(04-05-2018, 15:31)Ulan schrieb: Inwiefern ist Erkenntnistheorie selbst eine Erkenntnis? Wieso braucht Wissenschaft irgendeine Form der Legitimation? Wissenschaftstheorie ist sicherlich durch Erkenntnistheorie beeinflusst, aber wie alle Theorien ist sie nur so gut, wie sie sich bewaehrt - oder auch nicht. Wissenschaftstheorie selbst hat natuerlich genuegend empirische Elemente, die sie ganz unabhaengig von erkenntnistheoretischen Ueberlegungen untermauern.
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Weil Erkenntnistheorie eben eine Anweisung ist, wie Wissenschaft zu funktionieren hat. Die Legitimation erhält sie durch die normative Anwendung der Erkenntnistheorie, also durch diese Methodik. Da sie den apriorischen Ansatz verfolgt, kann man sie auch nicht mit einer Naturwissenschaftlichen-Theorie vergleichen, die sich bewähren kann oder nicht. Den bei apriorischen Ansätzen kann ich keine empirischen Prüfungen vollziehen, dann wären sie nicht mehr apriori. Ein Beispiel hast du ja selber schon gegeben. Ich muss davon ausgehen, das ich die Realität prüfe um sinnvolle Ergebnisse zu erhalten, ich muss also apriorische Postulate hinnehmen. Nun genau das tut die Erkenntnistheorie, sie gibt uns eine Vorlage, wie wir zu sinnvollen Ergebnissen kommen ohne sie kommt die Naturwissenschaft nicht aus, sonst werfen wir alles über Bord. Es würde einem Blinden gleichen der einfach rumprobiert, deswegen dient sie ja zur Legitimation.
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Ulan
Ich weiss wirklich nicht, was der Begriff "Legitimation" hier zu suchen hat. Wissenschaften legitimieren sich selbst durch die Qualitaet ihrer Ergebnisse. Der Prozess ist rekursiv, indem Ergebnisse von Beobachtungen immer wieder in die Theorien einfliessen, die Erklaerungsmodelle darstellen, und die verbesserten Theorien erlauben wiederum neue und bessere Fragen, die es zu untersuchen gilt. An gewissen Axiomen kommt man dabei nicht vorbei. Zum Beispiel geht Wissenschaft davon aus, dass wir und die Welt existieren und wir dabei gewissen Regeln folgen. Der zweite Punkt, dass gewissen Regeln gefolgt wird, ist zum Teil (fuer die Jetztzeit) natuerlich empirisch abgesichert, so weit das geht. Ob unsere Welt wiederum real ist, ist eine erkenntnistheoretische Frage, die erst einmal philosophisch betrachtet werden muss, da die Moeglichkeiten zur Empirie da sehr begrenzt sind. Insofern ist Erkenntnistheorie natuerlich auch bei der Philosophie viel besser aufgehoben. Wir haben schon genug Nichtwissenschaften in den Wissenschaften (Mathematik z.B.). Sobald sich ein philosophischer Gedanke als wissenschaftlich zugaenglich erweist, wandert er ganz von selbst "ueber die Grenze".
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Die Qualität der Ergebnisse ist erstmal sehr Subjektiv und deshalb auch abgedeckt von der Erkenntnistheorie, was man zur Erkenntnis zählen kann und was nicht. Deshalb sprach ich von Legitimation, wenn man selber als Naturwissenschaftler behauptet, man gebe sich die Legitimation selber, indem sich die Qualität der Ergebnisse anschaut, nach welchem Maßstab wird man hier dann ansetzten? Wer Bewertet nun welche Ergebnisse Qualitativ einem übergestellt sind und welche nicht? Auch was ist eine bessere Theorie? Eine Theorie die zur Erkenntnis beträgt, wenn ja, dann sind wir wieder bei der Erkenntnistheorie, die dann wiederum zu Legitimation beiträgt. Und schon sind wir wieder bei der Frage was ist Erkenntnis.
Bist du von dem Naturalismus überzeugt, also meinst du das es keine Erkenntnis ohne eine Prüfung geben kann? Muss das Experiment der Prüfstein allen Wissens sein, also das Messbare und wenn ja warum? Muss ich nicht etwas apriori annehmen, damit ich überhaupt irgendetwas Prüfen kann?
Dazu noch ein Zitat Rudolf Eisler (1907):
Erkenntnistheorie ist nicht Psychologie, ist nicht Anwendung der Psychologie, hat Psychologie nicht zur Grundlage, nicht zum Ausgangspunkt, ja nicht einmal als Hilfsmittel. [...] Die Psychologie, weit entfernt, zur Grundlage der Erkenntnistheorie dienen zu können, setzt diese Wissenschaft oder wenigstens die Geltung ihrer Sätze voraus, sie ist die Abhängige der Erkenntnistheorie.1
[Erkenntnistheorie ist] souverän, sie schöpft ihre Gewissheit aus sich selbst, aus ihrer reinen logischen Tätigkeit, mittels welcher sie, in ‚apriorischer‘ Weise, die Grundbegriffe und Grundsätze der Wissenschaften deduziert oder doch legitimiert.2