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(29-12-2021, 09:41)Helmuth schrieb: Dass das Entstehungsdatum einer Berichterstattung nicht ausreicht um einen Beleg gegen seine Historizität vorzubringen, wurde schon gesagt.
Diese Aussage wird nicht richtiger, nur weil du das schon einmal gesagt hast.
Und natürlich müssen Aussagen in ihrer Historizität stark angezweifelt werden, wenn sie beispielsweise in frühen Textüberlieferungen nicht, in einem späteren Text als Randglosse und in späten Texten als historisch vorgestellt werden.
(29-12-2021, 09:41)Helmuth schrieb: Was dabei unberücksichtg bleibt, dass wir heute Endfassungen vorliegen haben.
Vor allem lassen das Fundamentalisten gerne unberücksichtigt, wenn sie fest im Glauben zu wissen behaupten, was Jesus nicht alles gesagt und getan hätte.
(29-12-2021, 09:41)Helmuth schrieb: Das gilt sowohl für das AT als auch das NT wie überhaupt für jedes historische ältere Werk.
Das NT ist kein "historisches Werk", das AT in geringen Teilen.
(29-12-2021, 09:41)Helmuth schrieb: So ist z.B. die historische Qualität der antiken Werke von Flavius Jospehus minderwertig, wenn man sie z.B. mit einem Evangelium oder der Apostelgeschichte vergleicht.
Das ist eine reichlich unsinnige Behauptung.
Der Historiker ist Texten gegenüber grundsätzlich skeptisch, die von Wundern (von Begegnungen mit Engeln, Teufeln und Dämonen, von der Jungfrauenschwangerschaft und -geburt, von Heilungs-, Totenerweckungs- und Auferstehungswundern, von Bekehrungs- und Befreiungswundern, von Wandlungswundern, wie bei der Hochzeit zu Kana, ein wahres Luxuswunder, etc, etc.) berichten.
In frommen Gemeinschaften mag es als Verdienst gelten, Wundergeschichten als historische Berichte entgegenzunehmen, unter Historikern ist das in der Regel nicht üblich.
Und:
Wen sollte es überraschen, dass Josephus in den Altertümern viel Mythologisches transportiert, dass er sowohl im Jüdischen Krieg als auch in seiner Vita bedacht ist, die eigene Person zu schonen?
Dass Mengen-, Entfernungs- und Ortsangaben manchmal nicht passen, findet sich auch in biblischen Texten.
Wer die Quelle Josephus benutzt, weiß damit umzugehen.
MfG B.
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Die Evangelien als historische Quellen zu bezeichnen und dann Josephus in der Hinsicht abzuwerten ist, gelinde gesagt, bizarr.
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War nicht Josephus ein Gefangener der Römer ?
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30-12-2021, 11:42
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30-12-2021, 11:44 von Ulan.)
Fuer zwei Jahre, ja. Josephus wurde schon nach zwei Jahren, also vor Kriegsende, von Vespasian anlaesslich der Ausrufung Vespasians als Kaiser, die Josephus vorhergesagt hatte, freigelassen. An der Eroberung Jerusalems nahm Josephus als Dolmetscher des Titus teil. Beziehungen zu den leitenden Familien Roms hatte er schon vor dem Krieg gehabt. Er bekam das roemische Buergerrecht und lebte in Rom als Autor.
Bion hat ja angemerkt, dass Josephus seine eigene Rolle im Krieg offensichtlich beschoenigt (in mehrerer Hinsicht uebrigens). Das weiss jeder Historiker und ordnet seine Schilderungen entsprechend ein. Nichtsdestotrotz erhalten wir hier Schilderungen der Vorkommnisse und Akteure des Krieges aus erster und zweiter Hand, also jemandem, der bei entscheidenden Ereignissen dabei war. Er zeigt dabei eine gute Detailkenntnis.
