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Sündenfall und Paradies
#1
Ich habe mich in letzter Zeit ein klein wenig mit dem Sündenfall der Bibel auseinandergesetzt und bin dabei auf eine recht gängige (?) Interpretation gestoßen, die mir nicht allzu weit hergeholt scheint, nämlich folgende:

Der Sündenfall ist eine Allegorie für das Erwachsenwerden, das Paradies stellt also symbolisch die Kindheit dar, in der man frei von "Erkenntnis" und deshalb unschuldig ist, und man wird vom "Vater" bevormundet, beschützt.
Durch die "Erkenntnis" wird der Mensch in dem Sinne dem "Vater" gleich, er muss sich also, anders als ein Kind, für sein Tun und Handeln verantworten und in der Welt ohne den "Vater" bestehen.

Klingt soweit recht sinnvoll in meinen Ohren. Doch ich stelle mir die Frage: Wenn man jetzt von dieser Interpretation ausgeht, ist es dann überhaupt sinnvoll, "zurück zu Gott ins Paradies" zu wollen, also in eine Art infantilen Zustand zurück, in dem man vom "Vater" vor allem "Bösen", wie z.B. dem Tod, beschützt wird?


Oder sagt man als Christ, der an das Paradies glaubt, einfach, diese Interpretation sei für den Barsch Icon_cheesygrin?

MfG, kaneís
Eine Religion, welche nicht oder nicht mehr fähig ist, sich auf die Höhe der erworbenen Wissenschaft zu erheben, ist eine tote Religion. - Leopold Zunz
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#2
Diese Analogie ist mir gut bekannt und ich teile die Ansicht, dass wir heutige Menschen in unserer Entwicklung mit den Geschehnissen der Bibel übereinstimmen. Ich deute damit an, dass nicht nur das Paradies und die Vertreibung aus ihm ein Spiegel ist.

Viele möchten die Unschuld des Kindlichen wieder erlangen und lehnen Verantwortung ab. Mein Eindruck jener ist, dass sie mit der Last der Verantwortung im weitesten Sinne nicht zurechtkommen. Die Lösung ihrer Probleme sehen sie in dem Wunsch, kindlich zu sein, was auf das Religiöse übertragen, der Wunsch zurück ins Paradies bedeutet.

Die Entwicklung des Menschen ist aber biblisch und faktisch längst weitergegangen, deshalb ist unsere wirkliche Aufgabe die Fortentwicklung und nicht die Rückentwicklung zu Gott.
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#3
seh ich alles genauso, auch wenn ich die analogie zur evolution ziehe - also die entwicklung des menschen als bewußtem und verantwortlichen wesen aus dem (nicht durch reflexives bewußtsein, verantwortung und moralische skrupel belasteten) tier

es gibt kein zurück ins paradies - und genau betrachtet war das auch gar nicht so paradiesisch. der erwachsene und bewußte mensch hat ja doch ganz andere möglichkeiten
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#4
... ist ja das, was ich schon vielfach im Forum geschrieben habe: Die Erzählform der alten Israeliten verführt uns dazu, an eine "historische Entwicklung" zu glauben. Dabei handelt es sich nur um das Stilmittel, einen Daseinszustand z. B. den des Erwachsenen (als Werdensgeschichte) darzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#5
Als Allegorie (natürlich ohne Realitätsbezug!) hat der Gedanke was: Adam und Eva tobten erst unbeschwert in einer Idylle herum, taten dann etwas, das ihnen verboten war, schoben (wie ertappte Kinder) die Schuld auf andere, und als sie das Paradies verlassen hatte, begann der Ernst des Lebens: Sie mussten sich wie Erwachsene verhalten: Arbeiten und Kinder bekommen, auch wenn beides nicht immer Spaß macht. Dafür hatte ihre Missetat sie klüger gemacht.
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#6
Der "Sündenfall" steht in meiner Interpretation für das Erwachen des menschlichen Bewusstseins und des Wissens um den Tod, dem als Gegenpol Kultur und Wissen um das Leben entgegengestellt wird - der Mensch beginnt, seine Umwelt (und damit sich selbst) zu gestalten und lebt nicht einfach nur mehr in ihr. Man verlässt den paradiesischen (problemlosen) Status und beschäftigt sich mit der Umwelt, sich selbst - und der Moral ("Gut und Böse"). Es ist auch das Erwachen Gottes - der Geburt des Glaubens.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
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#7
(30-08-2012, 20:03)petronius schrieb: seh ich alles genauso, auch wenn ich die analogie zur evolution ziehe - also die entwicklung des menschen als bewußtem und verantwortlichen wesen aus dem (nicht durch reflexives bewußtsein, verantwortung und moralische skrupel belasteten) tier

es gibt kein zurück ins paradies - und genau betrachtet war das auch gar nicht so paradiesisch. der erwachsene und bewußte mensch hat ja doch ganz andere möglichkeiten

Genau deshalb frage ich mich, wieso man sich wünschen sollte, oder wieso sich manch Einer wünscht, man könnte zurück in dieses "Paradies" kommen. Ist es die Angst vor der Verantwortung? Ist es zuviel erlittenes Leid? Ich verstehe es nicht.
Eine Religion, welche nicht oder nicht mehr fähig ist, sich auf die Höhe der erworbenen Wissenschaft zu erheben, ist eine tote Religion. - Leopold Zunz
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#8
(31-08-2012, 17:17)kaneís schrieb: (...) Genau deshalb frage ich mich, wieso man sich wünschen sollte, oder wieso sich manch Einer wünscht, man könnte zurück in dieses "Paradies" kommen. Ist es die Angst vor der Verantwortung? Ist es zuviel erlittenes Leid? Ich verstehe es nicht.

Ich eigentlich auch nicht, aber ich beobachte immer wieder, wie die Angst vor der Verantwortung verbunden mit einer überschwänglichen Sentimentalität ist. Beides bildet zumeist eine Einheit, deren Grundlage nicht weiter ist als Angst vor dem bewussten und verantwortungsvollen Leben.

Psychologisch handelt es sich bei dieser Angst um die so genannte Hysterie in ihrer neurotischen Form, denn sie gibt es auch in der psychotischen. Die Hysterie hat Angst vor dem Ende, vor allem vor dem ultimativen Ende, das zum Beispiel der Tod sein kann oder das göttliche Endgericht und dergleichen. Darum sucht sie sich eine harmlose bunte Kinderwelt, in der es immer weitergeht ohne Konsequenzen und Rechtfertigung, denn diese Qualitäten sind mit dem Sündenfall in das Leben der Menschen eingezogen.
Ich spreche von dieser Angst gerne von einem schlechten Gewissen, das tief in unserem Unbewussten liegt, den Sündenfall begangen zu haben. Es ist das Gewissen, das durch den Sündenfall entstand und die Angst psychisch noch nicht bewältigt wurde. Der Hysteriker ist zwar körperlich in dieser Welt, aber seelisch ist er noch nicht in ihr angekommen.

Wenn ich nun all das berücksichtige, kann ich diese Haltung, diese Angst gut verstehen.
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