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Bewertung Islam aus christlicher Perspektive
#80
(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Ich persönlich empfinde die Auseinandersetzung mit konkreten Situationen als sehr viel anspruchsvoller als zu meiner "katholischen Zeit". Das mag gerade daran liegen, dass in den "'nur moralischen Appellen' im Neuen Testament" (Antes, Große Religionsstifter, S. 103) ein großer Gestaltungsspielraum liegt, der auch durch die Förderung der historisch-kritischen Exegese in den letzten 100 Jahren nicht zum besseren hin verstärkt wurde, denn wie es die Kirche vormacht, so nehmen sich die Gläubigen ein Beispiel daran.

Festen Regeln zu folgen ist nicht anspruchsvoll. Jeder kann das, egal wie leicht oder schwer es ihm faellt, gewisse Konzepte zu verstehen. Wenn man einfach einer Liste von Regeln folgt, was einem das Himmelreich sichert, so ist das viel einfacher, als jede Handlungsweise anhand einer Morallehre beurteilen zu muessen. Die Attraktivitaet des Islam in Regionen wie Afrika liegt gerade eben in seiner Simplizitaet. Er nimmt dem Glaeubigen die Last der Entscheidung ab, die die eigentliche Pruefung seines Charakters darstellt.

Die historisch-kritische Exegese wiederum hatte gar nicht das Ziel, das zu leisten, was Du da forderst. Es geht dabei nicht darum, den Glauben zu definieren, sondern die Vorstellungswelt der Autoren oder Editoren der Texte zu ermitteln. Wer lediglich am lebendigen Glauben interessiert ist, der befasst sich nicht mit historisch-kritischer Exegese.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Wenn ich davon ausgehe, dass der Sinn einer Sache in einem historischen Text generell vernebelt und verschleiert wurde und man den wahren Sinn erst nach einer Reihe von Textanalysen, Historie, Sprachwissenschaft, Soziologie usw erkennen kann, dann gehe ich als Gläubiger nicht nur davon aus, selbst aus der Schrift nichts mehr lesen zu können, außerdem neige ich dann dazu, alle möglichen persönlichen Interpretationen hineinzulegen.

Das Schoene an den Texten in der Bibel ist, das sie oft so geschrieben sind, dass sie zwei verschiedene Verstaendnisebenen ansprechen; wer dem vordergruendigen Text folgt, liest eine Geschichte, und wer dem Subtext folgt, eine andere. Hierbei fuehren aber beide Verstaendnisebenen zum gleichen Ziel, also macht es nichts, wenn man den Subtext nicht bemerkt. Wenn Du z.B. die Austreibung des unreinen Geistes in Markus 1 liest, so wird der oberflaechliche Leser das Wunder einer Daemonenaustreibung in plastischen Worten sehen, waehrend der aufmerksame Leser sieht, das hier nur blumenreich beschrieben wird, wie eine kraftvolle Auslegung des Wortes Gottes durch Jesus falsche Vorstellungen in seinem Gegenueber korrigiert. Der Schluessel liegt in dem Wort "Lehre", das als Methode der Austreibung genannt ist. Es ist hier also egal, wie Du das liest; das Ergebnis ist dasselbe: Jesus korrigierte falsche Ansichten.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Die Diskussionen um den Kreuzestod oder die - nicht vollzogene - Opferung seines Kindes durch Abraham sind gute Beispiele dafür.  Da wird ein Gott der Liebe deklariert und der Rest wird passend gemacht. Schon ist jede unbequeme Auseinandersetzung mit einem vielleicht unbequemen Gott umgangen.

Nun ja, das kann man durchaus bemaengeln. Das einseitige Bild eines Gottes der Liebe ist sicherlich falsch. Nur muss man Geschichten wie die mit Abraham nicht falsch interpretieren: Es mag uns heute ein wenig seltsam erscheinen, aber Jahwe trat hier in ein semitisches Pantheon, bei dem Menschenopfer gang und gaebe waren, und Jahwe hat dieses Pantheon beerbt (vor allem El). Im Prinzip feiert diese Geschichte, dass diese dauernden Menschenopfer endlich aufhoerten, was einen wichtigen zivilisatorischen Schritt darstellt.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Wenn ich hingegen davon ausgehe, dass ein Text Gottes Wort ist, auch im wörtlichen Sinne, und es ein tatsächliches Geschehen gab, stehe ich zwar immer noch in einer bestimmten Relativität, weil Gott in eine bestimmte Situation hineingesprochen hat und diese an - auch historische - Bedingungen geknüpft ist, aber ich muss mich trotzdem damit viel mehr befassen, wenn ich es in die heutige Zeit übertragen will. Eine nette historische Geschichte, noch dazu Menschen Wort, ist eben etwas anderes als ein direkter Tötungsbefehl von Gott in einer konkreten Situation.

