26-02-2022, 01:11
(08-12-2021, 15:16)Ulan schrieb: Aufhaenger dieses Beitrags war folgende Bemerkung Reklovs in einem anderen Thread:
(07-12-2021, 15:56)Reklov schrieb: Immerhin führte schon frühe Selbsterkenntnis des Menschen dazu, dass im Alten Testament (1.Mose 6, 5/6) vermerkt wurde:
>> 5. Da aber der Herr sah, dass der Menschenbosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, 6. da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen. <<
Ein socher Text fordert zwangsläufig auch Kritik heraus, - denn - wenn man schon von einem Allwissenden/Allmächtigen ausgeht, so sind diesem ja schon vorher Abtrünnige und Bösartige in seiner Schöpfung "vor Augen" getreten und somit hätte ER/ES zumindest "gewarnt" sein müssen.
Zuerst sollte man anmerken, dass Gott oefter im AT unueberlegt handelt, oft im Affekt, ohne die Konsequenzen seiner Handlungen zu ueberdenken. Die Sintflutgeschichte hat dieses Problem nicht nur am Anfang, wo Gott seine Schoepfung bereut, sondern noch gravierender an ihrem Ende (Gen 8, EU):
"21 ... und der HERR sprach in seinem Herzen: Ich werde den Erdboden wegen des Menschen nie mehr verfluchen; denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an. Ich werde niemals wieder alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe."
Wie man sieht, ist die Wortwahl Gottes fast dieselbe wie die vor der Sintflut.
Aber eben nur fast. Der Sinngehalt von Gen 8,21 hat sich gegenüber Gen 6,5 geändert, den dieses "von Jugend an", welches hinzugekommen ist, gibt einen Hinweis darauf, womit das zusammenhängt, was Gott hier als das böse Trachten des Menschen ansieht. Der Mensch an sich trachtet nicht "immer" nach dem Bösen, der Mensch ist also nicht an sich böse - was man in Gen 6,5 noch vermuten könnte - sondern jetzt erfährt der Leser vom Autor, dass der Mensch nur "von Jugend an" nach dem Bösen trachtet.
(08-12-2021, 15:16)Ulan schrieb: Prof. David Clines (Sheffield) fasste das wie folgt zusammen (meine Uebersetzung): "Dies ist eine machtvolle theologische Aussage. Es... raeumt die Tatsache ein, [und zwar] in der Flut-Erzaehlung selbst, dass die Flut ueberhaupt nichts aenderte. Die Flut war also vollkommen sinnlos." (Clines, David. “The Failure of the Flood”. Making a Difference: Essays on the Bible and Judaism in Honor of Tamara Cohn Eskenazi. 2012.)
Die Flut in der Erzählung ist nicht sinnlos, denn die Situation danach hat sich gegenüber der Situation davor in einigen entscheidenden Punkten geändert. Ich möchte hier nur einen herausgreifen: Unmittelbar nach der Sintflut zeugen die Söhne Gottes keine Kinder mehr, welche die Töchter der Menschen ihnen gebären. Zeugen und Gebären ist etwas, das der Mensch nicht immer kann, sondern erst "von Jugend an". Vor der Sintflut gab es Mischehen, nach der Sintflut nicht. Dies scheint David Clines vermutlich nicht aufgefallen zu sein, oder er hielt es theologisch nicht für wichtig genug.
Bezeichnenderweise geht es im Anschluss nach Gen 6,5 weiter mit etwas, was der Mensch erst "von Jugend an" kann: nämlich sich fortpflanzen. Genau genommen geht es in der darauf folgenden Geschlechterliste nur darum, dass Männer zeugen - die Söhne und Töchter gebärenden Frauen werden in der Geschlechterliste mit keinem Wort erwähnt. Das korrespondiert inhaltlich damit, dass die Mischehen vor der Sintflut ausschließlich durch Söhne Gottes mit Töchtern der Menschen, nicht aber durch Töchter Gottes mit Söhnen der Menschen zustande kommen.
