müssten, das sie einer eher faschistoiden Linie innerhalb der demokratischen Strukturen folgen - die müssten ihren Job an den Nagel hängen und von Sozialhilfe leben... Das will sich keiner vorstellen, völlig verständlich.

Ich nehme in Deutschland gerne das Beispiel unserer "Ausländerbehörden": Das Konstrukt einer "Ausländerbehörde" stammt noch auch der Nazizeit. Die Gesetzgebung - das sogenannte "Ausländerrecht" - hat mit dem Menschenrecht und dem Grundrecht als Bürger mit anderem Pass in einer freiheitlich-demokrattischen Grund- und Werteordnung nur wenig zutun. Und ich selbst habe in der Berliner Ausländerbehörde schon einen Spruch mitbekommen: "...die da (gemeint waren Roma's aus Bosnien) sind ja doch bloss alles Verbrecher..". Sowas passt absolut nicht in einen demokratischen Rechtsstaat - ist aber seit 60 Jahren Realität in Deutschland (ich glaube, in Österreich gibt's auch sowas).
(11-11-2010, 10:34)Polski schrieb: Ja aber auch der MAuerschütze kann zu Recht sagen, das er nur auf Befehl gehandelt hat. Der aber wird vor Gericht gestellt. Und hier heisst es, wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Dann frage ich mich, wie sich ein demokratischer Rechtsstaat und ein Knüppeleinsatz der Polizei auf Kinder und jugendliche vereinbaren lassen. Und vor allem Frage ich mich, was denken die Menschen in der Uniform.

Das interessiert mich jetzt mal - kann ja durchaus auch hier mal wieder aktuell werden:

Was wäre in der DDR mit dem Soldaten geschehen, der den Schießauftrag verweigert hätte?

Bei den Nazis wäre er wohl selbst hingerichtet worden und es hätte sich zusätzlich sehr negativ auf seine Familie ausgewirkt - wie Letzteres auch bei Selbstmord.
Da hätte sich die Stasi 'drum "gekümmert".... letztlich währe wahrscheinlich eine Anklage wegen Befehlsverweigerung und Wehrkraftzersetzung herausgekommen, 5 - 10 Jahre Haft in Bautzen...
zur Nachbereitung, logemann: Ich bin daran beiteiligt,..du auch? Und bei uns wird auch grundsätzlich über die Rechtmäßigkeit mitdiskutiert, insbesondere, um uns beim nächsten, ähnlich gelagerten Einsatz abzusichern,..
Aut viam inveniam aut faciam
Danke, logemann, Du hast verstanden, was ich meinte....
Lieber d.n.

von meinen bei der deutschen Polizei arbeitenden Freunden weiss ich, dass das mit der Nachbereitung nicht immer so läuft - wie's laufen sollte. DAS sich aber über die Schiene der Nachbearbeitung auch etwas in Deutschland tut, sieht man an den Kommentierungen der Gewerkschaft der Polizei zu dem gerade erfolgten Gorleben-Einsatz.
(11-11-2010, 10:12)Polski schrieb:
(11-11-2010, 09:58)petronius schrieb: langsam muß ich ekkard recht geben. mit mauerschützenvergleichen driftet die debatte endgültig ins absurde

Bitte erkläre mir, was daran absurd ist? Befehl ist doch Befehl, wieso ist das absurd? Natürlich geht es hier nicht darum, das man Menschen erschiesst

das absurde ist, daß du eben doch genau diesen zusammenhang zwischen schießbefehl und räumungsbefehl (bei der demo in stuttgart) hergestellt hast:

"willy Brandt hat einmal zu den Mauerschützen gesagt: niemand soll glauben, er könne sich nachher auf höheren Befehl berufen - Mord bleibt Mord. Ein Satz, der mich sehr nachdenklich macht. Wie steht es wohl um die Polizisten, die an diesem Einsatz beteiligt waren? Und wäre es nicht an der Zeit, den Polizeidienst zu quittieren?"

es geht genau darum, daß in stuttgart kein befehl ausgesprochen wurde, "das man Menschen erschiesst"

Zitat:Noch einmal: es geht mir hier nicht darum, jemanden an den PRanger zu stellen oder zu kriminalisieren

das will ich hoffen, klingt aber anders

Zitat:es geht mir darum, eine ehrliche Antwort auf meine Frage zu bekommen, wie es angehen kann, das sich Polizisten in Deutschland dazu missbrauchen lassen, auf eine genehmigte und angemeldete Schülerdemonstration einzuknüppeln und wie diese das mit ihrem Gewissen vereinbaren können!

das kann dir nur jeder einzelne polizist beantworten
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
(11-11-2010, 11:07)Franziskus schrieb: Es besteht eine positive Korrelation zwischen Empörungsbereitschaft und dem Gefühl, selbst betroffen zu sein bzw. theoretisch sein zu können
...

ganz recht!
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einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
(11-11-2010, 11:14)Polski schrieb: Mich erschliesst nicht, was ist der Unterschied zwischen einem Befehl und dem anderen?

