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Hintergrund-Fragen zum PHILIPPUS-EVANGELIUM
#1
Sehr geehrte Forenfreunde
und Forenfachleute,

... insofern ich das richtig mitbekommen habe ist nur im PHILIPPUS-Evangelium erwähnt, dass JESUS möglicherweise
doch dabei war eine Familie zu gründen. Sollte an dieser Aussage wirklich etwas dran sein hätte m. E. auch in anderen
APOKRYPEN hierzu etwas stehen müssen. Dieser Umstand macht mich ein wenig stutzig.

Mit Spekulationen ist diesem Thema sicherlich nicht bei zu kommen, aber objektiv betrachtet sind die Angaben ja relativ
dürftig für eine derartig wichtige Kerninformation. Das kann nach meinem Eindruck auch daran liegen, dass Philippus
Jesus nicht so nahe stand wie andere Jünger. Die Bibelfachleute machen diesen Unterschied recht selten, aber es ist
doch auch eine Tatsache, dass Petrus und Jakobus Jesus näher gestanden haben als andere. ist diese Schlußfolgerung
soweit haltbar ?! Diese Frage stelle ich mir schon seit langem ...

b) Der Text auf den diese Aussage sich besieht ist doch wahrscheinlich eine Abschrift des Originals.
Kann es hier ggf. auch zu einem schwerwiegenden Übersetzungsfehler gekommen sein ? ...
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#2
(05-07-2016, 12:16)Kreutzberg schrieb: ... insofern ich das richtig mitbekommen habe ist nur im PHILIPPUS-Evangelium erwähnt, dass JESUS möglicherweise doch dabei war eine Familie zu gründen. Sollte an dieser Aussage wirklich etwas dran sein hätte m. E. auch in anderen APOKRYPEN hierzu etwas stehen müssen. Dieser Umstand macht mich ein wenig stutzig.

Das sogenannte "Philippus-Evangelium" ist (wahrscheinlich) eine Sammlung von Spruechen aus anderen Texten, die aus der valentinianischen Ecke stammen. Ein Evangelium im eigentlichen Sinn ist das nicht. Es koennte eine Predigt sein. Keins der vermutlichen Quellen, aus denen die ueber 100 Teile kommen, konnte identifiziert werden (die Texte sind wohl alle verloren), ausgenommen ein paar Stellen, die wie Zitate aus unseren kanonischen Evangelien aussehen. Dass die Quellen alle nicht mehr existieren, ist jetzt nicht ungewoehnlich, da alle "haeretischen" Schriften spaeter von der Kirche vernichtet wurden. Nur die wenigen Texte, die sie nicht gefunden haben, wie dieser, sind ueberliefert.

(05-07-2016, 12:16)Kreutzberg schrieb: Mit Spekulationen ist diesem Thema sicherlich nicht bei zu kommen, aber objektiv betrachtet sind die Angaben ja relativ dürftig für eine derartig wichtige Kerninformation. Das kann nach meinem Eindruck auch daran liegen, dass Philippus Jesus nicht so nahe stand wie andere Jünger. Die Bibelfachleute machen diesen Unterschied recht selten, aber es ist doch auch eine Tatsache, dass Petrus und Jakobus Jesus näher gestanden haben als andere. ist diese Schlußfolgerung soweit haltbar ?! Diese Frage stelle ich mir schon seit langem ...

Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass selbst von unseren kanonischen Texten nur die Autorenschaft des Apostels Paulus fuer einige der unter seinem Namen veroeffentlichten Briefe als authentisch angenommen wird; alle anderen Texte sind wohl pseudoepigraphisch. So ist das auch hier. Der "Terminus post quem", also das frueheste Datum, an dem das "Philippus-Evangelium" geschrieben sein kann, ist die Wirkungszeit des Valentinus in Rom (138-158), da das Werk deutlich von seinen Lehren beeinflusst ist. Als Entstehungszeitraum gilt im allgemeinen 180-250. Irgendwelche Argumentationen mit dem NT Philippus sind also muessig; der war zum Zeitpunkt der Abfassung schon lange tot.

(05-07-2016, 12:16)Kreutzberg schrieb: b) Der Text auf den diese Aussage sich besieht ist doch wahrscheinlich eine Abschrift des Originals.
Kann es hier ggf. auch zu einem schwerwiegenden Übersetzungsfehler gekommen sein ? ...

