(03-11-2020, 04:45)Ulan schrieb: Ich nehme mal an, wenn Ihr von "Offenbarung" redet, meint Ihr die Apostelgeschichte.
Freudscher Fehler - natürlich hast Du Recht. Vielleicht liegt es daran, dass beides, Apokalypse und Apostelgeschichte mit A anfangen. Dann hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf.
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(03-11-2020, 04:45)Ulan schrieb: Auch die Schilderung seiner Bekehrung hat wohl den Hauptzweck, ihn ein wenig unterzuordnen. Er selbst haette das wohl nie so unterschrieben, haette er noch gelebt, als der Text geschrieben wurde.
Apg 26,14
…Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken.
Sieht fast so aus, als hätte Aischylos als Vorlage gedient:
Aischylos. Der gefesselte Prometheus 322f.
Nicht wirst fürwahr du, nimmst du mich zum Lehrer an,
Wider den Stachel löcken wollen, …
MfG B.
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Ja, der Autor des Lukas-Evangelium gilt ja nicht zuletzt als der Evangelienschreiber mit dem besten Griechisch. Andere Quellen sind wohl die Schriften des Josephus, oder auch Platons Politeia als Vorlage fuer die Schilderung der Urgemeinde. Weniger gekonnt sind dann seine vielen Edits in seinen Vorlagen, die dann zu verkorksten Saetzen fuehren, wo ein Halbsatz editiert ist, der andere dann aber noch wie in der Vorlage (ob Markus oder Matthaeus fuer Q-Passagen). Da muss man dann manchmal bei Matthaeus schauen, was der Satz eigentlich sagen soll.
Dass das dann der Begleiter des Paulus sein soll, regt dann nur noch zum Schmunzeln an, wenn man bedenkt, wie der Autor der Apg mit Paulus umgeht. Das ist aber bei Markus und seiner angeblichen Naehe zu Petrus auch nicht anders, wenn man an den Petrus des Markusevangeliums denkt. Da hat jemand Klammern applizieren wollen.
(03-11-2020, 18:35)Ulan schrieb: Dass das dann der Begleiter des Paulus sein soll, regt dann nur noch zum Schmunzeln an, wenn man bedenkt, wie der Autor der Apg mit Paulus umgeht. Das ist aber bei Markus und seiner angeblichen Naehe zu Petrus auch nicht anders, wenn man an den Petrus des Markusevangeliums denkt. Da hat jemand Klammern applizieren wollen.
Beide Evangelienautoren gehen nicht zimperlich mit ihren Vorbildern um.
Noch ergiebiger ist aber wohl Friedrich Nietzsche in seiner "Morgenröte" 1,68. Das Nachlesen unter diesem Google - Stichwort lohnt nicht nur für Paulus-Skeptiker. "Dies ist der erste Christ, der Erfinder der Christlichkeit, ruft Nietzsche. Bis dahin gab es nur einige juedische Sektierier."
Und sein Freund, der Theologe Harnack assistiert ihm: "Es gibt keinen Moment, welcher tiefer die historische Tradition vom Urchristentum gefälscht hat als der [paulinische] Übergang in die Hände der Heidenchristen." (Aus Harnacks Basler Nachlass).
Es ging nicht um nachrangige Äußerlichkeiten wie Beschneidung und Speisegebote, wie uns später die Amtskirche weismachen will. Paulus hat m. E. die wahre Jesusfigur zerstört.
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Was er auch immer veraendert hat, sein Ziel bei seinem Treffen in Jerusalem war - nach eigenen Aussagen - die Anerkennung seines Evangeliums durch die Jerusalemer, nicht irgendwelche Details.
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07-11-2020, 01:13
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07-11-2020, 01:19 von Sinai.)
Kehren wir wieder zu Beitrag #1 zurück:
(23-10-2019, 15:12)Kreutzberg schrieb: Von der Logik her kann ich mir ehrlich gesagt aber nicht vorstellen, dass
ein kritisches Netzwerk im gesamten griechischen Kulturraum vorhanden war.