daß der eine befehl lautet, menschen zu erschießen, und der andere, eine demo zu räumen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
(11-11-2010, 13:39)t.logemann schrieb: Also - stellenweise sind die Reaktionen hier schon nicht mehr "lustig":
...
Der Vergleich zwischen den Mauerschützen und einem heutigen SEK oder einer heutigen speziellen Bundeswehrtruppe wie der GSG9 stösst hier nur deswegen auf Ablehnung, weil man der - vielleicht - u.U. irrigen Meinung ist, dass sowas in einem demokratischen Rechtsstaat nicht passieren kann

nur wurden eben nicht "Mauerschützen mit einem heutigen SEK oder einer heutigen speziellen Bundeswehrtruppe wie der GSG9" verglichen

thema verfehlt, setzen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
Wie ich Polski verstehe, stellt sich die Frage, wann und wie Grenzen überschritten werden. Wann und mit welchen Mitteln wird über das gebotene Maß gehandelt - also mit polizeilichen Mitteln eingegriffen - und schließlich: wie kann man einem überbordenden staatlichen Eingriff stoppen. Die Frage ist stets aktuell. Ich finde nicht, dass das banalisiert werden soll; auch in einer Demokratie nicht und gerade ihr zum Schutze, den Grundfesten einer Demokratie wegen, im Auge behalten. Wachsamkeit und Anschauen, was sich auftut - in alle Richtungen hin -, finde ich selbstverständlich.
Armer Petronius.

würde man "weiterdenken" bewerten - Du müsstest Dich ja nur noch setzen...:icon_cheesygrin:

Guten Morgen liebe Theodora,

das Problem ist - wie Polski durchaus richtig bemerkte - der "Umstand des Befehls", also die Frage: "Wenn man befehlen darf, das Demonstranten Kampfgasen ausgesetzt werden dürfen/sollen - wann kann man dann befehlen das auf diese auch zu schiessen ist...?". Dabei - lieber d.n. (auch Dir einen guten Morgen, falls Du schon mit liest), geht es nicht darum, dass in einem demokratischen Rechtsstaat es "eigentlich" unmöglich ist, das Schusswaffengebrauch befohlen wird bzw. dass "einfach so" Polizeibeamte auf Demonstranten schiessen - es geht darum, wo und wann die Grenzen die der demokratische Rechtsstaat normalerweise vorgibt, überschritten werden können, und ob sie überhaupt überschritten werden dürfen.

Fairerweise muss man natürlich sagen, dass das auch für Demonstranten gilt: Wer mit einer geladenen Waffe - egal ob Soft-Air-Pistole, Luftgewehr oder Kleinkaliber-"Sport"pistole auf eine Demo maschiert - überschreitet einwandfrei die Grenzen...
Die erste Stufe, ist immer die der Wahrnehmung, damit eine geistige Auseinandersetzung überhaupt stattfinden kann. Was passiert vor unseren Augen? Und wie immer, in alle Richtungen schauen und denken. Welche Zusammenhänge gibt es und warum agieren, reagieren die betreffenden Menschen so und nicht anders? Was bewegt Menschen? Und warum wollen andere wiederum, dass alles so bleibt, wie es ist? Wann wird Gewalt als Mittel akzeptiert und auf der anderen Seite, Gewalt verachtet und unter Strafe gestellt? Hat das mit Macht und Geld zu tun? Darf zum Beispiel die Armee zur Verteidigung der Wirtschaft und wirtschaftlichen Interessen, in Einsatz kommen? Gleiche Frage stellt sich, darf die Polizei in Einsatz kommen, wenn es wirtschaftliche Interessen gibt, die von den Bürgern nicht bebilligt werden und andere Bereiche zu gefährden droht? Ich denke schon, dass der Zweifel und die Nachfrage lohnt und wichtig ist.
Zitat:

Darf zum Beispiel die Armee zur Verteidigung der Wirtschaft und wirtschaftlichen Interessen, in Einsatz kommen? Gleiche Frage stellt sich, darf die Polizei in Einsatz kommen, wenn es wirtschaftliche Interessen gibt,

Das passiert ja schon - Horst Köhler hatte es zuerst ausgesprochen (und wurde dafür gescholten) Karl-Theodor zu Guttenberg hat's letztens noch mal bekräftigt: Die Bundesmarine schützt die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands - durch den Einsatz gegen die Piraterie vor der somalischen Küste.

Nun ist es begrüssenwert dass sich mehrere Staaten gegen Piraterie zur Wehr setzen - aber wäre es nicht sinnvoller eine effektive Friedenstruppe nach Somalia zu schicken und gleichzeitig den Somalesen die Möglichkeit zu geben, zufrieden von ihrer Hände Arbeit leben zu können, anstatt sich den eigenen Mafiosis anzuvertrauen?

Und was die Polizei angeht: "Offiziell" wird sie zum Schutz von Rechtsgütern eingesetzt - aber hier geht's nicht um eine Polizeikette vor dem Deutschen Bundestag, damit demokratisch gewählte Abgeordnete ihre Arbeit machen können. Hier geht's selbstverständlich um handfeste wirtschaftliche Interessen (genauso wie in Gorleben unter besonderer Beachtung der Laufzeitverlängerungen auch). Und hier stellt sich schon die Frage: Darf man die "Sicherung von Rechtsgütern" im Munde führen - und die Sicherung des Profits meinen? Und "darf" ein demokratischer Rechtsstaat dafür letztlich Polizisten wie protestierende Bürger "verheizen"?
Danke an Theodora und logemann, die es noch einmal besser ausdrücken konnten als ich.


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