12-01-2005, 11:05
Aus 'Zu Theorie und Praxis der Toleranz' von Ram Adhar Mall,
einem indischen Philosophen, den ich sehr schätze.
(Gustav-Mensching-Vorlesungen für religiöse Toleranz, Bd. 2)
1. Nicht so sehr wir haben die Notwendigkeit und die Aktualität des heute so mit Recht als lebensnotwendig empfundenen interreligiösen Dialogs gesucht; sie sind uns eher widerfahren.
2. Dies verdanken wir in diesem Ausmaß in erster Linie dem groß angelegten Versuch der christlichen Missionierung im Gefolge und auch im Verbund mit dem europäischen Expansionismus.
3. Es ist vielleicht eine Ironie des expansionistischen Geistes, daß er, auf dem Gebiet der Religion zwar auf Einheit angelegt, pluralistisch endet. Der religiöse und auch theologische Pluralismus waren nicht im Sinne des Erfinders.
4. Das hermeneutische Anliegen ist so alt wie das menschliche Leben selbst. Gerade die Tradition der religiösen Hermeneutik weist ein ehrwürdiges Alter auf. Unsere heutige Rede von der Hermeneutik im Hinblick auf den Dialog der Religionen jedoch hat eine Horizonterweiterung erfahren, die in dem Desiderat der Pluralität der Religionen und auch Glaubensformen angelegt ist. Es geht heute nicht nur um eine intro-religiöse, sondern um eine inter-religiöse Hermeneutik.
5. Das hermeneutische Geschäft innerhalb der gleichen Religion ist schwierig genug. Heute bedürfen wir aber einer Hermeneutik der Interreligiosität, die offen, schöpferisch und tolerant genug ist, ohne Angst vor Aufgabe des eigenen Glaubensanspruchs das Fremde das sein zu lassen, was es ist, nämlich nicht bloß ein Echo meiner selbst.
6. Das Weltethos des Religiösen ist niemandes Besitz allein. Es gibt nicht die eine Religion, den einen Glauben, die eine Kultur und die eine Philosophie. Keine Hermeneutik darf diesen Grundsatz verletzen.
7. Die eine "religio perennis" (Hindus mögen sie "sanatana dharma" nennen) trägt viele Gewänder, spricht viele Sprachen und zeigt keine ausschließliche Vorliebe für eine bestimmte Tradition, Religion und Kultur. Kein bestimmtes Volk wird von ihr bevorzugt. Auch im interreligiösen Dialog gilt, daß man den Glauben des anderen verstehen und respektieren lernen kann, ohne ihn sich zu eigen zu machen oder ihn sich zu eigen machen zu müssen. Der Satz: Man versteht nur den Glauben, dem man anhängt, ist genauso wahr, wie er leer und bar jeder Information ist.
8. Der interreligiösen Hermeneutik im Kontext der Weltreligionen heute obliegt die Aufgabe, nicht reduktiv zu sein; denn eine reduktive Hermeneutik ist eigentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie erstens eine bestimmte Religion, eine bestimmte Glaubensform und eine bestimmte Offenbarung zu der einzig wahren macht und zweitens alle anderen Glaubensformen höchstens im Geiste der revelatio generalis akzeptiert. Die revelatio specialis beansprucht sie für sich selbst.
9. Keine Hermeneutik kann Gott selbst sprechen lassen. Es sind wir, die diesen Anspruch in unserer Unkenntnis und Kurzatmigkeit erheben. Je absoluter wir diesen Anspruch erheben, desto schwieriger wird es mit dem Dialog der Religionen. Es ist offensichtlich, daß mehrere solche Ansprüche sich gegenseitig neutralisieren und einen Relativismus oder gar Skeptizismus heraufbeschwören.
10. Wer zu monistisch denkt, kann nicht vermeiden, anstelle zulässiger Differenzierungen unzulässige Diskriminierungen vorzunehmen. In diesem Sinne kann man den Geist des Polytheismus von seinem abwertenden Beigeschmack befreien und für den Dialog der Religionen nutzen. Die verschiedenen theistischen Religionen sind verschiedene Wege zu dem einen wahren Theos, zu dem einen wahren Gott, der orthaft und doch ortlos ist.
11. Das Studium der Religionen aus interreligiöser Sicht weist auf Gemeinsamkeiten hin, die grundsätzliche Ähnlichkeiten und erhellende Differenzen zeigen. Interreligiosität ist der Name eines alle Religionen verbindenden Ethos. Zu diesem Ethos gehört wesentlich nicht nur der Glaube an die Wahrheit des eigenen Weges, sondern auch die Überzeugung, daß es andere Wege zum Heil geben kann, die mir fremd, aber die nicht falsch sind. Nur ein solches Interreligiöses Ethos ist in der Lage, den viel zu engen dogmatisierten hermeneutischen Zirkel zu durchbrechen. Denn es muß wohl möglich sein, daß ein Christ einen Nichtchristen und umgekehrt verstehen kann. Interreligiöse Freundschaften mit tiefem Verstehen sind häufiger als gemeinhin zugegeben wird. Die Übernahme der Religion des anderen kann nicht zur Bedingung der Möglichkeit des Verstehens der anderen Religion gemacht werden.
einem indischen Philosophen, den ich sehr schätze.
