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Paulus als römischer Bürger
#1
Das Bürgerrecht des ↗Paulus wird in der wissenschaftlichen Diskussion neuerdings wieder infrage gestellt.

Dreimal ist in der ↗Apostelgeschichte festgehalten, dass Paulus das römische Bürgerrecht besessen habe (Apg 16,37f.; 22,25-29; 23,27). Die Angaben sind nicht überprüfbar. Paulus äußert sich in seinen Briefen dazu nicht. Der historische Befund zu den Verhältnissen in ↗Tarsos, dem übrigen ↗Kilikien in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts1 und die kritische Untersuchung der sich in der Sache anbietenden Textstellen, lassen ein römisches Bürgerrecht für Paulus unwahrscheinlich erscheinen2.

Paulus berichtet, dass er durch die römische Behörde dreimal misshandelt (ausgepeitscht) worden sei. Das ist zwar auch für einen römischen Bürger nicht unmöglich, zumal man von Behördenwillkür solcher Art durchaus weiß, dass es aber voneinander unabhängig und an drei verschiedenen Orten passiert sein soll, ist nicht glaubhaft zu vermitteln3.

Noch merkwürdiger wäre es gewesen, hätte sich sich ein römischer Bürger fünfmal einer entwürdigenden synagogalen Prügelstrafe (40 weniger 1 Stockschläge) unterziehen müssen, wovon Paulus im ↗2. Korintherbrief (2Kor 11,24)4 berichtet.


1) Noethlichs 2000, S. 83f.:
Die Wahrscheinlichkeit schon anhand des quantitativ bis heute vorliegenden Befundes über kleinasiatisch-syrische Juden mit römischem Bürgerrecht spricht insgesamt eher dagegen. In einer Zeit, in der gerade das syrisch-palästinensische und alexandrinische Judentum einen permanenten politisch-militärischen Unruhefaktor darstellte, hätte es schon eines besonderen Anlasses bedurft, dass die von Geburt jüdische Familie spätestens etwa um Christi Geburt die civitas Romana (durch Freilassung oder Verleihung, kaum durch Kauf) erhielt, worüber sich bei Paulus selbst keinerlei Anzeichen finden.

2) P. Pilhofer 2011, S 73:
Susanne Pilhofer (in: Romanisierung in Kilikien) listet im Anhang für ganz Kilikien 178 römische Bürger auf, die tria nomina aufweisen, und weitere 82 Bürger, die kein praenomen nennen.

Die genannten Listen, die insgesamt 260 römische Bürger umfassen, beziehen sich auf die Zeit vor 212 n. Chr. Bedenkt man die Größe Kilikiens, so ist dies eine verschwindend geringe Zahl. Allein die römische Kolonie Philippi weist in demselben Zeitraum deutlich mehr römische Bürger auf!
Befragt man die Listen nach römischen Bürgern aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, so reduziert sich die Zahl auf ungefähr 105. Von diesen einhundertfünf römischen Bürgern, die möglicherweise dem ersten Jahrhundert zuzuordnen sind, lassen sich ganze drei mit Sicherheit der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts — also der Zeit des Paulus — zuordnen. Wer dem Paulus ein römisches Bürgerrecht zuschreiben wollte, könnte ihn als Nr. 4 in diese Liste aufnehmen. Dies erscheint extrem unwahrscheinlich, noch unwahrscheinlicher jedoch, wenn man berücksichtigt, dass es sich im Fall des Paulus um eine jüdische Familie handelt. So zahlreich jüdische Gräber in den Nekropolen Kilikiens auch vertreten sind - eine jüdische Familie aus der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts mit römischem Bürgerrecht vermochte ich bislang nicht nachzuweisen!


3) Koch 2014, S. 346ff.:
Die Erzählung von der Verhaftung des Paulus und des Silas (einschließlich Auspeitschung) in Philippi (Apg 16,19-34) ist unter der Voraussetzung erzählt, dass Paulus und Silas normale Provinziale ohne römisches Bürgerrecht sind.
[…]
Nach Apg 22,28 hat Paulus das römische Bürgerrecht bereits seit der Geburt. Die einzige realistische Möglichkeit, dass seine Eltern bereits bei seiner Geburt das römische Bürgerrecht besaßen, besteht in der Annahme, dass die Eltern in römische Kriegsgefangenschaft geraten sind, von einem römischen Bürger aus Tarsus als ↗Sklaven gekauft (das wird in der Literatur immer übergangen) und später freigelassen wurden und dass diese Freilassung außerdem als sog. "manumissio" erfolgte. Die historische Wahrscheinlichkeit dafür ist allerdings nicht besonders hoch.
[…]
Paulus hat nach seinen eigenen Angaben (2Kor 11,25) dreimal die römische Strafe der Auspeitschung erlitten. Dies war mit dem römischen Bürgerrecht nicht vereinbar. Die Auspeitschung als Teil der Befragung eines Verhafteten war bei Provinzialen erlaubt, bei römischen Bürgern jedoch nicht.
Natürlich gab es Beamtenwillkür. Dass dies dreimal und dann vermutlich an verschiedenen Orten der Fall gewesen sein soll, ist zwar nicht definitiv auszuschließen, aber doch unwahrscheinlich. Die dreimalige Prügelstrafe spricht also eher gegen den Besitz des römischen Bürgerrechts,…
[…]
Die Analyse von 2Kor 1,8-11 und Phil 1,21-26 hat ergeben, dass Paulus am Ende seines ↗Ephesosaufenthalts verhaftet wurde und mit einem Todesurteil und anschließender Hinrichtung rechnen musste. Die Möglichkeit einer Appellation gegen ein derartiges Todesurteil in der Provinz ist überhaupt nicht im Blick. Das macht die These vom römischen Bürgerrecht des Paulus ausgesprochen unwahrscheinlich.


4) Stegemann 1997, S. 258:
Wir hätten hier im Übrigen den in der Geschichte einmaligen Fall vor uns, dass ein römischer Bürger sich der synagogalen Stockstrafe stellt. Dazu wäre er nicht nur nicht verpflichtet gewesen, im Gegenteil, diese entehrende Behandlung in Synagogen hätte sich wohl ein römischer Bürger kaum leisten können (geschweige denn die Synagogen).


Literatur:
Karl Leo Noethlichs, Der Jude Paulus - ein Tarser und Römer?, in: Raban v. Haehling (Hg.). Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung. 2000 Darmstadt. WBG. S. 53-84.
Peter Pilhofer, Einer der 5984072?, in: Aus der Welt der frühen Christen. 2011 Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer. S.63-75
Susanne Pilhofer, Romanisierung in Kilikien. 2006 München. Verlag Herbert Utz.
Dietrich-Alex Koch. Geschichte des Urchristentums. 22014 Göttingen. Verlag Vandenhoeck  & Ruprecht,
Ekkehard W. Stegemann, Wolfgang Stegemann. Urchristliche Sozialgeschichte, 21997 Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer,


● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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