(04-08-2010, 20:26)Ekkard schrieb: (03-08-2010, 22:46)Bion schrieb: In der Regel aber hatte Mission die Lage der Missionierten noch zusätzlich verschlechtert.
Das stimmt nicht. "In der Regel" ergaben sich für die Unterpriviligierten bessere Bedingungen.
Stellen wir zunächst Einigkeit her, was wir unter "Mission" denn alles verstehen wollen.
Die Mission, die von Paulus (und seinen Nachfolgern bis etwa Anfang d. 4. Jhs.) betrieben wurde, hatte zum guten Teil "Unterprivilegierte" als Zielgruppe und nahm sich deren Sorgen und Nöte an. Als das Christentum unter Konstantin hoffähig wurde, galt das Hauptinteresse der Kirche recht schnell einer anderen Sache, nämlich der Beteiligung der Kirche an der Macht im Staat.
Im frühen Mittelalter, als das Versammeln der Beherrschten unter eine Religion zu einem der Herrschaftsinstrumente geworden war, lässt sich zur Lage der Unterprivilegierten nicht viel sagen, sie wurden von den Historiographen wenig wahrgenommen. Da in dieser Zeit auch die "Schriftlichkeit" nach und nach abhandenkam, ist die Quellenlage allgemein dürftig. Das gibt der Spekulation weitern Raum. Die Annahme, dass aus der Verordnung des rechten (weil katholischen) Glaubens von oben (zB durch Chlodwig oder Karl d. Großen) die Unterprivilegierten irgendwelche Vorteile geschöpft hätten, ist, soviel ich weiß, nicht belegt.
Ebenso, denke ich, gilt das für Missionierung, die in Begleitung von Landnahmen stattfand. Wer die Annahme der
einzig wahren Religion verweigerte, wurde in der Regel mit recht rüden Maßnahmen dazu angehalten. Die spärlichen Aufzeichnungen, die dazu vorliegen, beschreiben die Schicksale der Oberschicht, was die Unterschicht in dieser Zeit durchmachte, wird meist spekulativ beantwortet. Wenn ein Volk nach dem anderen das Christentum angenommen hatte (Sachsen, Slawen, Ungarn, etc.), war das dem Druck von außen zuzuschreiben und/oder dem politischen Kalkül der jeweils Herrschenden.
Im Hoch- und Spätmittelalter war Europa soweit "durch-missioniert", dass sich Bemühungen, den
rechten Glauben zu verbreiten, auf Maßnahmen gegen Juden oder Ketzer (Katharer) und auf die Rückgewinnung islamisch kontrollierter Gebiete (vornehmlich in Spanien) konzentrierten. Auch die Kreuzzugsbewegungen dieser Zeit hatten neben politischen Zielen auch missionarischen Charakter und dürften bei einer umfassenden Behandlung des Themas nicht unter den Tisch fallen. Von dieser Art Mission hatte vor allem die unterworfene Bevölkerung überfallener Städte wenig zu erwarten, sie wurde meist ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit ausgeraubt und, wenn sie Pech hatte, auch massakriert.
Die "Missionierung" slawischer Stämme und Völker durch den Deutschen Orden waren vornehmlich Unterwerfungsfeldzüge gegen bereits christianisierte Menschen.
Die (außereuropäische) Missionsgeschichte der Neuzeit ist recht gut dokumentiert. Man darf allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass die Verfasser der Quelltexte überwiegend missionierende Geistliche oder Soldaten gewesen waren.
Mission in der Neuzeit ist ein dermaßen weites Feld, dass man sich zunächst einig werden muss, welcher Zeitabschnitt und geographische Ort der beginnenden
Europäisierung und der damit verbundenen
Christianisierung der Welt untersucht werden soll.
Die spanische Mission in Süd- und Mittelamerika hat - abgesehen von wenigen gutgemeinten Experimenten – der indigenen Bevölkerung (auch deren Unterschicht) nichts gebracht. Die Kulturen der Völker wurden systematisch zerstört, die Lebensbedingungen in der Regel nicht verbessert. Selbst über den
Jesuitenstaat in Paraguay, ein gern genanntes Beispiel für vorbildlich christliches Wirken der missionierenden Geistlichkeit, kann nicht ausschließlich Gutes berichtet werden. Dass es unter der Geistlichkeit auch mitfühlende Menschen, wie beispielsweise De Las Casas gegeben hat, muss man herausheben. Nicht zuletzt deshalb, weil Menschen seines Formats über Verbrechen an der einheimischen Bevölkerung berichteten, sind die Ausmaße der damals verübten Unmenschlichkeiten heute bekannt.
Auch die Landnahmen europäischer Siedler in Nordamerika, die – zumindest vordergründig – mit dem Missionsgedanken verbunden waren, hat für die indianische Bevölkerung vor allem Elend und Leid gebracht.
