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Suizid - Offizielle und inoffizielle Einstellungen der Kirchen dazu
#1
Guten Morgen.

In meinem Bekanntenkreis hat sich vor einiger Zeit die Mutter eines Freundes (sie ist fast 80) das Leben genommen. Die Familie ist römisch-katholisch und nicht nur wegen des Todes der Mutter sehr verzweifelt, sondern auch darüber, dass sie ja wohl in kirchlicher Hinsicht eine schwere Sünde begangen hat. Diese Sorge hält bis zum heutigen Tag vor, obwohl das Geschehen schon einige Monate zurückliegt.

Nun weiss ich aber von einer Freundin, deren Tochter sich vor 2 Jahren das Leben genommen hat, dass das von manchen Priestern "milder" gesehen wir, dass man zwar den Suizid nicht gut heisst, ihn aber nahezu immer als Zeichen grosser Verzweiflung ansieht, so dass von einem "freiwilligen Akt" nicht mehr die Rede sein könne.

Nun meine Frage an die Kenner der katholischen (und evtl. auch der protestantischen) Kirche(n)):

Wie geht Eure Kirche offiziell mit diesem Thema um (wäre schön, wenn es da auch Quellen gäbe) und wie geht man inoffiziell damit um?

Eine allgemeine Diskussion über das "Recht auf Suizid" interessiert mich in diesem Fall nicht. Solche oder ähnliche Threads hat es bereits gegeben, z.B.

http://religionsforum.de/showthread.php?tid=2612

(den ich sogar damals eröffnet habe, da ich damals noch als "Petrus" hier angemeldet war).

Ein paar Hinweise biblischer Art habe ich auch hier gefunden:

http://religionsforum.de/showthread.php?tid=3063

Aber mich interessiert eher die (offizielle) Lehre und die (inoffizellen) Einstellungen der Kirche(n).

Schönen Gruss

DE
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#2
Protestantische Seite (gefunden auf www.ekir.de anlässlich des Suizids von Robert Enke)
Petra Bosse-Huber (Vize-Präses der EKiR) schrieb:"Gerade bei einem so unglaublich begabten Menschen wie Robert Enke verstärke sich das Gefühl der Verschwendung von Lebensmöglichkeiten durch die Selbsttötung. Bosse-Huber erinnert im ekir.de-Audio-Interview daran, dass das Leben aus christlicher Sicht ein Geschenk des Schöpfers ist. Gleichwohl habe die Kirche ihren früheren Umgang mit Menschen, die aus Verzweiflung, Depression, aus Krankheit ihr Leben beenden, verändert. Früher wurden sie nicht einmal auf christlichen Friedhöfen bestattet. Diese „Ächtung“ der Menschen gibt es nicht mehr. Bosse-Huber betont, dass die Angehörigen in Trauergesprächen und seelsorglichen Angeboten unterstützt werden."
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
Also über die derzeitige 'offizielle Haltung' der katholischen Kirche kann ich nichts sagen,
aber ich war in den letzten Jahren bei zwei Totenmessen für Suizidopfern, und der Tenor
bei beiden war 'Tragik' und nicht 'Sünde' - so sehr, dass die Mutter eines Bekannten,
eine extrem konservative Katholikin, sich nachher bemüßigt fühlte zu bemerken "Gerade
eben dass er bei der Predigt nicht gesagt hat 'Gehet hin und tuet desgleichen'..." :eusa_sick:
() qilin
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#4
Hallo, qilin,

vielleicht sind die Laien manchmal konservativer als die offiziellen Vertreter der Kirche(n).

Als meine Patentante sich 2003 das Leben genommen hat (sie war Diabetikerin, hatte bereits beide Unterschenkel amputiert, war erblindet und sollte nun an die Dialyse, was sie nicht mehr wollte, und sich darum das Leben nahm), wurde das meinem Onkel (ihrem Mann) verheimlicht. Er hätte das in seinem hohen Alter (weit über 80) nicht nur nicht verstanden, er wäre daran verzweifelt, zerbrochen, weil Suizid für ihn etwas war, das geradezu undenkbar gewesen ist. Er hätte seiner Frau diese "schwerste Sünde" niemals verzeihen können, und wir wollten ihm das ersparen. Alle anderen haben es gewusst, auch der beerdigende Pfarrer, und er hat es in seiner Predigt weder erwähnt noch angedeutet. Mein Onkel starb ein Jahr später, voller Vorfreude auf das "Wiedersehen" seiner Frau...

Danke für den Hinweis, Ekkard.

Gruss

DE
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#5
Die kath. Kirche hat dazu in einem dogmatischen Dokument Stellung genommen:

2. Vatikanisches Konzil, 9. Öffentliche Sitzung, 7.12.1965: Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes"

2. Kapitel: Die Gemeinschaft der Menschen, Punkt 27. (Achtung vor der menschlichen Person), Absatz 3

Was ferner zum Leben selbst im Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord;…

…Derartiges ist ohne Zweifel eine Schande, und indem es die menschliche Zivilisation zersetzt, entwürdigt es mehr jene, die sich so verhalten, als jene, die das Unrecht erleiden, und widerspricht in höchstem Maße der Ehre des Schöpfers.