Es ist mit ziemlicher Sicherheit eine Uebersetzung aus dem Griechischen. Einen Uebersetzungsfehler kann man zwar nie ausschliessen, aber das ist eigentlich unwichtig. Von "Ehefrau" ist nicht explizit die Rede; das verwendete Wort hat viele Bedeutungen. Die "Kuss"-Passage ist leider unvollstaendig und nicht ganz klar. Allerdings ist die Idee, dass Jesus mit Maria Magdalena liiert war, im Prinzip geradezu gewoehnlich im Vergleich zu anderen Geschichten ueber Jesus, die ab dem 2. Jahrhundert verfasst wurden.

Uebrigens, falls Dir Englisch einigermassen gelaeufig ist, kann man den Text hier lesen:
*http://earlychristianwritings.com/text/gospelphilip.html
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#3
(05-07-2016, 13:58)Ulan schrieb: Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass selbst von unseren kanonischen Texten nur die Autorenschaft des Apostels Paulus fuer einige der unter seinem Namen veroeffentlichten Briefe als authentisch angenommen wird; alle anderen Texte sind wohl pseudoepigraphisch. So ist das auch hier.
Der "Terminus post quem", also das frueheste Datum, an dem das "Philippus-Evangelium" geschrieben sein kann, ist die Wirkungszeit des Valentinus in Rom (138-158), da das Werk deutlich von seinen Lehren beeinflusst ist.

Eine interessante Idee stellst Du hier vor.
Allerdings ist folgendes bekannt: damals in der Spätantike geisterten allerlei Lehren (die allermeisten letztlich mit Wurzeln aus dem Niltal) herum.
Wenn man sich all die Lehren der zahllosen Philosophen anschaut, so erkennt man das sehr bald. Alles aus Ägypten gestohlen, sagen wir höflich "tradiert"

Philippus und Valentinus - obwohl zu unterschiedlichen Zeiten lebend - waren der fruchtbare Ackerboden uralter Geheimkulte / Geheimlehren des Niltals.
Die beiden kannten einander gar nicht, dennoch schimmert so manche "Weisheit" der Nilsümpfe bei beiden durch . . .
Parallel

Fazit: Philippus ist keineswegs von den Lehren Valentinus' beeinflußt.
Sondern beide tragen Keime des Niltals in sich.

Somit ist die von Dir vorgestellte These zwar altbekannt und originell, aber bei näherer Betrachtung nicht schlüssig.
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#4
(05-07-2016, 12:16)Kreutzberg schrieb: ... insofern ich das richtig mitbekommen habe ist nur im PHILIPPUS-Evangelium erwähnt, dass JESUS möglicherweise doch dabei war eine Familie zu gründen.

Eine interessante These, in der Tat.
Ich habe mit einem berühmten Oberrabbiner darüber diskutiert. Folgendes Ergebnis:

Jesus (eigentlicher Name ישוע Jeschua) war ein Rabbi.  So ließ er sich jedenfalls laut dem Evangelium anreden.
Ein Rabbi mußte zwingend verheiratet sein.
Sonst wäre er angeklagt worden.

Im umstrittenen Prozeß Jesu findet sich aber keine Erwähnung dieses Anklagepunktes.
Somit war Jesus verheiratet.

Wäre Jesus ein böser unverheirateter Rabbi gewesen, so hätten seine Ankläger dies zweifellos vorgebracht.
Ist ja tausendmal leichter zu beweisen als Zauberei (Totenerweckung, übers Wasser gehen, dem Wind gebieten, Brotvermehrung, Fischvermehrung)
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#5
(05-07-2016, 22:23)Sinai schrieb: Jesus (eigentlicher Name ישוע Jeschua) war ein Rabbi.  So ließ er sich jedenfalls laut dem Evangelium anreden.
Ein Rabbi mußte zwingend verheiratet sein.

Für die Zeit vor der Zerstörung des 2. Tempels ist diese Annahme falsch! Siehe HIER (klick!).
MfG B.
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#6
Doch!  Ein Rabbi mußte zwingend verheiratet sein.
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#7
(05-07-2016, 21:37)Sinai schrieb: Somit ist die von Dir vorgestellte These zwar altbekannt und originell, aber bei näherer Betrachtung nicht schlüssig.

Jedenfalls beruht der von mir vorgestellte Vorschlag auf etwas mehr als reiner Spekulation, was zumindest einen gewissen Vorteil darstellt.

(05-07-2016, 21:37)Sinai schrieb: Fazit: Philippus ist keineswegs von den Lehren Valentinus' beeinflußt.
Sondern beide tragen Keime des Niltals in sich.

Der letzte Satz erweckt bei mir nur Assoziationen von Durchfall und Bilharziose.