Es wird anscheinend auch gerne vergessen, dass die Bibel genau dieses Problem auch hat; sie ist offensichtlich auf Rom-freundlich getrimmt. Dass z.B. Pilatus seinen Amtseid verraten und jemanden, der Anspruch erhebt, Koenig der Juden zu sein, nicht ohne Zoegern hinrichten wuerde, ist beliebig unwahrscheinlich. Nicht umsonst nimmt ja z.B. fuer den Entstehungsort des besonders romfreundlichen Lukas-Evangeliums Pilhofer eine Kolonie roemischer Kriegsveteranen an. Die Beziehung der Apg zu den Werken des Josephus ist dabei auch offensichtlich.
Die Evangelien haben also, was ihren historischen Anspruch angeht, gleich mehrere Handicaps.
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(30-12-2021, 11:42)Ulan schrieb: Die Evangelien haben also, was ihren historischen Anspruch angeht, gleich mehrere Handicaps.
Hallo Ulan,
... das mag teilweise stimmen, aber solches gilt auch für manch andere Chronik, dessen Schreiber seinerzeit so zu formulieren hatte, dass sie seinem "Auftraggeber" gefiel.
Oft verschwimmen Sage und historische Fakten zu einer Einheit. So ist z.B. die Sage vom Gordischen Knoten, den Alexander der Große mit seinem Schwert durchschlagen haben soll, als Redewendung bis heute lebendig, wenn ein schwieriges Problem gelöst wird.
Auch die in der germanische Nibelungen-Sage beschriebene Feindschaft zwischen Krimhild und Brunhild geht auf eine Feindschaft zwischen zwei adeligen Frauen (historische Personen aus der Merovingerzeit) zurück.
Gruß von Reklov
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31-12-2021, 19:00
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 31-12-2021, 19:03 von Ulan.)
Wunder gehoerten bei antiker Geschichtsschreibung im allgemeinen dazu. Da gaben die Kaiser schon mal Prophezeiungen, teilten die Wasser eines Flusses, damit die Truppen durchmarschieren konnten, wurden bei der Trauerfeier nach ihrem (scheinbaren?) Tod vor den Augen tausender Zeugen von einem Adler in den Himmel getragen, etc. Auch Kaiser Augustus war der Sohn eines Gottes, der seiner Mutter in den Leib gelegt wurde, auch Augustus musste sich mit einem Dekret der Herrscher (hier des Senats) auseinandersetzen, dass alle Saeuglinge seines Jahrgangs erschlagen werden sollten, weil eine Prophezeiung besagte, er wuerde Kaiser werden, etc. In der Beziehung fallen die Evangelien gar nicht aus dem Rahmen, und man koennte die ganzen Wunder Jesu auch einfach als schmueckendes Beiwerk entsorgen, wie viele Bibelexegeten des 19. Jhdts. das ja auch gemacht haben.
Allerdings verbannten die etwas serioeseren roemischen Geschichtsschreiber solche Erzaehlungen ueber die Kaiser in besondere Kapitel oder setzten durch Bemerkungen einen entsprechenden Rahmen; die weniger serioesen halt nicht. Trotzdem verkennt dieser Vergleich, dass die Evangelien doch gar nicht als Geschichtsschreibung erkennbar sind. Sie sind erkennbar religionsstiftende Texte. Dass die Wunder Jesu Kopien der Wunder des Elias sind, unterstreicht das eher, als dass es dem Eindruck schaden wuerde. Wir schauen hier zwar auf eine Schrift in der Form einer Biographie, aber das Ziel ist doch klar, dass hier missioniert werden soll; das steht doch am Ende der Evangelien. Insofern ist es eine andere Literaturgattung als Geschichtsschreibung, so sehr das auch hineingebracht wurde. Auffaellig ist ja zudem auch, dass die synoptischen Evangelien mit zeitlichem Abstand zu Jesus immer historisierender werden. Das kommt mit einem sich veraendernden Blick auf die Figur.
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