Delikat ist, was da in einem Halbsatz mit dem Selbstmord zusammengepackt ist: Abtreibung und Völkermord!
MfG B.
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#6
Danke, Bion,

das ist wirklich heftig. Man muss ja als Kirche nicht akzeptieren, dass der Mensch die Freiheit hat, über sein Leben selbst zu bestimmen, aber jedwede Art von Selbsttötung derart zu diskriminieren, das ist wirklich hart.

Danke, und Gruss

DE
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#7
Soweit mit bekannt, wird in allen Religionen ein Selbstmord abgelehnt. Ob er nun überall als Sünde bezeichnet wird, weiss ich nicht.
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#8
(24-11-2010, 10:44)Polski schrieb: Soweit mit bekannt, wird in allen Religionen ein Selbstmord abgelehnt.

Im Buddhismus nicht unbedingt - im Palikanon sind drei oder vier Fälle aufgeführt,
wo der Buddha einem (bereits stattgefundenen) Freitod zustimmt.
Aber darum ging's ja hier nicht...
() qilin
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#9
Vor einiger Zeit war ich an einer Ausstellung zum Thema Buthan und Buddhismus. Da konnte man auch Kurzgeschichten zu verschiedenen Leben (Inkarnationen) Buddhas lauschen, bzw. Leben, bevor er zum Buddha wurde, denn danach war er ja nicht mehr an die Inkarnation gebunden.

Wenn ich mich recht erinnere, ging die eine Geschichte so, dass er ein Prinz war und - auf einem Ausritt mit seinen Geschwistern - eine halb verhungerte Tigerin fand. Diese war zu schwach zum jagen, hatte aber Junge durchzufüttern. Voller Mitleid tötete sich der Prinz vor der Tigerin, damit diese ihn fressen und dadurch leben möge.

Eine andere ging so, dass er ein König eines florierenden Landes war. Der König des Nachbarlandes war eifersüchtig und versprach dem Mann, der ihm den Kopf des guten Königs brachte die Hälfte seines Königreichs oder sonst eine riesige Belohnung. Ein Mann wusste, dass der gute König niemandem einen Wunsch abschlug, und so ging er einfach hin, und bat den König um seinen Kopf. Ohne mit der Wimper zu zucken nahm der König einen Dolch, schnitt sich den Kopf ab und gab ihn dem Mann (der dann natürlich trotz Reichtum ein unglückliches Leben führte etc.etc.).

Daher, denke ich, ist Selbstmord in gewissen Richtungen des Buddhismus unter gewissen Umständen erlaubt oder je nach Situation gar erwünscht. Allerdings hörte ich auch, dass wer sich selbst umbringt, im nächsten Leben wieder von vorne damit anfangen muss, die Aufgaben, die er im vorzeitig beendeten Leben hätte erfüllen sollen, zu lösen.
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#10
Ja - die Jâtaka, die Wiedergeburtsgeschichten, sind aber lehrhafte Legenden,
um irgendeinen Inhalt 'rüberzubringen, in diesem Fall wohl 'selbstlose Güte'.
Bei den Stellen aus dem Palikanon die ich meinte ging es um Mönche aus der
Gemeinschaft des historischen Buddha, die 'ihr Leben erfüllt hatten' und an
schmerzhaften und unheilbaren Krankheiten litten. Das ist auch für die Frage
hier eher relevant als ein Selbstopfer für hungrige Tigerjunge :icon_wink:
() qilin
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#11
Eine höchst befremdliche Erscheinung fanatisierten buddhistischen Glaubenseifers ist im 5. Jht nC in China nachzuweisen (etwa ab 425): Selbstmord durch öffentliches Selbstverbrennen. Die Selbsttötungen standen in Beziehung zur Lotos-Sutra (Saddharmapundarīka).

Im zwölften Kapitel wird dort die Legende von Bodhisattva Bhaisajyaraja erzählt. Dieser habe sich aus "Dankbarkeit" für "seine Erlösung" mit Öl und Weihrauch übergossen und angezündet, um sich dem Buddha als "lebende Kerze" darzubringen.

Nicht wenigen Mönchen war die Legende Vorbild. Sie setzten sich auf einen Scheiterhaufen und verbrannten sich unter lautem Rezitieren des Textes aus dem Saddharmapundarīkasutra, der sich auf den genannten Bodhisattva bezieht.
MfG B.
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#12
Das wirft auch ein Licht auf die Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche
in SO-Asien in den letzten Jahrzehnten - aber im Zusammenhang mit der
Thread-Frage hier bringt's eigentlich wenig...
() qilin
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#13
(24-11-2010, 19:45)qilin schrieb: Das wirft auch ein Licht auf die Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche
in SO-Asien in den letzten Jahrzehnten - aber im Zusammenhang mit der
Thread-Frage hier bringt's eigentlich wenig...

Stimmt!