(Gustav-Mensching-Vorlesungen für religiöse Toleranz, Bd. 2)
1. Nicht so sehr wir haben die Notwendigkeit und die Aktualität des heute so mit Recht als lebensnotwendig empfundenen interreligiösen Dialogs gesucht; sie sind uns eher widerfahren.
2. Dies verdanken wir in diesem Ausmaß in erster Linie dem groß angelegten Versuch der christlichen Missionierung im Gefolge und auch im Verbund mit dem europäischen Expansionismus.
3. Es ist vielleicht eine Ironie des expansionistischen Geistes, daß er, auf dem Gebiet der Religion zwar auf Einheit angelegt, pluralistisch endet. Der religiöse und auch theologische Pluralismus waren nicht im Sinne des Erfinders.
4. Das hermeneutische Anliegen ist so alt wie das menschliche Leben selbst. Gerade die Tradition der religiösen Hermeneutik weist ein ehrwürdiges Alter auf. Unsere heutige Rede von der Hermeneutik im Hinblick auf den Dialog der Religionen jedoch hat eine Horizonterweiterung erfahren, die in dem Desiderat der Pluralität der Religionen und auch Glaubensformen angelegt ist. Es geht heute nicht nur um eine intro-religiöse, sondern um eine inter-religiöse Hermeneutik.
5. Das hermeneutische Geschäft innerhalb der gleichen Religion ist schwierig genug. Heute bedürfen wir aber einer Hermeneutik der Interreligiosität, die offen, schöpferisch und tolerant genug ist, ohne Angst vor Aufgabe des eigenen Glaubensanspruchs das Fremde das sein zu lassen, was es ist, nämlich nicht bloß ein Echo meiner selbst.
6. Das Weltethos des Religiösen ist niemandes Besitz allein. Es gibt nicht die eine Religion, den einen Glauben, die eine Kultur und die eine Philosophie. Keine Hermeneutik darf diesen Grundsatz verletzen.
7. Die eine "religio perennis" (Hindus mögen sie "sanatana dharma" nennen) trägt viele Gewänder, spricht viele Sprachen und zeigt keine ausschließliche Vorliebe für eine bestimmte Tradition, Religion und Kultur. Kein bestimmtes Volk wird von ihr bevorzugt. Auch im interreligiösen Dialog gilt, daß man den Glauben des anderen verstehen und respektieren lernen kann, ohne ihn sich zu eigen zu machen oder ihn sich zu eigen machen zu müssen. Der Satz: Man versteht nur den Glauben, dem man anhängt, ist genauso wahr, wie er leer und bar jeder Information ist.
8. Der interreligiösen Hermeneutik im Kontext der Weltreligionen heute obliegt die Aufgabe, nicht reduktiv zu sein; denn eine reduktive Hermeneutik ist eigentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie erstens eine bestimmte Religion, eine bestimmte Glaubensform und eine bestimmte Offenbarung zu der einzig wahren macht und zweitens alle anderen Glaubensformen höchstens im Geiste der revelatio generalis akzeptiert. Die revelatio specialis beansprucht sie für sich selbst.
9. Keine Hermeneutik kann Gott selbst sprechen lassen. Es sind wir, die diesen Anspruch in unserer Unkenntnis und Kurzatmigkeit erheben. Je absoluter wir diesen Anspruch erheben, desto schwieriger wird es mit dem Dialog der Religionen. Es ist offensichtlich, daß mehrere solche Ansprüche sich gegenseitig neutralisieren und einen Relativismus oder gar Skeptizismus heraufbeschwören.
10. Wer zu monistisch denkt, kann nicht vermeiden, anstelle zulässiger Differenzierungen unzulässige Diskriminierungen vorzunehmen. In diesem Sinne kann man den Geist des Polytheismus von seinem abwertenden Beigeschmack befreien und für den Dialog der Religionen nutzen. Die verschiedenen theistischen Religionen sind verschiedene Wege zu dem einen wahren Theos, zu dem einen wahren Gott, der orthaft und doch ortlos ist.
11. Das Studium der Religionen aus interreligiöser Sicht weist auf Gemeinsamkeiten hin, die grundsätzliche Ähnlichkeiten und erhellende Differenzen zeigen. Interreligiosität ist der Name eines alle Religionen verbindenden Ethos. Zu diesem Ethos gehört wesentlich nicht nur der Glaube an die Wahrheit des eigenen Weges, sondern auch die Überzeugung, daß es andere Wege zum Heil geben kann, die mir fremd, aber die nicht falsch sind. Nur ein solches Interreligiöses Ethos ist in der Lage, den viel zu engen dogmatisierten hermeneutischen Zirkel zu durchbrechen. Denn es muß wohl möglich sein, daß ein Christ einen Nichtchristen und umgekehrt verstehen kann. Interreligiöse Freundschaften mit tiefem Verstehen sind häufiger als gemeinhin zugegeben wird. Die Übernahme der Religion des anderen kann nicht zur Bedingung der Möglichkeit des Verstehens der anderen Religion gemacht werden.