07-02-2022, 17:21
(05-02-2022, 18:46)Ekkard schrieb:(05-02-2022, 18:13)Apollonios schrieb: Wenn also alle Werte nur subjektive mentale Produkte sind, abhängig vom jeweiligen Erzeuger und dessen Vorlieben, dann liegen sie auf derselben Ebene subjektiver Beliebigkeit wie ein religiöses Dogma oder Phantasiegestalten auf der Rückseite des Mondes.Kleiner Einfwurf: Nicht "subjektive mentale Produkte" sondern auf eine Partialgesellschaft bezogene intersubjektive Produkte.
(05-02-2022, 18:13)Apollonios schrieb: Religiöse hingegen machen sich ein Problem daraus. Für sie ist eine objektiv fundierte Wertordnung essentiell. Sie bestehen darauf, dass Werte der subjektiven Beliebigkeit entzogen sein und objektive Geltung haben müssen, damit sie ernst genommen werden können. Das ist der Kern des religiösen Bedürfnisses.Gewiss, aber man kann nicht mit dem "Nischl durch die Wand! Es ist ja keineswegs so, dass, wie du schreibst, der religiöse Mythos oder mythische Personen oder "das Heilige" ethischen Postulaten Objektivitätscharakter verleihen. Ich denke, der soziologische Zwang, sich gesellschaftskonform zu verhalten, ist in dem Sinne der Gott. Aber das ist leicht erkennbar, namentlich dann, wenn die Macht der Partialgesellschft durch ihre Hierarchie missbraucht wird. Ich erinnere daran, dass wider-ethisches Verhalten systematisch von Vertretern der Kirchen begangen worden und zu erwarten sind. Zwei von vielen Beispielen sind die Diskriminierung von Minderheiten und Frauen. Folglich ist der Objektivitätscharakter ganz offensichtlicher Unsinn und schützt gar nicht vor reiner Willkür.
(05-02-2022, 18:13)Apollonios schrieb: Zum Konflikt kommt es, sobald eine Seite versucht, der anderen ihre Anschauung aufzudrängen mit der Behauptung, diese lasse sich als zwingend notwendig erweisen. Das hat Georg05 auf seine unbeholfene Weise probiert, und das Ergebnis ist dementsprechend.Nein, das Problem ist stark unsymmetrisch. Es gibt einfach keine objektive Ethik. Man muss ganz einfach sehen, dass ethische Postulate in einer Gesellschaft Verhandlungssache und schließlich Vereinbarungssache (Gesetze) sind.
Ethische Normen sind zwar nicht nur subjektiv, sondern intersubjektiv und damit kollektiv, aber dasselbe gilt für christliche Dogmen, haltlose Gerüchte usw.: Wie diese haben ethische Werte kein demonstrierbares Korrelat außerhalb der Gedankenwelt der beteiligten Subjekte, können sich also im Gegensatz zu wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht auf eine nachweislich objektive Grundlage stützen. Damit kann man sich entweder zufriedengeben oder versuchen, dennoch eine Grundlage in der außermentalen Wirklichkeit zu finden. Hier trennen sich die Wege der religiösen und der religionsfernen Menschen. Für die religiösen bieten sich angebliche Offenbarungen Gottes als simpler Ausweg an, da sie eine von Gott gesetzte Wertordnung fertig anbieten: Schon ist eine vermeintliche Objektivität gegeben.
Gewiss verleiht ein religiöser Mythos den ethischen Postulaten in Wirklichkeit keinen Objektivitätscharakter. Das habe ich auch nicht behauptet. Beispielsweise bei der Partialgesellschaft Christenheit ist der Objektivitätscharakter offensichtlich Illusion, und außerdem sind die Gebote zum Teil ethisch fragwürdig. Aber die christliche (oder islamische) Lehre bietet scheinbare Objektivität an, indem die ethischen Postulate auf Gebote Gottes zurückgeführt und damit scheinbar objektiviert werden. Damit befriedigt die Offenbarung das religiöse Bedürfnis, das eben darin besteht, die Werte, die man will und hat, auf eine ebenso objektive Basis zu stellen wie Naturgegebenheiten. Der nichtreligiöse Mensch hat dieses Bedürfnis nicht und hält es für utopisch. Der religiös veranlagte Mensch hingegen wendet sich zwangsläufig einer wie auch immer gearteten Lehre oder Theorie zu, die ihm den Objektivitätscharakter ethischer Werte verspricht, denn er kann sich mit dessen Nichtvorhandensein nicht abfinden. Das ist ein sehr wesentlicher Aspekt der Attraktivität des Christentums. Wenn man verstehen will, warum das Christentum trotz unzähliger Ungereimtheiten sowie der tiefen Kluft zwischen Lehre und praktischer Umsetzung dennoch für Milliarden von Menschen attraktiv ist, muss man diesen Faktor, die Bereitstellung einer scheinbar objektiven Wertordnung, berücksichtigen. Ich halte ihn für zentral. Auch die Klage von Georg05 über den armseligen Zustand der "gottlosen" Menschheit zielt auf nichts anderes, ebenso sein Postulat einer "Echtreligion" (echt = objektiv fundiert). So konfus und unbeholfen das auch klingt - es geht um nichts anderes als sein Bedürfnis nach objektiven Werten, das die Echtreligion ihm erfüllen soll. Selbstverständlich kommen bei zahlreichen religiösen Menschen noch viele andere Motive hinzu, darunter sehr fragwürdige, insbesondere sozialer Druck oder auch Aufblähung des Ich - das ist unstrittig.
Ob die ethischen Forderungen auch erfüllt werden, steht auf einem anderen Blatt. Wenn sie, wie in der Bergpredigt, grotesk übersteigert sind, wird nichts daraus. Aber im Prinzipellen geht es einfach um die Frage, ob Werte ihre Basis in Konventionen haben oder in der außermentalen Wirklichkeit - in antiker Terminologie: ob sie auf thesis oder auf physis beruhen. Wer letzteres annehmen will, hat verschiedene Optionen von unterschiedlicher Qualität; eine davon ist, Christ zu werden bzw. zu bleiben.