Zur Missionierung Asiens können noch weniger einheitliche Aussagen getroffen werden. Ist man in Indien vornehmlich auf die unterprivilegierten Schichten zugegangen, war die Mission im China des 17. Jhs. nahezu ausschließlich auf die gebildete Oberschicht ausgerichtet. Zudem ist die Beurteilung der katholischen Mission, die von den Orden (vornehmlich Jesuiten und Franziskanern) getragenen war, von der protestantischen Mission (Missionsgesellschaften) abzugrenzen, die überwiegend in bereits katholisch missionierten Gebieten tätig wurde.
Auch Mission, die in Verbindung mit der Tätigkeit der "privilegierten Handelskompagnien" betrieben wurde, wäre wert, separat untersucht zu werden.
Um die Frage zu beleuchten, ob – und wenn ja – in welchem Ausmaß unterprivilegierte Schichten von der Mission profitiert hatten, bietet sich Indien als Untersuchungsobjekt ganz besonders an. Beispielsweise die Bekehrung der Paraver, die gerne als Erfolgsgeschichte christlichen Wirkens bei der Überwindung hinduistischen Kastengeists vorgezeigt wird. Die Paraver sind eines der wenigen Beispiele des gesellschaftlichen Aufstiegs einer wirtschaftlich zwar nicht schlecht gestellten, aber durch ihre Tätigkeit in der hinduistischen Gesellschaft wenig angesehenen "Fischerkaste".
Ein paar andere Beispiele aus der Geschichte der Mission in Indien lassen sich sicher auch noch finden. Die Regel waren solche Erfolgsgeschichten aber, meine ich, nicht.
Natürlich darf man die Meinung vertreten, dass eine mit wenigen Sätzen umschriebene Aussage zur Missionsgeschichte von Antike, Mittelalter und Neuzeit den Ansprüchen des Themas nicht gerecht werden kann. Kurz gefasst, denke ich, dass ich mit meiner Behauptung, Mission habe den Völkern (auch deren Unterschicht) politisch und wirtschaftlich überwiegend nichts Gutes eingebracht, so falsch nicht liege.
(04-08-2010, 20:26)Ekkard schrieb: (03-08-2010, 22:46)Bion schrieb: Mission war immer auch mit der Erweiterung christlicher Herrschaftsansprüche und Handelsmacht verbunden. Der Reichtum, der in kolonialisierten Gebieten abgeschöpft wurde, machte die einheimische Bevölkerung naturgemäß ärmer.
Das gilt aber nur für die Kolonisierung der Welt durch europäische Staaten. Innerhalb Europas wurden (im Mittelalter) eine Reihe von sozialen Einrichtungen "erfunden", die unter das Stichwort "Diakonie" fallen. Es ist teilweise kaum zu fassen, dass die so erreichten Standards in den Kolonien "mit Füßen getreten wurden".
Mittellose römische Bürger, vor allem wenn sie sich in Rom aufhielten, waren mit hoher Wahrscheinlichkeit besser versorgt als Arme unter der Herrschaft christlicher Fürsten des Mittelalters.
Für bedürftige Christen unterhielten Benediktinergemeinschaften einen freien Mittagstisch. Auch die Bischöfe sollten um die Armen ihres "Herrschaftsbereichs" besorgt sein.
Karl d. Große hat in seiner (in den Kapitularien festgehaltenen) Thronrede die Verpflichtung des Christenmenschen zum karitativen Wirken angesprochen, und Einhart (Vita Carolini, Kap. 27) bestätigt ihm
frommen Eifer in dieser Angelegenheit. Wie wirksam dieser Appell gewesen war, ist nicht bekannt. Anlass für seine Mahnung war das Überhandnehmen der Bettelei in den Städten gewesen, was offenbar zu einer regelrechten Plage geworden war.
Die Gabe, die für das eigene Seelenheil erfolgte, brachte es mit sich, dass es mehr um das Opfer des Gebers als um Hilfe für den Empfänger ging! Im 13. Jh. wurden die Bettelorden zu einer regelrechten Konkurrenz für Bedürftige, weil das Geschenk an einen "Gottesmann" in den Augen der Gebenden verdienstvoller war als eines, das einem "gewöhnlichen Bettler" gereicht wurde.
Bekannt ist auch, dass im 13. Jh. den Beginen-Gemeinschaften die Armenfürsorge großes Anliegen gewesen war. Diese wurden von den Kirchenoberen allerdings recht argwöhnisch beobachtet und mehrfach der Häresie bezichtigt.
Spitalsorden widmeten sich zwar auch der Sorge und Pflege hilfsbedürftiger Christenmenschen, zumindest ebenso wichtig war für sie aber die (nötigenfalls gewaltsame) Missionierung Ungläubiger.
Vereinzelt wurde in Städten eine "Armensteuer" eingehoben. Städtische Armenhäuser entwickelten sich erst mit dem ausgehenden Spätmittelalter bzw. am Beginn der Neuzeit. Für die Zeit vorbildlich war die schon von reformatorischem Geist getragene Nürnberger Armenordnung von 1522.
MfG B.