Ganz abgesehen von der Thematik "Paulus" möchte ich hier einwerfen, daß es im "griechischen Kulturraum" kein kritisches Netzwerk gab
In der griechischen Welt (die zur Zeit Paulus nur mehr ein Abklatsch war, da Rom längst dominierte) existierte ein Wirrwarr von unterschiedlichsten Kulten und allerlei philosophischen Richtungen
Ein Biotop, das hervorragend für den Aufbau von Sekten geeignet war
Paulus errichtete keine Sekte - er war wohl in Ordnung - aber ein Obskurant mit dem in Judäa beliebten Namen Johannes (nicht zuverwechseln mit Johannes dem Täufer und nicht zu verwechseln mit dem Apostel Johannes) war da schon ein anderes Kaliber
(06-11-2020, 23:16)Ulan schrieb: Was er auch immer veraendert hat, sein Ziel bei seinem Treffen in Jerusalem war - nach eigenen Aussagen - die Anerkennung seines Evangeliums durch die Jerusalemer, nicht irgendwelche Details.
Das ist ja die Crux: Er ignorierte die Kenntnis und das authentische Jesusbild der Jerusalemer, die ja im Gegensaz zu ihm, noch selbst nah an Jesu Wirken dran waren.
Er zimmerte sich aus seinem hellenistisch mythischen Empfinden seiner vor-damascinischen Ära ein ganz anderes Bild. Und dieses Bild präsentierte er zunächst den "Säulen" in Jerusalem, dann auf Missionsreise den Heiden, die ja Götter, Gottessöhne, Jungfrauengeburten, Himmelfahrt und Wiederauferstehungen schon von anderen Figuren kannten. Für die Juden mit ihrem strikten monotheistischen Gottesbild des AT war das unbekannt und schwer verdaulich.
Allein darum konnte die Jesus-Figur auch bei ihnen, den Juden, die heidnische Vergottung nicht erfahren. Die junge Bewegung führte zwar ein knappes Jahrhundert noch ein unbedeutendes juedisches Sektiererdasein, verschwand dann aber wieder völlig von der Bildfläche. Paulus hatte seine Religion durchgesetzt. Er ist der Begründer des Christentums, kein Jesus, kein Petrus, kein "Herrenbruder" Jakobus - niemand von denen.
In seinem Eingangsbeitrag schreibt der Threadersteller:
Zitat:Kreutzberg schreibt:
Es wird in diesem Zusammenhang behauptet, dass Paulus nur selektive Kenntnisse zum neuen Testament vorweisen konnte.
Er konnte gar keine Kenntnisse des Neuen Testaments (also der Evangelien) vorweisen. Denn es war noch gar kein Evangelium geschrieben, als er seine Missionsbriefe an die Korinther (55/56 n.Ch. in Ephesus) verfasste.
Nirgendwo begegnet uns auch nur der kleinste Hinweis, dass Paulus Jesus gekannt hatte oder ein Wort von ihm erfahren oder gelesen hätte.
Paulus schaffte sich seinen auferstandenen Christus selbst. Und hinterließ ihn "seiner" rapide wachsenden Christenheit außerhalb des harten Kerns in Jerusalem (das in den 50er Jahren ja noch existierte). Und auch außerhalb Galiläs, da wo Jesus 20 Jahre zuvor überwiegend gewirkt hatte.
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(07-11-2020, 11:38)Davut schrieb: Er zimmerte sich aus seinem hellenistisch mythischen Empfinden seiner vor-damascinischen Ära ein ganz anderes Bild. Und dieses Bild präsentierte er zunächst den "Säulen" in Jerusalem, dann auf Missionsreise den Heiden, die ja Götter, Gottessöhne, Jungfrauengeburten, Himmelfahrt und Wiederauferstehungen schon von anderen Figuren kannten. Für die Juden mit ihrem strikten monotheistischen Gottesbild des AT war das unbekannt und schwer verdaulich.
