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Naturalismus - Die Grenzen
#6
(04-05-2018, 17:34)Holmes schrieb: Falls jemand genug Zeit hat und auch Interesse hat, gibt es meiner Meinung nach einer sehr guten Beitrag davon von Prof.Dr.Holm Tetens. Vortrag von Prof.Dr.Holm

Ich habe mir das mal angehoert, also zumindest den Vortrag von Prof. Tetens, die Antwort von Prof. Hüttemann und die weitergehende Erwiderung von Prof. Tetens. So ganz auf Deiner Linie scheint der Vortragende aber nicht zu sein.

1. Prof. Tetens raeumt ein, dass die Wissenschaft mit der Naturalismus-Frage rein gar nichts zu tun hat. Diese Frage ist vollkommen uninteressant fuer die Wissenschaft selbst. Ob das naturalistische Weltbild korrekt ist oder nicht hat keinerlei Einfluss auf die Wissenschaft. Das entsorgt also diese ganze "Legitimations"-Debatte, die mir sowieso suspekt vorkam. Fuer Tetens ist die Naturalismus-Frage eine rein philosophische, die auch nur Philosophen interessiert.

2. Prof. Tetens bezeichnet ausserdem einen Philosophen, der die Ergebnisse der Wissenschaft nicht anerkennt, als "irrsinnig". Er erkennt also an, dass Philosophie nur dann Sinn macht, wenn sie auch die Erkenntnisse der Wissenschaft einbezieht.

Die eigentliche These ist dann aber etwas schwach.

1. Tetens weist darauf hin, dass der Naturalismus als Philosophie nicht zu beweisen ist. Ich glaube, mit dieser Aussage an sich hat auch niemand ein Problem. Sie ist allerdings auch nicht falsifiziert; d.h., man muss schon extreme Aussagen machen, um hier angreifen zu koennen.

2. Tetens Hauptargument ist, dass der Naturalismus die Welt als riesig, ohne Empathie oder Moral, mit dem Menschen als unwichtigen kleinen Element darstellt, um den sich die Welt nicht weiter kuemmert, und er bezeichnet dieses Weltbild als "Tristesse". Demgegenueber sieht er unser Selbstbild als Individuum, als selbstbestimmter Mensch mit eigenen Gedanken und moralischen Werten, der unter Einsatz freien Willens seine eigenen Entscheidungen trifft. Deshalb bevorzugt er die Philosophie des Idealismus, naemlich, dass die materielle Welt letztlich Produkt unserer Gedanken ist. Er betont, dass es sich dabei nicht um Wunschdenken handelt, nur weiil der die "Tristesse" des Naturalismus nicht mag und von seinem freien Willen ueberzeugt ist.

3. Tetens raeumt ein, dass das naturalistische Weltbild zu einem ungeheuren, exponentiellen Anstieg in unserer Erkenntnis gefuehrt hat. Er gesteht Vertretern des Naturalismus aber nicht zu, dass dies allein ausreicht, zu beweisen, dass ihr Weltbild richtig ist.

Die Antwort von Prof. Hüttemann ist wie folgt:

1. Die Definition von "Naturalismus", die Teten verwendet, sei unnoetig so eng gefasst, um sie ad absurdum zu fuehren. (Tetens raeumt spaeter ein, dass er die Definition sehr eng gefasst hat, um eine klare Gegenposition zu seiner zu haben, sieht aber Hüttemanns Position schon in Richtung Dualismus, also nicht reinem Naturalismus, fussend.)

2. Obwohl Tetens extra betont hat, dass es sich bei seiner Position nicht um Wunschdenken handelt, sieht Hüttemann genau das: Wunschdenken. Eine richtige Begruendung dafuer, warum die Position von Tetens besser sei, fehlt naemlich. Die reine Feststellung, der Naturalismus sei nicht beweisbar, ist reichlich duenne, um ihn deshalb anzugreifen.


Ich habe die weitergehende Diskussion mit Publikum nicht gehoert, da ich zum Teil Schwierigkeiten hatte, die Leute zu verstehen. Ich wuerde in diesem Zusammenhang unter anderem auf den Thread "Ist der freie Wille wirklich frei" in diesem Forum hinweisen, der die Position Tetens gleich an ihrer Wurzel angreift, weil die Antwort darauf gar nicht so einfach ist, wie wir uns das vorstellen.

Ein anderes Problem, das ich hier sehe - und von dem auch diese unsinnige "Legitimations"debatte abhaengt - ist ier aus unserer eigenen, strukturierten Art zu denken geborene Vorstellung, wie in dieser Welt irgendetwas passiert. Wir nehmen an, hinter jeder Handlung stehe jemand, der eine Idee durchdacht und formuliert hat, um dann etwas zu produzieren. Meine Antwort, Wissenschaft wuerde rekursiv arbeiten, wies da schon in eine andere Richtung. Sicher, Wissenschaftler selbst arbeiten nach dem geschilderten Prinzip; aber sie bauen natuerlich auf die Ergebnisse aehnlicher Prozesse davor auf. In der AI-Forschung sehen wir deshalb gerade einen unheimlichen Schub an Vorwaertsentwicklung, da wir uns endlich von diesem simplen Akteur-Aktion-Schema loesen, dass AI-Forschung bis jetzt behindert hat. Das evolutionaere Prinzip wird mittlerweile ueberall in Wirtschaft und Forschung vermehrt eingesetzt, mit selbstlernenden Algorithmen. Im Prinzip hatten wir schon immer die Ahnung, dass mit unseren fundamentalen Fragen etwas faul ist, seit jemand die Frage nach der Henne und dem Ei gestellt hat. Die Frage war schlicht falsch und kann so nur zu unsinnigen Antworten fuehren.

Ich denke deshalb auch, dass Prof. Tetens hier von grundsaetzlich falschen Annahmen ausgeht.
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