(08-04-2020, 18:33)Ulan schrieb: Man sollte auch hier nicht in den Fehler verfallen, woertlich zu argumentieren wie ein Fundamentalist.
Leider wird uns die Diskussion von den "Fundamentalisten" - Klerikern (!) wie Laien - förmlich aufgedraengt. An hundert Beispielen könnte man festmachen, wie sie uns ihre Legenden als Wirklichkeit auftischen und zur wörtlichen Disziplin verpflichten wollen. Soll ich mal Beweise liefern?
Im uebrigen: d'accord!
MFG
(08-04-2020, 18:33)Ulan schrieb: Das Schweigen des Paulus ueber Jesus ist sicherlich ein Problem. Wer nur die paulinischen Briefe kennen wuerde, wuesste nicht, dass Jesus auf Erden gewesen war und dort irgendetwas gelehrt hat.
Ganz unreligös, sondern kriminalistisch: Das Schweigen des Paulus ist das größte Problem. Schließlich ist Paulus der früheste schreibende Zeuge. Er ist von der Christusgestalt angeblich vor Damaskus niedergestreckt worden und erblindet. Warum macht er sich dann nicht sofort auf die Socken, um nach Gefährten/Jüngern seiner Lichtgestalt aus den Wolken zu fahnden? Dies "Ereignis" hatte doch sein Leben radikal verändert. Da verschwindet man doch nicht einfach kommentarlos durch die Hintertür. Verdächtig ist auch, dass seine unmittelbarten Begleiter nichts gehört, nicht geblendet worden sind. In einem Strafprozess glaubte ihm den Vorfall deshalb niemand.
Stattdessen taucht er erstmal drei Jahre (!) in der Wüste ab. Kein späteres erklärendes Wort dazu von ihm und anderen in seinen ansonsten sehr ausschweifenden Briefen!
Er, der immer ein manisch aktiver Mensch war, ist erst leidenschaftlicher Christenverfolger - dann ebenso leidenschaftlicher Christenbegründer als unermüdlicher Missionsreisender.
Wußte er gar, dass es einen echten Jesus gar nicht gab und es deshalb auch nicht lohnte, nach ihm zu forschen? Hat er sich dann in der Wüste sein späteres kerygmatisches Christus- (nicht Jesus-)Bild zurecht gezimmert?
Natürlich hört sich dass alles revolutionär an. Aber das heißt nicht, dass es für uns aufgeklärten Menschen heute noch ein Sakrileg ist. Es gibt viele Jesusverneiner mit Rang und Namen.
Mit frdl. Gruß
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09-04-2020, 15:27
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 15:29 von Ulan.)
Ja sicher ist so etwas prinzipiell denkbar. So revolutionaer ist der Gedanke ja auch nicht. Am bekanntesten ist wohl die Holländische Radikalkritik, die seit 1878 taetig war. Soweit wird heute meist nicht gegangen, aber der Jesus-Mythos taucht in der Neutestamentik immer wieder auf, allerdings nur als These einer sehr kleinen Minderheit. Gerd Theißen hat mit Anette Merz ein dickes Buch geschrieben, das diese Idee zu Grabe tragen soll, aber so leicht ist sie halt nicht totzukriegen.
Im Prinzip haengt das alles davon ab, fuer wie vertrauenswuerdig man die uns ueberlieferten Texte haelt. Wer sie fuer als generell authentisch uebertragen haelt, wird halt zum Schluss kommen, dass der historische Jesus die wahrscheinlichere Annahme ist. Bei weniger Vertrauen sieht's dann halt anders aus. Nur, die Nichtexistenz einer Person laesst sich halt fast nie beweisen, waehrend fuer den Existenzbeweis ein einziger Schnipsel ausreicht. Dass wir ueber so etwas ueberhaupt noch reden, zeigt, wie prekaer die Evidenzlage hier ist. Den meisten Leuten reichen die existierenden Schnipsel aber.
Rein persoenlich halte ich diese Existenzfrage aber sowieso fuer unwichtig. Am Glauben aendert das eh nichts.
09-04-2020, 17:12
(09-04-2020, 15:27)Ulan schrieb: Rein persoenlich halte ich diese Existenzfrage aber sowieso fuer unwichtig. Am Glauben aendert das eh nichts.
Sie Glücklicher!
Ich würde beim Nachweis von Jesu Nicht-Existenz sofort in den Garten gehen und dort eine heilige sächsische Eiche Irminsul pflanzen. Zu der könnte ich dann in Corona-Zeiten um Verschonung beten.
Im Ernst: Das Thema Christentum hätte sich dann endgültig erledigt. Ohne den Hauptdarsteller und Namensgeber keine C - Religion mehr in unserer Gesellschaft!
Den anderen Aspekten über Jesu weltliches (Ver-)Schweigen müssen wir auch noch nachgehen. Paulus war nur der Anfang.
MfG
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Nein, das Thema Christentum hätte sich dann keinesfalls erledigt. Der kerygmatische Jesus ist auf einen historischen Jesus nicht angewiesen.