Hmm, ich glaube, unser Bild vom Judentum des 2. Tempels ist in dieser Hinsicht zu einseitig. Es war wohl Alan F. Segal, der auf die Spuren des Konzepts von "Two Powers in Heaven", das sich durch einige Bibeltexte zieht (hier vor allem Dan 7:9ff., Exo 23:20-23, Exo 15:3) hinwies und Paulus dementsprechend interpretierte. Wir sollten uns hueten, das rabbinische Judentum auf die vorhergehende Zeit zurueckzuprojizieren.
Man muss das nicht alles auf heidnische Einfluesse zurueckfuehren, vor allem, da auch das Judentum der Zeit, als viele Texte des AT noch finalisiert oder gar erst geschrieben wurden, zu einem Gutteil hellenisiert war, trotz des zurschaugestellten Widerstands.
Was ich jetzt gerade geschrieben habe, basiert der Einfachheit halber auf einer Zusammenfassung von Michael S. Heiser, der eine Dissertation zu dem Thema verfasst hat, auf dieser privaten Seite:
*http://twopowersinheaven.com/
(07-11-2020, 15:11)Ulan schrieb: Man muss das nicht alles auf heidnische Einfluesse zurueckfuehren, vor allem, da auch das Judentum der Zeit, als viele Texte des AT noch finalisiert oder gar erst geschrieben wurden, zu einem Gutteil hellenisiert war, trotz des zurschaugestellten Widerstands.
Es geht hier vor Damaskus um geistige Einflüsse, speziell auf Paulus. Denen er in seinem Leben vor Damaskus ausgesetzt war.
Dafür sind folgende Fakten relevant gewesen:
- Paulus wuchs in Tarsos auf, einer kulturell und ganz vom griechischen Geist geprägten Stadt.
- Sein Vater, wohlsituiert offensichtlich, war auch Römer, Paulus durch Geburt also "Doppelstaatler". Die römische Denkweise, Philosophie und Religionsvorstellung waren ihm gut bekannt. Er wuchs in einer völlig hellenistisch orientierten Umwelt auf.
- Er wurde in jüdischer Religion erzogen, als junger Mann studierte er vllt. an der Schule Gamaliel I, eines Hillel-Enkels
- Jesus hatte er nie kennen gelernt, dessen Lehre mag ihm vielleicht rudimentär aus der Verfolgungszeit der Urgemeinde/Steinigungsrede des Stephanus bekannt gewesen sein.
- Mit dieser Disposition stieg er aufs Pferd und stürzte im Lichtstrahl zu Boden.
Dem Apg-Autor, vermutlich Lukas, lag natürlich daran, den Gesinnungswechsel vom Verfolger zum Christenfürsten möglichst dramatisch und wunderbar zu schildern. Ob er tatsächlich so abrupt stattgefunden hat, ist fraglich. Greller Sonnenschein ist für solche Erlebnisse immer förderlich.
Und dann sind da ja auch noch die ungeklärten 3 Jahre des Paulus danach in "Arabien". Was da geschah, weiß auch kein Mensch. Diese Frage hat mich mal hierher geführt.
Und außerdem: Zwischen dem ersten zweiwöchigen Treffen von Paulus und Petrus im Haus von Petrus (unmittelbar nach diesen 3 Jahren Wüste) und dem Wiedersehen danach vergingen immerhin satte 14 Jahre.
Paulus entwickelte sein Christentum völlig losgelöst von der "echten" Urgemeinde in Jerusalem. Er hatte den Boden des Judentums verlassen, auch wenn er anfangs noch in Synagogen (wo auch sonst?) predigte.
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(07-11-2020, 16:57)Davut schrieb: ...Lukas, lag natürlich daran, den Gesinnungswechsel vom Verfolger zum Christenfürsten möglichst dramatisch und wunderbar zu schildern.