Ich kenne niemanden ausser Dir, der den Apostel Philippus tatsaechlich als Autor ansieht. Allerdings mag zumindest der Rest Deiner Ausfuehrungen in eine Richtung deuten, die man nicht ganz ausschliessen kann. Es wuerde uns viel helfen, wenn wir die Haupttexte der Gnostiker und anderer "Haeretiker" als eigentlichen Text vorliegen haetten (so wie das Philippus-Evangelium) und nicht nur durch die Zitate ihrer Gegner. Das wuerde uns bei der Einordnung der Gnosis sehr helfen.

Nur eins ist klar: Wenn man einen Text wie das Philippus-Evangelium liest, faellt eigentlich sofort auf, dass wir hier nicht auf einen Tatsachen-Bericht schauen. Die Worte, die dort geschrieben sind, sollen eine Bedeutung tragen, die ueber den reinen Wortsinn hinausgeht.
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#8
Welche Anhaltspunkte gibt es denn im jüdischen Gesetz hierzu ? Sollte das zutreffen müsste die
dargelegte MUSS-Vorschrift, dass JESU als unverheirateter Mann kein Lehrrecht hat auch wissenschaftlich belegt werden können.
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#9
Schau hier:

Aus der Rubrik "Frag' den Rabbi":



Muss ein Rabbiner verheiratet sein?
haGalil.com
Beachte aber bitte, daß haGalil die Lehrmeinung des heutigen Mainstream-Judentums lehrt, das ist halachisch

Zur Zeit des Tempels war die Halacha noch nicht die allgemein gültige Norm !
Der Tempel ignorierte das sogenannte mündliche Gesetz
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#10
(07-07-2016, 11:02)Kreutzberg schrieb: Welche Anhaltspunkte gibt es denn im jüdischen Gesetz hierzu ? Sollte das zutreffen müsste die
dargelegte MUSS-Vorschrift, dass JESU als unverheirateter Mann kein Lehrrecht hat auch wissenschaftlich belegt werden können.

Nochmals:

Rabbi war zur Zeit Jesu ein Ehrentitel, mit dem Schüler ihre Meister angesprochen haben. In tannaitischer Zeit und danach war Rabbi ein Gelehrtentitel.  Auch für Tannaiten gibt es Beispiele, dass sie ledig geblieben waren.

Gemeinderabbiner, die verheiratet sein mussten bzw. müssen (und nur von diesen ist bei haGalil die Rede),  gibt es erst seit dem Spätmittelalter. Sinai kann solche Dinge nicht auseinanderhalten.

HIER (klick!) sind diese Dinge beschrieben und mit Verweisen auf die einschlägige wissenschaftliche Literatur belegt.
MfG B.
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#11
(07-07-2016, 15:02)Bion schrieb: Gemeinderabbiner, die verheiratet sein mussten bzw. müssen (und nur von diesen ist bei haGalil die Rede),  gibt es
erst seit dem Spätmittelalter. Sinai kann solche Dinge nicht auseinanderhalten.

Beschäftigte sich nicht der große Rabbi Maimonides (1138-1204) sehr stark mit deren Aufgaben ?
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#12
Ich kenne mich hier nicht aus. Das ist Neuland für mich. Dennoch ist mir unbekannt, dass JESUS als Rabbiner irgendwann offiziell eingesetzt wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich selbst einfach als Rabbiner bezeichnen durfte zu jener Zeit. Das ist mir etwas suspekt. Ich denke hier begeben wir uns was die historische Persönlichkeit JESUS CHRISTUS betrifft auf ein vollkommen unbekanntes Feld, das bisher von den Bibelwissenschaftlern als zweitrangig eingestuft wurde. JESUS der Prophet ist dagegen vielmehr schon immer medienwirksam gewesen.
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#13
(08-07-2016, 11:19)Kreutzberg schrieb: Ich kenne mich hier nicht aus. Das ist Neuland für mich. Dennoch ist mir unbekannt, dass JESUS als Rabbiner irgendwann offiziell eingesetzt wurde.

Da gibt es kein "einsetzen", das ist ja kein Präsident eines Briefmarkensammlervereins.
Dies ist ein Vorrecht der Geburt. Jesus stammt aus dem Hause David
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#14
(08-07-2016, 11:19)Kreutzberg schrieb: Ich kenne mich hier nicht aus. Das ist Neuland für mich. Dennoch ist mir unbekannt, dass JESUS als Rabbiner irgendwann offiziell eingesetzt wurde.

Das Amt gab es damals noch nicht. Das rabbinische Judentum entwickelte sich erst nach dem Fall Jerusalems, parallel zum Christentum.
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#15
Wenn man will : handelt es sich hier um eine berufliche Selbstverwirklichung ohne sachliche Zwänge. Das ist schon toll, jedoch auch das Einfallstor für Scharlatane aller Art und genau das ist dann auch in der Historie so passiert ...
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