Nur, niemand nimmt an, dass irgendeine dieser Geschichten wirklich so passiert ist. Das ist schon so ziemlich ausgeschlossen, wenn man beruecksichtigt, dass erst in der Zeit um das Ende der Babylonischen Gefangenschaften angefangen wurde, diese Dinge aufzuschreiben, also mehr als 1000 Jahre, nachdem sie angeblich passiert sind. Bei einigen Geschichten ist auch klar, dass sie erst fuer Jahwe adaptiert wurden und nachtraeglich an monotheistische Vorstellungen angepasst wurden. D.h., ein Woertlichnehmen dieser Geschichten ist schlicht falsch. Die juedische Exegese hat das auch zur Zeit Jesu nicht getan (lies mal Philo).

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Man sieht das ja an der Standardargumentation vieler Christen: "Das alte Testament ist nicht mehr wichtig", während sie es aber jeden Tag in der Kirche als Wort Gottes verkünden. Es zwingt auch zur Auseinandersetzung mit den Grenzsituationen menschlicher Konflikte, Moral und Autorität. Das ist anstrengender als von einem liebenden Gott auszugehen, der bestenfalls noch in Form einer Fürbitte vor dem Socializing der Gemeinde in Form von Kaffee und Kuchen ins Dasein tritt.

Das muss an Deinem Pfarrer gelegen haben. Manche Pfarrer sind beruechtigt fuer ihre dauernden Brandreden. Was das AT angeht, werden halt nur noch einige wenige, bestimmte Stellen herangezogen, die Bezug zum NT haben. Letzteres ist sozusagen ihre Lebensversicherung, um ein wenig Zusammenhang in einige NT-Stellen zu bringen. Das AT komplett zu entsorgen war ja durchaus der Weg, den ein Teil der fruehen Christenheit gegangen ist (der Vorgaenger des Lukas-Evangeliums kommt aus der Ecke). Die Gideon-Bruderschaft in den USA verteilt meist Buechlein, die aus NT+Psalmen+Sprueche besteht; den Rest vermisst niemand so richtig.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Warum ein liebender Gott seinen Sohn geopfert haben soll, ist dann bestenfalls noch ein symbolisches Konstrukt.

Es ist in der Tat ein symbolisches Konstrukt, das uebrigens die Kernfrage Deiner Anfangs-Kritik betrifft: die Aufloesung des alten Bundes. Wenn Du willst, kann ich das irgendwo erlaeutern, aber das fuehrt hier jetzt zu weit.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Zur Not nimmt man irgendeinen Konzilstext, wo die Kirche die Frage irgendwie beantwortet hat. Wie widersinnig und unlogisch das dann auch ist, interessiert niemanden.

Konzile sind letztlich politische Veranstaltungen. Es menschelt. Ohne Kompromisse kommt man im Leben nicht weiter, und die sind halt nicht immer so klar, wie die oft sehr unterschiedlichen Vorstellungen, aus denen sie zusammengebastelt wurden.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Gleichzeitig ist die Sprache natürlich ein großes Hindernis. Obwohl das 2. vatikanische Konzil weiterhin bestärkt hat, dass Latein die offizielle Kirchensprache ist und die Gläubigen in der Lage sein sollten, zumindest das Messordinarium in lateinischer Sprache mitbeten zu können, sind die meisten Gläubigen nicht einmal mehr in der Lage, die Grundgebete (Pater Noster, Ave Maria, Gloria Patri) in Latein zu beten.

Latein ist genau so nahe am originalen Text wie Deutsch: beide sind genau einen Uebersetzungsschritt entfernt. Latein macht also in diesem Zusammenhang keinen Unterschied und wird zurecht von den Glaeubigen verworfen.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Wenn sich Menschen schon mit der lateinischen Sprache derart schwer tun (und für die Grundgebete muss man keine 3 DIN A4 Seiten Fälle auswendig lernen), dann finden sie auch keinen Zugang zur arabischen Sprache.

Das geht ja selbst den Arabern nicht viel besser, weil niemand mehr so richtig das Arabisch, das der Koran benutzt, versteht; Araber eingeschlossen.

(25-12-2015, 08:28)Abraham schrieb: Möglicherweise sind manchen Menschen die religiösen Pflichten im Islam auch "too much", ich kann mich noch gut erinnern wie man in der Kirche schon fast wie ein Fundamenalist behandelt wurde, nur weil man täglich zur Messe ging oder ein Morgen- und Mittagsgebet gemacht hat.

Es mag schon sein, dass das dem einen oder anderen zuviel ist. Allerdings sehe ich das sowieso nicht als besonders sinnvoll an, im eigentlichen Wortsinn. Es ist, wie ich oben gesagt habe, im Prinzip sogar einfacher, schlicht irgendwelchen festen Regeln zu folgen, als sich sinnvoll mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen.
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