Die lukanische Version ist wenig wahrscheinlich.
Paulus weiß nichts davon. Er hat sein Damaskuserlebnis in Briefen angesprochen (Gal 1,13-17; 1Kor 15,1ff.).
MfG B.
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07-11-2020, 20:35 von Ulan.)
@Davut: Einige Deiner Thesen wuerden Neutestamentler nicht unbedingt unterschreiben, auch wenn die Apg so etwas nahelegt (eine roemische Buergerschaft ist z.B. den Briefen des Paulus nirgendwo zu entnehmen).
Mein letzter Beitrag sollte aber vielmehr darauf hinweisen, dass so eine Zwei-Maechte-Vorstellung ueber den juedischen Gott dem Judentum eventuell nicht so fremd war, wie man meist annimmt. Es geht dabei um die Figuren, die, anders als als die Stimme aus dem Himmel, eine physische Manifestation Jahwes ausmachen. Das kennt man ja auch aus Ezechiel, aber die diversen Bergszenen mit Moses in der Tora sind halt auch fruchtbar in die Richtung solchen Denkens.
Was eine Jerusalemer Sekte hier gedacht hat, laesst sich so einfach nicht mehr ermitteln, aber irgendwie empfaenglich muss sie ja fuer solche Ideen gewesen sein, sonst haette Paulus sich nicht ausgerechnet an diese gewandt. Auch wenn man die Didache zugrundelegt, die viele christliche Elemente vermissen laesst, beinhaltet sie ja immer noch die Verehrung einer Christusfigur in einer bestimmten Form.
(07-11-2020, 17:53)Bion schrieb: (07-11-2020, 16:57)Davut schrieb: ..
Die lukanische Version ist wenig wahrscheinlich.
Paulus weiß nichts davon. Er hat sein Damaskuserlebnis in Briefen angesprochen (Gal 1,13-17; 1Kor 15,1ff.).
In seinem Galaterbrief erwähnt Paulus selbst ein plötzliches Erlebnis, wie es Damaskus war, mit keiner Silbe. Das bestätigt die lukanische [übertriebene] Dramatisierung nur.
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(07-11-2020, 20:34)Ulan schrieb: @Davut: Einige Deiner Thesen wuerden Neutestamentler nicht unbedingt unterschreiben, auch wenn die Apg so etwas nahelegt (eine roemische Buergerschaft ist z.B. den Briefen des Paulus nirgendwo zu entnehmen).
Das ist ja das Problem: in seinen (echten) Briefen hat sich Paulus überhaupt nicht zu seiner Familie, zu seiner Herkunft, zu seiner Heimat, zu seinen vorchristlichen genauen Aufenthalten geäußert.
Warum mussten das andere und spaetere Autoren tun? Warum haben sich seine ursprünglich engsten Begleiter Barnabas und Markus, mit denen er sich dann ueberwarf, nicht getan?
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07-11-2020, 21:15
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07-11-2020, 21:17 von Ulan.)
Ich habe von einem Religionswissenschaftler etwas gesehen, der das anhand der Kanonbildung gezeigt hat. Sein Vergleich war die Star Wars Fangemeinde mit ihrem Kanon und "Fanon". Da gibt's die Infos, die in den Filmen geliefert werden, aber die Fans erfinden dann Details und Geschichten zu jeder einzelnen Figur, die vielleicht nur in einem Halbsatz/einer kurzen Fllmszene auftauchen, oft ohne Namen oder sonst irgendwelche Details. Einige dieser Details schaffen's dann in spaetere Filme. Ich denke, der NT-Kanon ist irgendwo in der Mitte zu verorten. Teilweise wurden da schon Fangeschichten kanonisiert, andere haben's dann halt nie aus der Fanseiten-Ecke herausgeschafft (die Apokrypha).
@ Ulan: Bei Filmen geht es mir wie Dir bei YT-Videos: Wir halten gegenseitig nichts davon.
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