(09-04-2020, 19:42)Felix schrieb: Der kerygmatische Jesus ist auf einen historischen Jesus nicht angewiesen.
Eine interessante Perspektive.
Auf das Experiment würde ich es aber nicht ankommen lassen. Wer lebt schon eine Religion ohne Leitfigur, nur mit einem Geist ohne Haut und Knochen?
Ich würde jede Wette eingehen, dass sich das Thema Christentum dann mit dieser grau gewordenen Kirchgänger-Generation im Alter der Corona-Hochrisiko-Gefährdeten vorzeitig erledigen würde. In Rom würden viele Immobilien und Goldbarren frei.
MfG
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 21:03 von Ulan.)
Es ist doch eh nur eine akademische Frage. Die Nichtexistenz von jemand, der vor 2000 Jahren gelebt haben soll, laesst sich nicht nachweisen. So ist das halt.
Klar, man kann ganze Kataloge von Dingen aufstellen, die Jesus als fiktive Figur erscheinen lassen. Nur, einige Partien in den Schriften behaupten halt etwas anderes, und halt auch die Paulus-Briefe in der Form, wie sie auf uns gekommen sind. Das laesst fuer "Historiker" immer automatisch eine Hintertuer offen, solange nicht eindeutig nachgewiesen werden kann (anhand von gut datierten, bisher nicht existenten Manuskripten, die die Manipulationen belegen), dass diese bestimmten Passagen nachtraeglich eingefuegt wurden.
Aber selbst wenn Jesus eine fiktive Figur waere, hat sich daraus ja trotzdem eine Religion gegruendet. Zumindest in der Anfangszeit muesste es den Anhaengern dieser Religion noch klar gewesen sein, dass sie von einem goettlichen Boten reden, der real nie existiert hatte. Auch das ist als Religionsgrundlage doch ausreichend, da die meisten Religionen auf Figuren aufgebaut sind, deren Existenz nicht nachweisbar ist.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 21:30 von Sinai.)
Beitrag # 97
(09-04-2020, 21:01)Ulan schrieb: Aber selbst wenn Jesus eine fiktive Figur waere,
Diese Arbeitshypothese kann natürlich zu allerlei Konstrukten herangezogen werden.
Ob diese Luftschlösser fruchtbringend sind, ist zu bezweifeln.
Es gehört zur Akademischen Freiheit, dass in den Hörsälen immer wieder hypothetische Annahmen diskutiert und "Ausritte ins Feindesland" gemacht werden. Dies ist Teil der wissenschaftlichen Neugierde des Forschers
Ich kannte einen Mathematiker, der die Arbeitshypothese aufstellte "eins plus eins ist nicht zwei" und diese Arbeitshypothese mit "seinen" Studenten stundenlang diskutierte; herausgekommen ist dabei nichts, außer dass die akademische Argumentation der Studenten geschärft wurde
Universitäten bringen neben viel verwertbarer Forschung auch ein illustres Sammelkabinett von obskuren Gedanken hervor
Sozusagen als unerwünschte, aber unvermeidbare Nebenwirkung der Forschung, die der Souverän (früher König, heute die Wähler) halt in Kauf nimmt
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 21:24 von Ulan.)
Es ist eine historisch interessante Frage, die aber historisch letztlich auch nicht zu klaeren ist, da es keine zeitnahen, unabhaengigen Quellen gibt, die hier definitiv Klarheit schaffen koennten; und das gilt sowohl fuer die Person Jesu als auch die religioesen Texte.
Wie gesagt, Glaeubige glauben halt. Da sind Fakten eh nicht so interessant.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 21:49 von Sinai.)
(09-04-2020, 21:24)Ulan schrieb: Es ist eine historisch interessante Frage, die aber historisch letztlich auch nicht zu klaeren ist, da es keine zeitnahen, unabhaengigen Quellen gibt
Immerhin fehlen 12 Jahre in der evangelischen Biographie Jesu
Siehe Beitrag # 16
(12-05-2019, 01:04)Sinai schrieb: Wir hatten einmal folgende Diskussion:
Christentum und Theologie > Die Lücke im Leben Jesu. War Jesus in Indien ?
Beitrag # 1
(22-10-2013, 20:26)Sinai schrieb: Jesus war angeblich 12 Jahre lang in Indien. Durchaus vorstellbar, denn eine Route der Seidenstraße endete in Damaskus. ( . . . )
Das Evangelium schreibt nichts über diesen Zeitraum von 12 Jahren.
Nun zu Deiner Forderung nach "zeitnahen, unabhaengigen Quellen". Die wirst Du nicht finden!
Den damals vor 2000 Jahren gab es keine unabhängigen Quellen
Damals gab es Schriften der Sadduzäer, der Pharisäer, der Samariter, der Essenäer und andere Sekten im Kern und Umfeld des Judentums, dann gab es Schriften der römischen Besatzungsbehörden (zu denen auch der Wendehals Josephus Flavius zu rechnen isz), dann gab es Schriften von allerlei einander widersprechenden griechischen Sekten, daneben hieroglyphische Schriften der mannigfaltigen Religionen des Niltals, Schriften des Zweistromlandes, des Hochlandes von Iran, des Industales, des Gangestales etc. etc. etc.