Zitat:Gen 6,7-9
Nur Noach fand Gnade in den in den Augen des HERRN. Das ist die Geschlechterfolge nach Noach: Noach war ein gerechter, untadeliger Mann unter seinen Zeitgenossen; er ging mit Gott.
Warum eigentlich "Nur Noach" (und seine Familie)? Zum einen darum, weil er "mit Gott" ging. Das heißt, Noach ist einer der Söhne jener Menschenlinie, welche seit Enosch den Namen JHWH anruft, also mit Gott durchs Leben geht - im Gegensatz zu der Menschenlinie des Kain, deren Söhne und Töchter (!) nicht mit JHWH gehen. Diese Menschenlinie gibt es nach der Sintflut nicht mehr. Daher können die Söhne, die mit Gott gehen, den Töchtern die nicht mit Gott gehen nach der Sintflut logischerweise keine Kinder mehr zeugen.
Noach und die Männer in Noachs Familie sind diesbezüglich untadelig, dass sie sich keine Frauen aus der Geschlechterlinie des Kain genommen haben. Die Herzen der Männer in Noachs Familie trachteten nicht nach der Schönheit der Frauen aus der Geschlechterlinie des Kain, wie der exemplarisch genannten Naama, was soviel wie "anmutig, lieblich" bedeutet. Die Herzen der Männer aus Noachs Familie haben sich ihre Frauen nicht schwanzgesteuert, sondern in den Augen des Autors, bzw. Gottes theologisch untadelig aus der Geschlechterlinie ausgesucht, die JHWH anruft, also mit diesem und keinem anderen Gott geht.
Dies ist meines Erachtens eine der vielen machtvollen theologischen Aussagen der Sintfluterzählung, wenn man a) ihren ganzen Kontext "Urgeschichte" mit in den Blick nimmt, und b) die Tatsache nicht aus den Augen verliert, dass das AT zuerst einmal nur die Grundlage einer Volksreligion gewesen ist, deren kultische Reinheit immer wieder durch Mischehen mit Frauen aus anderen Völkern verunreinigt worden ist. Mischehen sind im AT die Ursache der am häufigsten genannte Sünde. Die Erkenntnis des Guten und des Bösen aller Könige wird in der Chronik an der kultischen Reinheit des Landes gemessen, welches sie regieren. Darum nenne ich die theologische Lehre, welche ich in der Sintfluterzählung sehe "machtvoll" - im Kontext "Volksreligion".
Gott, bzw. dem Autor ist die Problematik der Mischehen übrigens von Anfang an bewusst, denn jetzt kann man aus dem Kontext "Urgeschichte" (und dem Rest des AT) inhaltlich nachvollziehen, warum in Gen 2 und 3 siebenmal vom "Menschen und seiner Frau" die Rede ist. Im Kontext dieser patriarchalisch ausgerichteten, altorientalischen Volksreligion ist es ganz und gar nicht unerheblich, dass deren Söhne die "richtigen", zum eigenen Volk gehörenden, und nicht die "falschen" Töchter aus Fremdvölkern heiraten, welche dann, wenn sie in den Haushalt ihres Mannes übersiedeln, natürlich ihren fremden Glauben und ihre fremden Gottheiten mitbringen und diesen Opfer darbringend, das Land kultisch verunreinigen. Es geht dem AT darum den Mensch und seine Frau dieser Volksreligion theologisch-normativ zu definieren - im Gegensatz zum Mensch und seiner Frau aller anderen Völker und Religionen.
Die Ursprünge der biblischen Sintfluterzählung stammen zweifellos aus Mesopotamien. Es gibt daher viele Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch theologisch wichtige Unterschiede. Bibel-Babel-Streit und Panbabylonismus sind wegen dieser Unterschiede zu Recht Schnee von Gestern.