Aber die erste Anmerkung, dass das von Buddhisten möglicherweise anders gesehen werden kann, kam nicht von mir.

Wenn mit Frage nach der "Einstellung der Kirchen" alleine das Christentum angesprochen ist, gibt es kaum mehr was hinzuzufügen.

Selbstmord ist Sünde und wird abgelehnt. Auch wenn das in Äußerungen so mancher, die für die Kirche sprechen (oder für sie zu sprechen vorgeben) nicht (mehr) so deutlich rüberkommt.
MfG B.
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#14
Woher rührt die strenge christliche Position in dieser Frage?

Biblisch ist die von der (kath.) Kirche so eindeutig ausgesprochene Verurteilung des Selbstmords nicht auszumachen. Im AT wird er vielmehr als Ende eines gottgewollten tragischen Lebensschicksals gesehen, wie beispielsweise bei Simson (Ri 16, 28ff.) oder bei Saul (1Sam 31, 4f.). In 2Makk 14, 37-46 wird Selbstmord als vorbildlich-heldenhafte, nachahmenswerte Tat geschildert, in Mt 27, 5 als Selbstbestrafung für den begangenen Verrat.

Woher kommt also das überaus strenge Urteil, das die Kirche über den Selbstmörder spricht? Einige Kirchenväter (Chrysostomos, Eusebius, Ambrosius) haben Frauen, die sich umbrachten, um Verfolgungen (Schändung, etc.) zu entgehen, noch in die Gemeinschaft der Heiligen eingehen lassen!

Meiner Meinung nach beantwortet das Studium antiker griechischer Texte die Frage.

Sokrates war es, der behauptet hatte, der Mensch stünde in der Verfügung der Gottheit und dürfe dem ihm zugewiesenen Schicksal nicht entfliehen. Sich selbst zu töten, dazu fehle ihm die Berechtigung (Platon, Phaidon 62 c-d). Platon selbst bekräftigte dieses Gebot und erklärte den Selbstmord für ein strafwürdiges Vergehen (leg. IX, 873 c-d).

Aristoteles sah im Selbstmord ein tadelnswertes Verhalten der Gemeinschaft gegenüber, er bewertete ihn als eine Handlung moralischer Unbeherrschtheit (EN 1138a 4-14).

Epikureer und Stoiker hingegen vereidigten das Recht auf Selbstmord mit dem Hinweis auf die Freiheit des Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht (zB Seneca, ep. 70).

Die epikureisch-stoische Position ablehnend und der platonisch-aristotelischen folgend fand Augustinus sein Argument gegen Selbstmord in (erweiterter) Auslegung des biblischen Tötungsverborts (civ. I, 17-27).

Die Synoden von Arles (452) und Braga (563) erklärten den Selbstmord schließlich zum Verbrechen.

Sich auf Th. V. Aquin berufend (S. th. II-II 64, 5), wonach Gott Herr über Leben und Tod, das Leben als Leihgabe Gottes zu betrachten und der Mensch für seine Lebensspanne Gott gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet sei, hat die moraltheologische Tradition mit den Hinweisen argumentiert, dass dem Menschen kein absolutes Verfügungsrecht über sich selbst zukomme, der Selbstmord über die gebotene Selbstliebe und den Verpflichtungen der Gemeinschaft gegenüber, der er angehöre, verstoße. Der Mensch habe in Beachtung der Souveränität Gottes in prekären Lebenssituationen auszuharren und Mangelsituationen hinzunehmen.

Auf das letztverfügte dogmatische Dokument (der kath. Kirche) zum Selbstmord habe ich schon in #5 hingewiesen.

Übrigens:

Der Islam verurteilt den Selbstmord ebenso unerbittlich und eindeutig wie das Christentum. Es ist daher unsinnig, den im Westen verwendeten Ausdruck "Selbstmordattentäter" für Dschihadisten, die meinen, einen Heiligen Krieg zu führen (und sich somit als Märtyrer verstehen), zu gebrauchen.
MfG B.
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#15
Hallo, Bion,

danke für Deine wieder einmal hervorragenden und kompetenten Ausführungen.

Ich denke, bezugnehmend auf die Stoiker, spielt da gerade bei monotheistischen Religionen das Thema FREIHEIT eine grosse Rolle. Den Menschen als "frei" zu sehen, und damit meine ich, frei in seinen Entscheidungen und "potentiell frei von Gott" zu betrachten, ist für Monotheisten ja nicht nur unakzeptabel, sondern geradezu nicht denkbar.

Ich persönlich finde, ein durchdachter Bilanz-Suizid ist ein Ausdruck allergrösster Freiheit. Aber auch Suizide aus seelischen (Ab-)Gründen könnten seitens der Religionen als "zu grosse Freiheit" betrachtet werden. Der Mensch habe gefälligst das von Gott auferlegte Schicksal zu tragen, und sich dem nicht zu entziehen.

Ich denke, diese Sicht auf die Frage der Freiheit könnte sehr stark in das Verbot hineinspielen.

Lieben Gruss

DE
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