Unabhängig war keine !
Heute wird zumindest so getan, als gäbe es unabhängige Religionsforschung - aber an irgend einem Futtertrog hängen sie alle - wenn nicht an einem religiösen, dann an einem staatlichen, atheistischen
Aber es wird zumindest recht und schlecht der Schein gewahrt - vor 2000 Jahren versuchte man nicht einmal, "unabhängige" Religionsforschung vorzutäuschen.
Es wäre dem Autor schlecht bekommen, wenn er das getan hätte - er wäre wegen fehlender Loyalität seinem Brotgeber (Kaiser, Senat, Tempel, . . . ) gegenüber sofort verjagt worden !
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@Davud: Lies mal, was dein Fast-Namensvetter Davut vor wenigen Minuten im Thread "Die Frau in der Religion" zutreffend über die Megakirchen in den USA geschrieben hat, und schau dir entsprechende Videos im Internet an. Auch in anderen Kontinenten gibt es solche Spektakel, die von Fernsehstationen millionenfach in alle Welt übertragen werden. Du darfst dich vom ständigen Mitgliederschwund unserer konfessionsgebundenen Kirchen nicht täuschen lassen.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-04-2020, 23:34 von Sinai.)
(09-04-2020, 22:35)Felix schrieb: . . . Megakirchen in den USA . . . entsprechende Videos im Internet . . . von Fernsehstationen millionenfach in alle Welt übertragen . . .
Auch die Katholische Kirche ist längst auf den Geschmack gekommen
Der Ostersegen des Papstes "urbi et orbi" für zigtausende Menschen am Peterplatz ist ebenfalls längst EUROVISION und wird von Fernsehstationen millionenfach in alle Welt übertragen
Für Familien mit Kleinkindern und für Alte und für Kranke ist das ein Segen !
Denn selbst wenn man gesund genug ist, diese beschwerliche Reise oder gar interkontinentale Fernreise auf sich zu nehmen, sieht man und hört man den Papst sicher nicht sehr gut, wenn man in der riesigen Menschenmenge eingekeilt ist, ein Kind oder eine kleine Frau sieht möglicherweise seine segneneden Hände überhaupt gar nicht.
Da sieht man und hört man den Papst im Fernsehgerät zehn Mal besser; durch das Teleobjektiv und das Richtmikrophon ist es so, wie wenn man zehn Meter vor ihm steht !
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10-04-2020, 14:58 von Ulan.)
(09-04-2020, 21:46)Sinai schrieb: Das Evangelium schreibt nichts über diesen Zeitraum von 12 Jahren.
Nun zu Deiner Forderung nach "zeitnahen, unabhaengigen Quellen". Die wirst Du nicht finden!
Den damals vor 2000 Jahren gab es keine unabhängigen Quellen
Es geht nicht darum, "ojbektive" Quellen zu finden, sondern Quellen, die unabhaengig von der die Texte propagierenden Religionsgemeinschaft selbst sind. Und da gibt's halt gar nichts ueber Jesus, ausser dem offensichtlich gefaelschten Testimonium Flavianum. Alle anderen gerne angefuehrten Quellen besagen bestenfalls, dass es irgendeine Gemeinschaft namens Christen (in irgendeiner Variation) gab, wobei manchmal nicht mal klar ist, ob es sich ueberhaupt um die Religionsgemeinschaft handelt.
In Lateinamerika verlassen uebrigens massenhaft Katholiken die RKK um sich irgendwelchen fundamentalistischen, protestantischen Bewegungen wie den Siebenten-Tags-Adventisten anzuschliessen. Die Gegend wird wohl bald auch mehrheitlich protestantisch. Das ist aber eine Diskussion fuer einen anderen Thread.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10-04-2020, 22:30 von Sinai.)
(10-04-2020, 14:50)Ulan schrieb: Es geht nicht darum, "ojbektive" Quellen zu finden, sondern Quellen, die unabhaengig von der die Texte propagierenden Religionsgemeinschaft selbst sind.
Unchristliche Quellen der frühchristlichen Zeit sind aber alle im Fahrwasser von konkurrierenden Kulten
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10-04-2020, 23:37 von Geobacter.)
(10-04-2020, 22:29)Sinai schrieb: Unchristliche Quellen der frühchristlichen Zeit sind aber alle im Fahrwasser von konkurrierenden Kulten Und vor allem auch im Fahrwasser des eigenen Wahnes.
Schon mal was vom Jerusalem-Syndrom gehört? https://de.wikipedia.org/wiki/Jerusalem-Syndrom
Dieses psychotische Phänomen ist sicher keine Erscheinung, welche erst in unserer Zeit auftritt. Schon den Paulus soll es besonders hart erwischt haben.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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